»Ich bin Soldat im britischen Heer, Sir. Ich werde jeden Auftrag akzeptieren, den man mir erteilt.«
»Also gut. Es handelt sich um Folgendes. Die Deutschen haben starke Kräfte in Syrien zusammengezogen. Wir halten es für möglich, daß sie in diesem Frühling eine Invasion in Palästina versuchen werden.«
Ari nickte.
»Wir befinden uns mit Vichy-Frankreich nicht im Krieg und können also auch keine Invasion in Syrien machen, doch wir haben im Nahen Osten in ausreichender Menge Streitkräfte des unbesetzten Frankreichs, die dazu in der Lage wären, vorausgesetzt, daß wir einen Abwehrdienst aufziehen könnten, der die Feindlage einwandfrei klärt. Wir haben Sie für diese Aufgabe gewählt, da Sie Syrien und den Libanon von Ihrer Zeit in Hamischmar her kennen und außerdem gut arabisch sprechen. Wir möchten, daß Sie die Leute, die mit Ihnen in Hamischmar waren, zusammenholen und mit Ihnen wieder nach Hamischmar gehen, um von dort aus die Feindaufklärung vorzunehmen. Bei Beginn der Invasion ist außerdem vorgesehen, Sie zum Captain zu befördern.«
»Die Sache hat einen Haken, Sir.«
»Das wäre?«
»Eine große Anzahl meiner Kameraden von Hamischmar sind von den Engländern ins Gefängnis geworfen worden.«
Das Gesicht des Generals lief dunkelrot an. »Wir werden ihre Entlassung veranlassen.«
»Jawohl, Sir. Und noch etwas. Ich habe hier zwei Leute, die ungewöhnlich befähigte Soldaten sind. Ich würde sie gern nach Hamischmar mitnehmen und bitte darum, die beiden in das britische Heer zu übernehmen.«
»Bitte«, sagte Haven-Hurst, »nehmen Sie die beiden mit.«
Ari erhob sich und ging zur Tür. »Eine Invasion in Syrien zu diesem Zeitpunkt ist eine strategisch hervorragende Maßnahme, Sir. Die britische Achte Armee bekommt dadurch ausreichenden Spielraum, um sich nach Indien abzusetzen.«
Haven-Hurst starrte den Juden feindlich an. »Ich glaube, Ben Kanaan, ich brauche Ihnen kaum zu erklären, daß wir uns beide eines Tages auf gegnerischen Fronten gegenüberstehen werden.« »Das tun wir bereits, Sir.«
Ari verließ Beth Alonim, »mit Seew Gilboa und David ben Ami als seinen Sergeanten, und ging wieder nach Hamischmar, auf den Berg, mit dem ihn so bittere Erinnerungen verbanden. Von Hamischmar aus, dem Stützpunkt und Hauptquartier, gingen Aris Aufklärungskommandos bis nach Damaskus vor. Sie mußten dabei mit größter Vorsicht zu Wege gehen, denn die Invasion sollte völlig überraschend kommen.
Aris Methode war sehr einfach. Die meisten seiner Leute sprachen fließend Arabisch und kannten das Gebiet sehr genau. Er schickte sie bei Tage los, verkleidet als Araber, und sie gingen einfach die Straßen entlang und machten Augen und Ohren auf. Obwohl Ari auf diese Weise Informationsmaterial erhielt, das sich als lückenlos und exakt erwies, wollte er es gern noch durch einen Mann bestätigt haben, der sich bis in die Innenstadt von Damaskus und Beirut vorwagte. Es war eine sehr riskante Sache, für die Ari einen Einzelgänger mit besonderen Voraussetzungen brauchte. Der Betreffende mußte in der Lage sein, sich völlig frei zu bewegen, ohne Verdacht zu erregen. Ari setzte sich mit der Hagana in Verbindung, und man schickte ihm einen jungen Mann von siebzehn Jahren namens Joab Yarkoni.
Yarkoni war ein marokkanischer Jude, geboren und aufgewachsen in Casablanca, der überall glatt als Araber passieren konnte. Er war klein und schmal, hatte große leuchtende schwarze Augen und einen geradezu unverschämten Humor. In Casablanca hatten er und seine Familie in einer Mellah gelebt, der orientalisch-afrikanischen Abart eines Ghettos. Diese orientalischen und afrikanischen Juden hatten kulturell wenig mit ihren russischen oder deutschen Glaubensgenossen gemein. Sie stammten größtenteils von spanischen Juden ab, die vor der Inquisition geflohen waren.
Viele von ihnen hatten noch immer spanische Namen. In den meisten arabischen Ländern wurden die Juden menschenwürdig, fast als Gleichberechtigte behandelt. Sie wurden Hofärzte, Philosophen und Künstler und zählten zur Elite der Gesellschaft. Mit dem Untergang der arabischen Größe büßten auch die Juden ihre Bedeutung in den arabischen Ländern ein.
