Ari kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Die Druckwelle einer Detonation lief durch das Restaurant, ließ die Scheiben klirren und fegte da und dort Teller und Gläser von den Tischen. Im nächsten Augenblick sahen sie, wie eine riesige gelbrote Feuerkugel in den Himmel stieg, gefolgt von einer Reihe weiterer Explosionen, die das Gebäude bis zu den Grundmauern erschütterten.
»Die Raffinerie!« rief jemand, und ein anderer: »Das waren die Makkabäer! Sie haben die Raffinerie in die Luft gehen lassen!«
Ari ergriff Kitty hastig bei der Hand. »Kommen Sie, wir wollen hier verschwinden. In zehn Minuten wird das ganze Karmel-Tal von britischen Soldaten wimmeln.«
Innerhalb von Sekunden leerte sich das Lokal. Ari führte Kitty rasch nach draußen. Unten bei der Raffinerie brannte das Erdöl. Die ganze Stadt war vom Sirenengeheul eiliger Löschzüge und britischer Überfallwagen erfüllt.
Kitty lag die halbe Nacht wach und versuchte, mit den so plötzlichen und so gewaltsamen Ereignissen fertigzuwerden, die sie miterlebt hatte. Sie war froh, daß Ari bei ihr gewesen war. Ob sie sich daran gewöhnen würde, in einem Lande zu leben, wo derartige Zustände herrschten? Sie war zu verwirrt, um darüber nachzudenken, doch im Augenblick kam es ihr so vor, als sei ihr Entschluß, nach Palästina zu fahren, ein schwerer Fehler gewesen.
Am nächsten Morgen brannte die Erdölraffinerie noch immer. Über dem ganzen Gebiet von Haifa lag dichter, dunkler Rauch. Die Vermutung, daß der Anschlag gegen die Raffinerie ein Terrorakt der Makkabäer gewesen war, bestätigte sich. Die Gruppe, die die Aktion durchgeführt hatte, war von Ben Mosche — Sohn des Moses — angeführt worden, einem Mann, der ursprünglich Professor an der Hebräischen Universität gewesen war, bevor er sich den Makkabäern angeschlossen hatte und dort zu Akibas Stellvertreter aufgestiegen war. Außerdem wurde bekannt, daß gleichzeitig mit der Sprengung der Raffinerie ein zweites Kommando der Makkabäer in einem anderen Teil von Palästina einen Überfall auf den Flugplatz Lydda unternommen und dabei Spitfire-Jäger im Werte von sechs Millionen Dollar am Boden zerstört hatte. Mit dieser Doppelaktion hatten die Makkabäer der Exodus auf ihre Weise den Willkommensgruß entboten.
Ari war es gelungen, einen kleinen Wagen aufzutreiben, einen Fiat, Baujahr 1939. Die Fahrt nach Tel Aviv dauerte unter normalen Verhältnissen nur ein paar Stunden. Da er es jedoch noch nie erlebt hatte, daß die Verhältnisse normal waren, schlug er Kitty vor, schon frühmorgens von Haifa loszufahren. Sie fuhren den Hang des Karmelberges hinunter und dann die Straße an der Küste von Samaria entlang. Kitty war beeindruckt davon, wie grün und fruchtbar die Felder der Kibbuzim am Rande des Meeres dalagen. Ihr frisches Grün wurde durch den Gegensatz zu dem toten Braun der Berge und dem stumpfen Glast der Sonne noch leuchtender. Kurz hinter Haifa trafen sie auf die erste Straßensperre. Ari hatte Kitty darauf vorbereitet. Sie beobachtete ihn dabei von der Seite. Er machte ein Gesicht, als störte es ihn überhaupt nicht, obwohl ihn viele der englischen Kontrollposten kannten und zu ärgern versuchten, indem sie ihn daran erinnerten, daß er nur vorübergehend amnestiert war.
Ari verließ die Hauptstraße und fuhr zu den Ruinen der alten Hafenstadt Caesarea. Man hatte ihnen in der Pension Brote mitgegeben, und sie setzten sich auf die uralte Mole und aßen. Ari zeigte Kitty Sdot Yam — die Fischersiedlung, in der Joab Yarkoni zu Haus war —, und er zeigte ihr, wie die Araber ihre Stadt aus Ruinen erbaut hatten, die teils aus der Zeit der Römer, teils aus der Zeit der Kreuzritter stammten. Die Araber, erklärte er ihr, seien Fachleute darin, sich der zivilisatorischen Leistungen anderer Völker zu bedienen. In ganz Palästina hätten sie im Verlauf von tausend Jahren nur eine einzige völlig neue Stadt errichtet.
