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»Ich bin 1933 aus Deutschland hierhergekommen. Mir war sehr bald klar, was kommen würde. Meine Frau ist kurz nach unserer Ankunft hier gestorben. Dann war ich Professor für klassische Philologie an der Universität in Jerusalem, bis mich Harriet Salzmann im Jahre 1940 fragte, ob ich nicht Lust hätte, hier oben ein Jugend-Aliyah-Dorf zu gründen. Das war genau das, was ich schon seit vielen Jahren gewünscht hatte. Dieses ganze Hochplateau wurde uns von dem verstorbenen Muktar von Abu Yesha geschenkt. Übrigens — haben Sie ein Streichholz?«

»Nein, tut mir leid.«

»Macht nichts. Ich rauche ohnehin zuviel.«

Sie kamen zu der Grünfläche in der Mitte des Dorfes. Von hier aus hatte man die beste Aussicht auf das Hule-Tal. »Unsere Felder liegen unten im Tal. Das Land wurde uns von dem Moschaw Yad El zur Verfügung gestellt.«

Sie blieben vor der Statue stehen. »Das ist Dafna. Sie stammte aus Yad El und fand als Angehörige der Hagana den Tod. Ari ben Kanaan hat sie sehr geliebt. Unser Dorf ist nach ihr benannt.«

Kitty durchzuckte es wie — ja, wie Eifersucht. Selbst als Statue war Dafna noch eine Rivalin, ihre bronzene Figur war von der gleichen rustikalen Derbheit, wie sie Jordana und die anderen Mädchen von Yad El besaßen, die gestern abend bei Ben Kanaans gewesen waren. Dr. Liebermann nahm Kitty am Arm und führte sie weiter. »Sehen Sie dort die Wohnhäuser der Kinder?«

»Ja.«

»Sie werden feststellen, daß alle Fenster auf die Felder unten im Tal gehen, so daß ihr erster Blick am Morgen und der letzte am Abend auf die Erde fällt, die sie bearbeiten. Die Hälfte des Unterrichts und der Ausbildung betrifft die Landwirtschaft. Von unserem Jugenddorf hier sind Gruppen aufgebrochen, die allein oder zusammen mit anderen vier neue Kibbuzim gegründet haben. Alles, was wir an pflanzlicher und tierischer Nahrung brauchen, erzeugen wir selbst. Wir weben sogar die Stoffe für einen großen Teil unserer Kleidung. Wir machen unsere Möbel selbst, und wir reparieren unsere landwirtschaftlichen Maschinen in unseren eigenen Werkstätten. Alle diese Arbeiten werden von den Kindern verrichtet. Sie haben auch ihre eigene Verwaltung, und eine sehr gute sogar.«

Sie kamen am anderen Ende der Grünfläche an. Unmittelbar hinter dem Verwaltungsgebäude wurde der schöne Rasenteppich jäh durch einen langen Schützengraben unterbrochen, der sich rings um die ganze Anlage zog. Als Kitty sich umblickte, sah sie weitere Laufgräben und einen Unterstand.

»Das ist nicht sehr schön«, sagte Dr. Liebermann, »und unsere Kinder begeistern sich nach meinem Geschmack viel zu sehr für kriegerisches Heldentum. Doch ich fürchte, das wird so bleiben müssen, bis wir unsere Unabhängigkeit erreicht und unsere Existenz auf etwas gegründet haben, das menschlicher ist als Waffen.«

Ari stand in dem hohen Wohnraum Tahas, des Muktars von Abu Yesha. Der junge Araber, sein langjähriger Freund, aß ein Stück Obst, das er von einer großen Schale genommen hatte, und folgte Ari, der unruhig im Raum auf und ab ging, mit seinem Blick.

»Bei den Konferenzen in London gibt es genug doppelzüngiges Gerede«, sagte Ari. »Ich finde, wir beide sollten offen miteinander reden.«

Taha warf das Obst zurück auf die Schale. »Wie soll ich es dir erklären, Ari? Man hat versucht, mich unter Druck zu setzen, doch ich habe mich nicht beeinflussen lassen.«

»Nein? Taha, du redest mit Ari ben Kanaan.« »Die Zeiten ändern sich.«

»Hör mal, Taha — eure und unsere Leute haben zweimal eine Zeit der Unruhen und Aufstände durchgemacht. Du bist in Yad El zur Schule gegangen, hast in meinem Elternhaus gewohnt und unter dem Schutz meines Vaters gestanden.«

»Ja, daß ich am Leben blieb, verdanke ich eurem Wohlwollen. Soll jetzt aber mein ganzes Dorf von eurem Wohlwollen abhängig sein? Ihr bewaffnet euch. Dürfen wir uns nicht auch bewaffnen? Oder traut ihr uns nicht mehr, wenn wir Gewehre haben? Wir haben euch vertraut!«