Es gab Juden in Bagdad und Kairo, und in Damaskus und Fez, in Kurdistan und in Casablanca, an der ganzen afrikanischen Küste und tief im Innern der Länder des Nahen Ostens.
Gewiß hatte es auch Feindschaft gegeben. Doch die Moslems hatten nie so viele Juden getötet wie die Christen. Die arabischen Pogrome waren immer in Grenzen geblieben; man hatte jeweils nur ein paar Dutzend Juden totgeschlagen.
Joab Yarkoni war mit seinen Eltern aus der Mellah von Casablanca geflohen, als er noch ein kleiner Junge war. Die Familie ging in einen Kibbuz an der Küste von Samaria. Der Kibbuz war eine Fischersiedlung bei Caesarea und hieß Sdot Yam. In der Nähe von Caesarea gingen viele Schiffe mit illegalen Einwanderern an Land, und Joab begann als Waffenschmuggler für Aliyah Bet zu arbeiten, als er kaum zwölf Jahre alt war.
Mit fünfzehn leistete er sich ein Husarenstück, das seinen Namen bei allen Juden in Palästina berühmt machte. Er zog von Sdot Yam mit seinem Esel los und begab sich nach Bagdad. Dort stahl er eine Anzahl junger Dattelpalmenschößlinge, über die die Iraker mit Eifersucht wachten, und schmuggelte sie nach Palästina hinein. Diese Schößlinge wurden nach dem Kibbuz Schoschana gebracht und bildeten die Grundlage für einen ganz neuen Exportzweig.
Die Aufgabe, die Ari ihm stellte, war für den siebzehnjährigen Joab eine Kleinigkeit. Er begab sich nach Damaskus, nach Beirut und nach Tyra und kam drei Wochen später wieder nach Hamischmar zurück. Seine Feststellungen bestätigten das, was sie bereits wußten, in allen Einzelheiten und erbrachten außerdem lückenlose Informationen über die Stationierung und die zahlenmäßige Stärke der Vichy-Truppen.
In aller Stille bewegten sich Streitkräfte des unbesetzten Frankreichs nach Palästina und massierten sich in Galiläa für die geplante Invasion. Aris fünfzig Leute wurden durch vierzig ausgesuchte Australier verstärkt, die Fachleute im Umgang mit Landminen, automatischen Waffen und Sprengstoffen waren. Diese neunzig Mann wurden in drei Gruppen zu je dreißig Mann aufgeteilt. Jede dieser Gruppen erhielt einen Sonderauftrag, als Vortrupp der Invasion über die Grenze nach Syrien und in den Libanon zu gehen, um entscheidende Straßen und Brücken so lange gegen einen etwaigen Gegenangriff zu halten, bis die Invasionsarmee herangerückt war.
Aris Gruppe hatte den gefährlichsten dieser Sonderaufträge. Sein Auftrag lautete, mit seinen dreißig Mann an der libanesischen Küste vorzugehen, bis an eine Garnison der Vichy-Truppen heran, um diese daran zu hindern, ein halbes Dutzend wichtiger Brücken in den Bergen zu besetzen oder zu sprengen und dadurch das Vorgehen der Invasionsarmee aufzuhalten. Ari nahm Joab, Seew und David mit, außerdem noch sechzehn Juden und zehn Australier.
Sie setzten sich vierundzwanzig Stunden vor Beginn der Invasion in Bewegung und gingen ohne jede Schwierigkeit an der Küste vor, da sie jeden Meter des Geländes genau kannten. Unangefochten überschritten sie die sechs wichtigsten Brücken und machten drei Meilen vor Fort Henried, einer Garnison der Vichy-Streitkräfte, bei einem Übergang über das Gebirge halt. Sie verminten die Straßen, brachten ihre Maschinengewehre in Stellung und warteten auf das Eintreffen der Invasionsarmee.
Wie so oft bei einem großangelegten kriegerischen Unternehmen passierte eine Panne: der östliche Keil der Invasionsarmee begab sich von Transjordanien aus zwölf Stunden vor dem planmäßigen Zeitpunkt X nach Syrien hinein, marschierte auf Damaskus zu und verriet dadurch die gesamte Operation.
Für Ari bedeutete das, den Paß über das Gebirge zwölf Stunden lang und noch weitere drei bis vier Stunden halten zu müssen, bis die Hauptmacht bei ihm angelangt war. Die Vichy-Leute hatten, nachdem die Panne passiert war, innerhalb weniger Stunden in Fort Henried zwei Bataillone mit Tanks und Artillerie aufgestellt und kamen damit auf der Küstenstraße heran, um die Brücken in den Bergen zu zerstören. Als Ari sie herankommen sah, schickte er eilig David und Seew nach Palästina zurück, um Verstärkung heranzuholen.