Dann fuhren sie in südlicher Richtung weiter nach Tel Aviv. Auf der Straße war wenig Verkehr. Von Zeit zu Zeit begegneten sie einem Bus, der entweder nur Araber oder nur Juden beförderte, oder einem der überall anzutreffenden Eselskarren. Gelegentlich überholte sie eine britische Wagenkolonne, die mit gellenden Sirenen eilig vorbeifuhr. Sie kamen durch Landstriche, die von Arabern bewohnt waren, und Kitty fiel auf, wie anders die Ortschaften und Felder hier aussahen. Auf den Feldern arbeiteten Frauen, und der Boden war voller Steine und unfruchtbar. Am Rand der Straße gingen Araberinnen, vermummt und durch lange Gewänder behindert, und mit schweren Lasten, die sie auf den Köpfen balancierten. Die Kaffeehäuser an der Straße waren voll von Männern, die träge herumsaßen oder am Boden lagen und Puff spielten. Hinter Sichren Yakow kamen sie an dem ersten Teggart-Fort vorbei, einem finster wirkenden, von Stacheldraht umgebenen Bauwerk. Ein Stück weiter, bei Chedera, kamen sie an dem nächsten Fort vorbei, und dann schienen die Teggart-Forts bei jedem Ort und jeder Straßenkreuzung aufzutauchen.
Hinter Chedera, in der Ebene von Scharon, war das Land noch grüner und fruchtbarer. Sie fuhren zwischen australischen Eukalyptusbäumen entlang, die sich zu riesigen Bogengängen über ihnen wölbten.
»Alles, was Sie hier sehen, war vor fünfundzwanzig Jahren noch wüst und öde«, sagte Ari.
Am Nachmittag erreichten sie Tel Aviv — den Frühlingshügel. Die Stadt erhob sich am Rande des Mittelmeeres in so strahlendem Weiß, daß es den Augen fast wehtat. Ari fuhr durch breite, mit Bäumen gesäumte Boulevards, vorbei an langen Reihen hypermoderner Appartementhäuser. Die Stadt war erfüllt von geschäftigem Leben und Treiben. Kitty fand Tel Aviv vom ersten Augenblick an wunderbar. Ari hielt vor dem Gat-Rimon-Hotel, das in der Hayarkon-Straße, direkt am Meer, lag.
Am späten Nachmittag öffneten alle Geschäfte wieder, die während der Zeit der mittäglichen Siesta geschlossen hatten. Ari und Kitty bummelten durch die Allenby-Straße. Kitty wollte etwas Geld einwechseln, ein paar Sachen kaufen und ihre Neugier befriedigen. Hinter dem Mograbi-Platz lag ein kleiner Laden neben dem andern, und die Straße war erfüllt von dem Lärm der Busse und Autos und dem Gewühl der Menschen. Kitty mußte sich jedes Schaufenster ansehen. Sie kamen an einem Dutzend Buchhandlungen vorbei, und Kitty blieb jedesmal stehen, um sich die Buchtitel in hebräischer Schrift anzusehen, die sie nicht entziffern konnte. Sie gingen weiter und weiter, bis sie das Geschäftsviertel hinter sich gelassen hatten und am Rothschild-Boulevard waren. Hier lag der ältere Teil der Stadt, aus der Zeit, als Tel Aviv sich sozusagen als ein Vorort der Stadt Jaffa zu entwickeln begonnen hatte. Je näher sie der arabischen Stadt Jaffa kamen, desto baufälliger und verkommener wurden die Häuser und Läden. Während sie die Straße entlanggingen, die die beiden Städte miteinander verband, hatte Kitty das Gefühl, daß sich die Zeit zurückdrehte. Mit jedem Schritt wurde die Umgebung schmutziger und übelriechender, und die Läden kleiner und schäbiger. Im Bogen gingen sie zurück nach Tel Aviv und gelangten zu einem Markt, auf dem Juden und Araber ihre Waren feilboten. Auf der engen Straße drängten sich feilschende Menschen um einzelne Stände. Sie kehrten auf der anderen Seite der Allenby-Straße zurück, überquerten wieder den Mograbi-Platz und bogen in die Ben-Yehuda-Straße ein. Auch sie war eine breite, mit Bäumen bestandene Straße, und hier lag ein Boulevard-Café neben dem anderen. Jedes dieser Cafés hatte seine eigene Note und sein ganz bestimmtes Publikum. In dem einen trafen sich die Anwälte, in einem anderen die Sozialisten; hier die Künstler und dort die Geschäftsleute, und es gab auch ein Café, in dem vorwiegend ältere, pensionierte Leute saßen, die Schach spielten. Und alle Cafés auf der Ben-Yehuda-Straße waren voll von Leuten, die sich teils angeregt und teils aufgeregt unterhielten.