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Wie ein Besessener stürzte sich Herzl in die Arbeit. Er war eine zwingende Persönlichkeit und riß durch seine Begeisterung alle Menschen in seiner Umgebung mit. Er sicherte das Gewonnene, warb neue Anhänger, errichtete Stiftungsfonds und baute den Zionismus zu einer organisierten Bewegung aus. Dabei ging es ihm zunächst vordringlich darum, einen Staatsvertrag oder irgendeine andere legale Basis zu erreichen, auf der der Zionismus aufbauen konnte.

Innerhalb des Judentums bestand eine Spaltung. Herzl stieß immer wieder auf den Widerstand derjenigen Juden, die den Zionismus seines politischen Charakters wegen ablehnten. Viele der alten Zionsfreunde machten seinen Kurs nicht mit. In den Kreisen der strenggläubigen Juden verurteilte man Herzl voller Abscheu als falschen Propheten, während er in einem anderen Teil des Lagers als Messias gefeiert wurde. Doch die Bewegung, die er einmal ins Leben gerufen hatte, war nicht mehr aufzuhalten. Schon zählte sie Hunderttausende von Juden zu ihren begeisterten Anhängern, die als Ausweis ihrer Stimmberechtigung einen »Schekel« bei sich trugen. Herzl arbeitete über seine Kräfte. Er erschöpfte sein Privatvermögen, vernachlässigte seine Familie und überforderte seine Gesundheit. Noch hatte er keinen Staatsvertrag. Doch auch ohne diesen begann er schon, bei Staatsoberhäuptern zu antichambrieren, um mit ihnen über seine Ideen zu verhandeln. Der Sultan des wankenden ottomanischen Reichs, Abdul Hamid II., gewährte Herzl eine Audienz und schien nicht abgeneigt, den Zionisten gegen eine entsprechend hohe Summe Geldes einen Staatsvertrag für Palästina zu geben; denn der alte Despot brauchte dringend Geld. Dann aber lehnte er, in der Hoffnung auf ein noch besseres Geschäft, den Vorschlag der Zionisten ab. Ein schwerer Rückschlag für Herzl.

Schließlich zeigte sich England seinen Wünschen geneigt. Das britische Empire erweiterte um die Jahrhundertwende seine Einflußsphäre im Nahen Osten. Den Engländern war daher sehr daran gelegen, die Gunst des Judentums zu gewinnen, um ihre eigenen Pläne weiter verfolgen zu können. Sie boten den Zionisten einen Teil der Halbinsel Sinai für die Ansiedlung jüdischer Einwanderer an. Bei diesem Vorschlag ging man von der mehr oder weniger stillschweigenden Unterstellung aus, daß dieses Gebiet sozusagen unmittelbar vor der Tür zu dem Gelobten Land lag, und daß diese Tür offenstehe, sobald die Engländer die Herren im Lande waren. Doch der ganze Plan war zu unbestimmt, und weil Herzl immer noch hoffte, einen Staatsvertrag für Palästina zu erreichen, ließ man die Sache fallen.

Als weitere Versuche, zu einem Palästina-Vertrag zu gelangen, fehlschlugen, kamen die Engländer mit einem zweiten Vorschlag. Sie boten den Zionisten das afrikanische Territorium Uganda an. Da die Situation in Europa immer schwieriger wurde und Herzl die Überzeugung gewann, daß man eine provisorische Zuflucht schaffen müsse, um die Lage der Juden zu erleichtern, griff er den Vorschlag der Engländer auf und erklärte sich bereit, ihn dem nächsten Zionistenkongreß zu unterbreiten.

Doch als Herzl dem Kongreß den Uganda-Plan vorlegte, stieß er auf heftige Opposition, deren Wortführer die russischen Zionisten waren. Sie lehnten ihn ab, weil sie in der Bibel keinen Hinweis auf Uganda finden konnten.

Fünfundzwanzig Jahre unablässiger Pogrome in Rußland und in Polen hatten dazu geführt, daß die Juden jetzt zu Tausenden aus Osteuropa flohen. Um die Jahrhundertwende waren es fünfzigtausend, die den Weg nach Palästina gefunden hatten. Abdul Hamid II., der diese Einwanderer als Bundesgenossen der Engländer betrachtete, ordnete an, daß keine weiteren Juden aus Rußland, Polen oder Österreich ins Land durften. Doch die Dinge im Staate des Sultans waren »faul«, und die Bestechungsgelder der Zionisten hielten die Tür von Palästina für alle offen, die hineinwollten.

Dies war die erste Aliyah-Welle des jüdischen Exodus!

Doch während die Juden aus dem Exil in ihr Gelobtes Land zurückzukehren begannen, ereignete sich in der arabischen Welt etwas Neues. Nach Jahrhunderten der Unterjochung regte sich bei den Arabern eine schwelende, wachsende Unruhe, die den Beginn des arabischen Nationalismus ankündigte.

