Schrei rannte ihm hinterher. »Nein, nein, Ärger! Hütte, Essen, Hütte.« Sie packte sogar seine Hand, presste sie auf ihren Bauch und versuchte sie zur Vagina hinunterzuziehen. Aber er versetzte ihr einen Handkantenschlag gegen die Brust, und sie ging zu Boden. Sie blieb liegen und schaute ihm sehnsüchtig nach.
III
Er ging in ihrer Spur am Strand entlang und löschte mit seinen großen Füßen Harpunes Abdrücke aus.
Der Strand war mit Muscheln, Krebstieren und dem Treibgut des Meers übersät: Seetang, gestrandete Quallen und unzählige angespülte Tintenfische. Bald schon geriet er ins Schwitzen und außer Atem. Hüfte und Knie schmerzten; ein Vorbote der Arthrose, die ihn mit zunehmendem Alter plagen würde.
Schließlich beruhigte er sich, und der Instinkt setzte sich wieder durch. Er erinnerte sich, dass er nackt und allein war.
Er lief suchend auf dem Strand umher, bis er einen großen scharfkantigen Stein fand, der sich gut in die Hand schmiegte. Dann marschierte er weiter an der Wasserlinie entlang. Obwohl das Fortkommen hier durch den zähen Schlick erschwert wurde, war er zumindest auf einer Seite vor Angriffen geschützt.
Und diese schöne Spur mit den parallel verlaufenden Abdrücken der Wolfspfoten zog sich noch immer durch den Sand. Schließlich machte die Spur einen Knick und verließ den Strand. Und dort, im Schatten eines Palmenhains, sah er eine Hütte.
Er stand für eine Weile reglos da und betrachtete sie. Es war niemand zu sehen. Vorsichtig näherte er sich ihr.
Die oberhalb der Hochwasserlinie errichtete Hütte stand auf einem Gerüst aus schlanken Baumstämmen, die in den Boden gerammt waren. Die Stämme waren an der Spitze verflochten… nein, sie waren zusammengebunden und nicht etwa verflochten, wie er nun sah – zusammengebunden mit dünnen Sehnen. Auf diesem Rahmen waren Äste und Palmwedel ausgebreitet worden. Werkzeuge und Abfälle, die aus der Ferne nicht zu identifizieren waren, lagen vor der runden Öffnung der Hütte herum.
Die Hütte war nichts Besonderes. Sie war etwas größer als seine und bot vielleicht Platz für zwanzig Leute, aber das schien auch der einzige Unterschied zu sein.
Der Schutt auf dem festgestampften Boden um den Eingang der Hütte knirschte unter den Füßen. Mit großen Augen betrat er das Innere der Hütte. Es roch stark nach Asche.
Die Hütte war nicht dunkel, sondern sie wurde von einem warmen braunen Licht erfüllt. Er sah, dass ein Loch in eine Wand gebrochen war. Eine dünn geschabte Tierhaut war vor das Loch gespannt, sodass der Wind draußen gehalten wurde, nicht aber das Licht. Er unterzog die Haut einer kurzen Musterung und suchte nach den Eindrücken und Kratzern von Zähnen, sah aber keine. Wie sollte man Leder ohne Zuhilfenahme der Zähne gerben?
Er schaute sich um. Es lag Kot auf dem Boden: von Kindern und anscheinend auch von Wölfen oder Hyänen. Und es lagen Essensabfälle herum, hauptsächlich Muschelschalen und Fischgräten. Aber er sah auch Tierknochen, an denen zum Teil noch Fleischfetzen hafteten. Sie stammten vor allem von kleinen Tieren, vielleicht vom Schwein oder vom Hirsch, doch selbst das erweckte in ihm einen Anflug von Neid. Soweit er wusste, teilten die wilden Leute im Landesinnern die Erzeugnisse des Waldes und des Graslands mit niemandem.
Er setzte sich im Schneidersitz hin und ließ den Blick schweifen, während die Augen sich langsam ans Dämmerlicht anpassten.
Er sah die Überreste einer Feuerstelle, nur einen schwarzen Kreis auf dem Boden. Die Asche war noch heiß und schwelte stellenweise noch. Vorsichtig fuhr er mit dem Finger am Umfang der Feuerstelle entlang. Der Finger versank in Ascheschichten. Nun sah er, dass eine Grube im Boden ausgehoben worden war, wie die Gruben, in die man eine tote Person senkte. Aber diese Grube war gegraben worden, um das Feuer zu beherbergen. Die Asche war dicht, und er sah, dass das Feuer vieler Tage und Nächte diese dichte Anhäufung bewirkt hatte. Und auf der dem Eingang zugewandten Seite der Grube, wo der Abzug am stärksten war, hatte man einen niedrigen Wall aus Kieselsteinen errichtet.