»Bist das wirklich du, der so zu mir spricht?«

»Ich wünsche, den Tag nicht zu erleben, an dem du und ich vielleicht einmal gegeneinander werden kämpfen müssen. Aber du weißt, daß die Passivität für uns beide leider eine Sache der Vergangenheit ist.«

Ari fuhr herum. »Was ist eigentlich in dich gefahren, Taha?« rief er zornig. »Also gut — dann darf ich dich vielleicht noch einmal daran erinnern. Diese steinernen Häuser in euerm Dorf wurden von uns entworfen und gebaut. Uns verdanken es eure Kinder, wenn sie jetzt lesen und schreiben können. Uns verdankt ihr es, daß ihr eine Kanalisation habt und daß eure Kinder nicht mehr sterben, bevor sie das Alter von sechs Jahren erreicht haben. Wir haben euch beigebracht, wie man den Boden vernünftig bearbeitet und wie man ein menschenwürdiges Leben führt. Wir haben euch Dinge verschafft, die euch eure eigenen Leute tausend Jahre lang nicht geben wollten. Dein Vater wußte das, er war überlegen genug, zuzugeben, daß der schlimmste Feind und Ausbeuter des Arabers der Araber ist. Er starb, weil er wußte, daß es zu eurem eigenen Besten ist, mit den Juden in Freundschaft zu leben, und weil er Manns genug war, zu dieser Einsicht zu stehen.«

Taha sprang auf. »Kannst du mir vielleicht garantieren, daß die Makkabäer nicht noch in dieser Nacht nach Abu Yesha kommen und uns alle umbringen?«

»Du weißt so gut wie ich, daß ich dir das nicht garantieren kann. Aber du weißt auch, daß die Makkabäer ebensowenig die Gesamtheit der Juden vertreten wie der Mufti die Gesamtheit der Araber.«

»Ich werde niemals meine Hand gegen Yad El erheben, Ari. Darauf gebe ich dir mein Wort.«

Ari ging. Er wußte, daß es Taha ernst mit dem gewesen war, was er gesagt hatte; doch Taha hatte nicht das Format, das sein Vater Kammal gehabt hatte. Gewiß, sie hatten einander Frieden zugesichert, und doch war ein Riß zwischen Yad El und Abu Yesha entstanden, genau wie bei allen anderen arabischen und jüdischen Ortschaften, die bisher friedlich nebeneinander gelebt hatten.

Taha sah seinem Freund nach, der das Haus verließ und zu der Straße ging, die nahe bei dem Fluß an der Moschee vorbeiführte. Er stand noch lange regungslos und nachdenklich, nachdem Ari verschwunden war. Von Tag zu Tag wurde der Druck, den man auf ihn ausübte, heftiger, und sogar in seinem eigenen Dorf meldeten sich unzufriedene Stimmen. Man machte ihm klar, daß er ein Araber und ein Moslem war und klar und eindeutig Stellung beziehen müsse. Was sollte er tun?

IV.

Dr. Ernst Liebermann, diesem komischen kleinen Mann mit dem Buckel, war es gegeben, eine grenzenlose Menschenliebe in Gan Dafna in die Wirklichkeit umzusetzen. Die ganze Atmosphäre war hier so gelockert wie in einem Ferienlager. Man ließ den Jugendlichen in ihrem Tun und Denken völlige Freiheit. Der Unterricht fand im Freien statt. Jungens und Mädchen lagen dabei in kurzen Hosen auf dem Rasen herum und waren so auch während des theoretischen Unterrichts der Natur nahe.

Die Bewohner des von Dr. Liebermann geleiteten Jugenddorfes kamen aus dem denkbar finstersten Milieu, aus dem Ghetto und dem Konzentrationslager. Dennoch war die Disziplin in Gan Dafna vorbildlich. Gehorsamsverweigerung gab es nicht. Diebstahl war unbekannt, und sexuelle Schwierigkeiten waren selten. Gan Dafna bedeutete für die Kinder alles, und ihre Antwort auf die Liebe, die ihnen hier entgegengebracht wurde, war die stolze Würde, mit der sie sich einordneten und ihre Gemeinschaft selbst regierten.

Der Rahmen dessen, was in Gan Dafna gelehrt, gelernt und gedacht wurde, war außerordentlich weit gespannt. Es fiel schwer, sich vorzustellen, daß die Mitglieder dieser Akademie Halbwüchsige waren. Die Bibliothek reichte von Thomas von Aquino bis zu Freud. Kein Buch war verboten, kein Thema schien zu hoch oder zu frei. Die Kinder waren politisch von einer Aufgeschlossenheit, die weit über ihre Jahre hinausging.