Das zwanzigste Jahrhundert! Chaos im Nahen Osten! Zionismus! Arabischer Nationalismus! Niedergang der ottomanischen und Aufstieg der britischen Macht! Das alles brodelnd in einem riesigen Kessel, der irgendwann kochen und überlaufen mußte.

Theodor Herzl vollendete seine Bahn mit der Leuchtkraft und der Schnelligkeit eines Kometen. Seit jenem Tag, an dem er Alfred Dreyfuß hatte rufen hören: »Ich bin unschuldig!« waren nur zehn Jahre verstrichen bis zu dem Tag, an dem er, vierundvierzigjährig, einem Herzschlag erlag.

VII.

Als die zionistische Bewegung aufkam, gehörten die beiden Brüder Rabinski in Palästina schon zur alten Garde. Sie kannten das Land in- und auswendig, und es gab kaum einen Beruf, in dem sie nicht gearbeitet hatten. Ihre Illusionen hatten sie fast samt und sonders eingebüßt.

Jakob war ruhelos und bitter. Yossi versuchte, seinem Dasein ein gewisses Maß von Befriedigung abzugewinnen. Er wußte die relative Freiheit zu schätzen, die er genoß. Außerdem träumte er nach wie vor von dem Land im Hule-Tal, oberhalb von Safed.

Jakob verachtete die Araber und die Türken. Er betrachtete sie genauso als Feinde wie in Rußland die Kosaken und die Gymnasiasten. Gewiß, die Türken duldeten nicht, daß man die Juden erschlug, doch alles andere, was man ihnen antat, schienen sie zu billigen. Manchen Abend und manche Nacht saßen Jakob und Yossi und diskutierten.

»Es stimmt schon«, sagte Jakob, »wir sollten das Land rechtmäßig erwerben, indem wir es kaufen — doch woher bekommen wir die Leute, die den Boden bearbeiten, und wie sollen wir die Beduinen und die Türken dazu bringen, daß sie uns in Ruhe lassen?«

»Leute, die den Boden bearbeiten, werden wir bekommen, sobald es mit den Pogromen wieder schlimmer wird«, antwortete Yossi. »Was die Türken angeht — die kann man kaufen. Und was die Araber angeht, so müssen wir lernen, Seite an Seite mit ihnen in Frieden zu leben. Das aber wird uns nur gelingen, wenn wir sie verstehen lernen.«

Jakob zog die Schultern hoch. »Das einzige, was ein Araber versteht, ist das da.« Und er hob die Faust und schüttelte sie.

»Du wirst eines Tages noch am Galgen enden«, sagte Yossi.

Die beiden Brüder entfernten sich in ihren Ansichten immer weiter voneinander. Yossi hielt an seinem Wunsch nach friedlicher Verständigung fest, und Jakob hielt nach wie vor den offenen Angriff für das beste Mittel, sich gegen Ungerechtigkeit zu schützen. Kurz nach der Jahrhundertwende schloß sich Jakob einer Gruppe von fünfzehn jungen Männern an, die ein kühnes Wagnis unternahmen. Eine der von den reichen Wohltätern dotierten Stiftungen erwarb einen Zipfel Land hoch oben im Yesreel-Tal, einem Gebiet, in das sich seit Jahrhunderten kein Jude mehr gewagt hatte. Hier errichteten die fünfzehn Pioniere eine Farm, die der Ausbildung von Landwirten, und der Erprobung landwirtschaftlicher Methoden dienen sollte. Sie nannten die Neusiedlung Sde Tov — Feld der Güte. Ihre Lage war außerordentlich gefährlich, denn sie waren rings von arabischen Siedlungen umgeben und auf Gnade oder Ungnade den Beduinen ausgeliefert, die nicht davor zurückscheuten, einen Mord zu begehen, wenn es etwas zu erbeuten gab. Um 1900 gab es in Palästina rund fünfzigtausend Juden. Yossi fand etwas mehr Geselligkeit. Von denen, die vor den Pogromen geflohen waren, wollten die meisten nichts mit den landwirtschaftlichen Siedlungen, die sich mühsam am Leben hielten, zu tun haben. Sie waren zufrieden, sich als Händler oder Kaufleute in Jaffa niederlassen zu können. Einige siedelten sich auch in der kleinen Hafenstadt Haifa an. Es gab jedoch zu viele neue Einwanderer, als daß alle ihr Auskommen als Handeltreibende hätten finden können. Allzu viele unter ihnen besaßen nichts weiter als das, was sie auf dem Leib trugen. Und es dauerte nicht lange, bis man die Frage der Landgewinnung ziemlich eifrig zu erwägen begann.