Выбрать главу

Vorsichtig betrat Harpune die Hütte. Ohne Kieselstein aus den Augen zu lassen, setzte sie sich auf den festgestampften Boden. Ihre Augen leuchteten im dämmerigen Licht.

Zögerlich setzte Kieselstein sich ihr gegenüber.

Schließlich schob Harpune die schmale Hand unter eine Decke, holte eine Handvoll Affenbrotbaum-Früchte hervor und hielt sie Kieselstein hin. Zögernd nahm er sie. Für eine Weile saßen sie sich stumm gegenüber, die Vertreter zweier menschlicher Unterarten, die weder ein Wort noch eine Geste gemeinsam hatten.

Wenigstens versuchten sie nicht, sich gegenseitig zu töten.

Nach jenem Tag fühlte Kieselstein sich in seinem Zuhause, bei seinen Leuten immer unbehaglicher.

Die sehnigen Leute schienen ihn zu akzeptieren. Der große Mann, der ihn in der Hütte gefunden hatte – ›Ko-ko‹, denn Kieselstein würden seine »Ko, ko!«-Rufe für immer im Ohr hallen –, traute ihm nicht. Aber Harpune schien sich für ihn zu erwärmen. Sie bearbeiteten zusammen Werkzeug, wobei sie mit ihren geschickten Fingern brillierte und er mit seiner schieren Kraft. Und sie schauten übers Meer zu der paradiesischen Insel, die Kieselstein wie ein Magnet anzog.

Und sie versuchten, die Sprache des jeweils anderen zu erlernen. Das war nicht leicht. Es gab viele Wörter, zum Beispiel Richtungsangaben wie ›Westen‹, die Kieselsteins Vorfahren nie gebraucht hatten.

Er ging sogar mit ihr auf die Jagd.

Diese Neuankömmlinge betätigten sich vorzugsweise als Ausputzer oder jagten aus dem Hinterhalt. Wegen ihrer geschmeidigen, aber schwachen Körper mussten sie die Beute mit List anstatt mit brutaler Kraft zur Strecke bringen, und ihre bevorzugten Waffen waren auch keine Hieb- und Stichwaffen, sondern Wurfgeschosse. Aber sie lernten Kieselsteins Kräfte im Endstadium der Jagd zu schätzen, wenn die Beute auf kurze Distanz erlegt werden musste.

Inzwischen stellten die beiden Arten von Leuten ihr Verhältnis auf eine neue Grundlage. Sie bekämpften sich nicht mehr und gingen sich auch nicht mehr aus dem Weg, was die bisherige Verhaltensmaxime der Leute gewesen war.

Stattdessen trieben sie Handel. Im Austausch für Meeresfrüchte und Gegenstände wie die soliden Stoßspeere erhielten Kieselsteins Leute Knochenwerkzeuge, Fleisch aus dem Landesinnern, Mark, Leder und exotische Delikatessen wie Honig.

Trotz der offensichtlichen Vorteile der neuen Beziehung hatten viele von Kieselsteins Leuten Bedenken. Hände und Robbe hatten die Möglichkeiten der neuen Werkzeuge erforscht. Staub, die schnell alterte, schien in Apathie versunken. Doch Schrei stand den neuen Leuten unverhohlen feindselig gegenüber, insbesondere Harpune. So haben wir das noch nie gemacht. Wo kämen wir denn da hin.

Sie waren schließlich ausgesprochen konservative Leute, Leute, die nur dann umzogen, wenn sie von einer Eiszeit oder einem überlegenen Feind dazu gezwungen wurden. Dennoch handelten sie, denn die Vorteile waren unbestreitbar.

Harpune hatte Ko-Ko deshalb davon abzuhalten vermocht, Kieselstein zu töten, weil für diese Leute ein Fremder nicht notwendigerweise eine Bedrohung bedeutete. So musste man auch denken, wenn man Handel treiben wollte.

Für Hominiden war das eine revolutionäre Denkweise. Allerdings war Harpunes Art auch erst fünftausend Jahre alt.

Es hatte eine Gruppe von Leuten gegeben, Kieselsteins Leuten nicht unähnlich, die an einem Strand, diesem nicht unähnlich, an der Ostküste Südafrikas gelebt hatte. Der Strand war mit gelbbraunen Felsbrocken aus Sedimentgestein übersät. Die Vegetation war nur in jenem Teil der Welt heimisch – eine alte Flora, die an Streuners Zeit erinnerte und vorwiegend aus Büschen und Bäumen bestand, die mit großen stachligen Blüten besetzt waren. Es war ein guter Ort zum Leben. Das Meer bot Nahrung in Hülle und Fülle: Muscheln, Krebse, Fische und Seevögel. Stellenweise erstreckte der Wald sich bis zur Küste hinunter und hallte von den Schreien von Affen und Vögeln wider. Und im Grasland gab es Wild in Hülle und Fülle: Nashörner, Springböcke, Wildschweine, Elefanten sowie langhornige Büffel und Riesenpferde.