Das war ein Herd, einer der ersten richtigen Herde, die auf der Welt gebaut wurden. So etwas hatte Kieselstein noch nie gesehen.
Er sah, dass Schichten einer braunen Substanz den Boden bedeckten. Zaghaft berührte er eine dieser Schichten. Sie erwies sich als Rinde. Aber die Rinde war sorgfältig vom Baum abgezogen und irgendwie behandelt, geflochten und geformt worden, sodass diese weiche Decke herausgekommen war. Er lüftete die Rindendecke und sah ein Loch im Boden. Das Loch war mit Nahrung gefüllt, mit einer ganzen Menge Maniokknollen.
Dann stieß er auf Werkzeug. Ein Haufen Splitter sagte ihm, dass an diesem Ort gewohnheitsmäßig Steinwerkzeuge gefertigt wurden. Er durchwühlte die Werkzeuge. Ein paar waren erst halbfertig. Aber es gab Werkzeug in einer verwirrenden Vielfalt: Er sah Äxte, Hacken, Spitzhacken, Hammer-Steine, Messer, Schaber, Bohrer – und andere Ausführungen, deren Zweck er nicht erraten konnte.
Nun fiel sein Blick auf etwas, das wie eine gewöhnliche Axt aussah: eine Steinklinge, die an einem hölzernen Stiel befestigt war. Aber die Schneide war mit einer Liane so fest umwickelt, dass er sie nicht zu lösen vermochte. Er hatte schon gesehen, dass Lianen andere Pflanzen förmlich strangulierten. Es war, als ob jemand diese Axtschneide und den Stiel einer lebenden Liane überantwortet und dann gewartet hätte, bis die Pflanze sich der Artefakte bemächtigt und sie fester zusammengebunden hatte, als eine Hand das je vermocht hätte.
Und hier war ein Geflecht wie dasjenige, das Harpune am Strand getragen hatte. Es war ein Beutel, der Stein- und Knochenwerkzeuge enthielt. Versuchsweise hob er den Beutel auf und legte ihn sich über die Schulter, wie er es bei Harpune gesehen hatte. Kieselsteins Leute fertigten keine Beutel. Sie trugen nur das bei sich, das sie in den Händen zu halten oder sich um die Schultern zu hängen vermochten. Er befingerte das grobe Geflecht. Seiner Einschätzung nach bestand es aus Schlingpflanzen oder Lianen. Aber die Fasern waren zu einer festen Schnur verdrillt worden, die dünner war als jede Liane.
Verwirrt ließ er den Beutel fallen.
Diese Hütte war wie seine Hütte und auch wieder nicht. Zum einen war es seltsam, alles zu trennen. Zu Hause aß man, wo man wollte und fertigte Werkzeug, wo man wollte. Der Raum war nicht aufgeteilt. Hier aber schien es einen Platz zum Essen zu geben, einen zum Schlafen, einen zum Feuermachen und einen für die Werkzeugfertigung. Das war doch blöd. Und…
»Ko ko ko!«
Ein Mann war im Eingang erschienen. Die gegen das Tageslicht sich abzeichnende Silhouette war so groß und schlank wie Harpune und hatte den gleichen kuppeiförmigen Kopf. Der Mann hatte einen ängstlichen Gesichtsausdruck, aber er hob dennoch einen Speer.
Adrenalin wurde in Kieselsteins Kreislauf gepumpt. Er stand schnell auf und taxierte den Widersacher.
Der mit verschnürten Tierhäuten bekleidete Mann war spindeldürr und hatte sehnige Muskeln. Dem Muskelpaket Kieselstein hätte er nichts entgegenzusetzen. Und seine Waffe war nur ein leichter Wurfspeer aus geschnitztem und gehärtetem Holz; es war kein Stoßspeer, wie man ihn für den Nahkampf gebraucht hätte. Kieselstein würde diesem Gerippe einfach den Hals brechen.
Aber der Mann wirkte trotz der Furcht entschlossen. »Ko, ko, ko!«, rief er wieder. Und er machte einen Schritt nach vorn. Kieselstein knurrte und bereitete sich auf den Kampf vor.
»Ya, ya.« Das war Harpune. Sie fiel dem Mann in den Arm. Er versuchte sie abzuschütteln, und sie begannen eine Diskussion. Es war eine Unterhaltung, wie sie genauso gut auch in Kieselsteins Hütte hätte stattfinden können: eine Aneinanderreihung von Worten, von denen er kein einziges verstand, ohne Gliederung und Satzbau. Zur Verdeutlichung mussten sie sich mit Wiederholungen, erhobener Stimme und Gestik behelfen. Das dauerte lange, wie es für solche Auseinandersetzungen üblich war. Doch schließlich lenkte der Mann ein. Er schaute Kieselstein finster an, spuckte auf den Boden der Hütte und ging hinaus.