Hier hatten Harpunes Vorfahren ein Zuhause in der Nähe des Meers gehabt. Wie Kieselsteins Leute hatten sie dort seit unzähligen Generationen gelebt, deren Knochen sich in der Erde stapelten. Von hier aus durchstreiften sie die Landschaft, wobei sie sich aber höchstens ein paar Kilometer von zu Hause entfernten.

Dann war mit plötzlicher Wucht das Klima umgeschlagen. Der Meeresspiegel war angestiegen, und die uralte Heimat war überflutet worden. Wie Kieselsteins Gruppe hatten sie fliehen müssen. Und wie Kieselsteins Gruppe waren sie in einem überfüllten Land isoliert gewesen und wussten nicht, wo sie hingehen sollten.

Mit jedem Schritt, den sie sich von zu Hause entfernten, waren sie ängstlicher und verwirrter geworden. Viele waren gestorben. Viele Kinder, die in den Armen verhungernder Flüchtlingsmütter lagen, überlebten nicht lang nach der Geburt.

Schließlich waren sie in ihrer Verzweiflung einem Fluss gefolgt. Sie erreichten die Flussmündung, wo es dichte Mangrovenwälder gab. Hier konnten sie bleiben, weil dieser Ort von niemandem sonst beansprucht wurde. Der Erdboden war großenteils mit brackigem braunem Wasser bedeckt, in dem Krokodile schwammen. Im feuchten Fiebersumpf wimmelte es nur so von Echsen, Schlangen und Insekten, von denen viele – sogar die Wanderameisen – sich verschworen zu haben schienen, die Leute zu vertreiben.

Immerhin gab es Nahrung in Form von Wasserlilienwurzeln, -schösslingen und -stielen. Sogar Mangroven-Früchte wurden von den Hungernden verzehrt. Aber es gab fast kein Fleisch. Und es gab auch nirgends Steine für die Werkzeugfertigung. Es war, als ob sie auf einer großen, durchnässten Matte aus Vegetation zu überleben versucht hätten.

Die aus ihrer gewohnten Umgebung vertriebenen Leute wären vielleicht innerhalb einer Generation ausgestorben, wenn sie sich nicht angepasst hätten.

Es hatte eigentlich ganz unspektakulär begonnen. Eine Frau, Harpunes Urahnin, war im Flusstal weit stromaufwärts gegangen und hatte schließlich trockeneres Land erreicht. Hier in den Flutebenen und saisonalen Sümpfen unterstützte der gut bewässerte, mineralreiche Boden das Wachstum vieler einjähriger Pflanzen, Kräuter, Gemüse, Ranken, Blüten und Pfeilwurzeln. Nach den Jahren im Sumpf hatte sie ein Geschick dafür entwickelt, mit primitiven Holzwerkzeugen und den bloßen Händen Nahrung in morastigem, schwierigem Gelände zu suchen. Sie hatte sich schon den Bauch voll geschlagen und sammelte Wurzeln, die sie ihren Kindern mitbringen wollte.

Und dann begegnete sie dem Fremden. Der Mann aus einer anderen Gruppe weiter flussaufwärts benutzte ein Basalt-Messer, um ein Kaninchen zu häuten. Die beiden starrten sich an – der eine mit Fleisch, die andere mit Wurzeln. Sie hätten fliehen oder versuchen können, sich gegenseitig umzubringen. Aber sie taten es nicht.

Stattdessen tauschten sie: Fleisch für Wurzeln. Und dann gingen sie wieder ihrer Wege.

Nach ein paar Tagen kehrte die Frau zu derselben Stelle zurück. Wieder erschien auch der Mann. Mit finsteren Blicken, argwöhnisch und unfähig zur Verständigung trieben sie wieder Handel, diesmal Muscheln und Krebse von der Flussmündung für zwei Basaltmesser.

So begann es. Weil die Sumpf-Leute in dem Land, wo sie gesiedelt hatten, nicht alles Überlebensnotwendige fanden, tauschten sie die Erzeugnisse des Meers, des Sumpfs und der Flutebene gegen Fleisch, Häute, Stein und Früchte aus dem Landesinnern.

Nach zwei Generationen gingen sie auf Wanderschaft und fingen ein neues Leben an. Sie wurden zu richtigen Nomaden und folgten den großen natürlichen Verkehrswegen, den Küsten und den Wasserläufen im Binnenland. Und überall, wohin sie kamen, trieben sie Handel. Unterwegs spalteten sich Gruppen ab und breiteten sich aus, und allmählich entstanden Handels-Netzwerke. Bald fand man bearbeiteten Stein hunderte Kilometer von dem Ort entfernt, an dem der Steinmetz gesessen hatte, und Muschelschalen tauchten in der Mitte des Kontinents auf.