Выбрать главу

In einem schäbigen, heruntergewirtschafteten Hotel in Jaffa eröffneten die Zionisten ihr erstes Büro für den Ankauf von Land: die Zionistische Siedlungsgesellschaft. Auch die von Rothschild und Schumann ins Leben gerufenen Stiftungen gingen in verstärktem Maße daran, Land zu erwerben, um neue Siedlungen für die Heimkehrer zu errichten.

Um die Mitte des Jahres 1902 setzte sich die Schumann-Stiftung mit Yossi Rabinski in Verbindung und bot ihm den Posten eines Aufkäufers an. Es gab keinen Juden, der das Land besser kannte als er, und er war für seinen Mut, sich in arabisches Gebiet hineinzubegeben, bekannt. Außerdem verfügte er über das erforderliche Geschick, mit den Türken fertigzuwerden, denn offiziell durften die Juden nur in sehr geringem Umfang Land erwerben; und wer mit den arabischen Großgrundbesitzern Geschäfte machen wollte, mußte schlau und gerissen sein.

Yossi hatte einige Zweifel hinsichtlich der neuen Siedlungen. Von Spenden zu leben und Fellachen für sich arbeiten zu lassen, schien ihm nicht der richtige Weg zur Wiedergewinnung des Gelobten Landes; doch die Möglichkeit, Grund und Boden für die Juden zu erwerben, ließ ihn den Posten annnehmen.

Für diesen Entschluß gab es auch noch andere Motive. Yossi bekam dadurch die Möglichkeit, seinen Bruder Jakob häufiger zu sehen. Außerdem konnte er jede Ecke des Landes kennenlernen. Und schließlich reizte ihn die Möglichkeit, das Gebiet jenseits von Rösch Pina, der letzten jüdischen Ansiedlung, zu bereisen, um das Hule-Tal bei Abu Yesha wiederzusehen.

Yossi war wirklich ein prächtiger Anblick, wenn er auf seinem weißen Araberhengst angeritten kam. Er war jetzt ein Mann von dreißig Jahren, groß, hager und muskulös. Sein roter Bart stach leuchtend gegen das Weiß des Mantels und die arabische Kopfbedeckung ab, die er trug. Über seine Brust liefen Patronengurte, und an seiner Seite hing ein lederner Ochsenziemer, wenn er durch die Hügel von Samaria, über die Ebene von Scharon und weit hinein nach Galiläa ritt, auf der Suche nach Land.

Überall in Palästina befand sich das Land größtenteils im Besitz einer kleinen Gruppe mächtiger Familien arabischer Großgrundbesitzer. Sie überließen das Land den Fellachen gegen eine Pacht, die die Hälfte oder sogar drei Viertel der gesamten Ernte betrug, aber sie taten nicht das geringste für diese armen Schlucker. Yossi und die Aufkäufer der anderen Gesellschaften konnten Land nur zu unerhört hohen Preisen erwerben. Die Großgrundbesitzer verkauften den Juden nur die wertlosesten Grundstücke und unfruchtbare Sümpfe. Sie hielten es für ausgeschlossen, daß man mit diesem Land jemals etwas anfangen konnte; gleichzeitig aber war ihnen das »hebräische Gold« außerordentlich willkommen.

Yossi ritt häufig durch das Gebiet jenseits der letzten jüdischen Siedlung, Rösch Pina, und oft besuchte er dabei Kammal, den Muktar von Abu Yesha. Die beiden Männer wurden Freunde. Kammal, der einige Jahre älter war als Yossi, stellte eine seltene Ausnahme unter den arabischen Großgrundbesitzern dar. Die meisten Effendis lebten nicht auf ihren Ländereien, sondern in Orten, wo man sich amüsieren konnte, wie in Beirut oder Kairo. Bei Kammal war das anders. Ihm gehörte alles Land in und um Abu Yesha, und hier herrschte er als absoluter Monarch. Als junger Mann hatte er die Tochter eines armen Fellachen geliebt. Das Mädchen litt an der ägyptischen Augenkrankheit, doch Kammals Vater hatte nicht auf die Bitten seines Sohnes gehört, dem Mädchen ärztliche Hilfe angedeihen zu lassen. Kammals Vater war der Meinung, daß sich sein Sohn vier Frauen und so viele Konkubinen leisten konnte, wie er nur wollte. So sah er nicht ein, weshalb man sich wegen einer armseligen Fellachin Sorgen machen sollte. Das Mädchen wurde blind und starb vor ihrem achtzehnten Geburtstag.

Dieses Erlebnis brachte Kammal dazu, Widerwillen gegen die Anschauungen seiner eigenen Kaste zu empfinden. Der Verlust hatte ihn so tief getroffen, daß sich in der Folge bei ihm so etwas wie ein soziales Gewissen entwickelte. Er ging nach Kairo, nicht um sich in das Nachtleben dieser Stadt zu stürzen, sondern um Kenntnisse über fortschrittliche Methoden der Landwirtschaft, sanitäre Einrichtungen und Gesundheitspflege zu erwerben. Als sein Vater starb, kehrte er nach Abu Yesha zurück, entschlossen, hier unter den Menschen zu leben, für die er verantwortlich war, und ihre unwürdigen Lebensbedingungen zu verbessern.

Doch er kämpfte auf verlorenem Posten. Die Türken waren nicht bereit, im Dorf eine Schule zu bauen oder irgend etwas für die Verbesserung der sanitären Verhältnisse zu tun. Die Zustände im Dorf waren kaum anders, als sie vor tausend Jahren gewesen waren. Besonders schmerzlich war es für Kammal, daß es ihm nicht möglich war, das Wissen, das er erworben hatte, seinen Dorfbewohnern zugänglich zu machen. Sie waren so naiv und rückständig, daß sie einfach nichts begriffen. Zwar stand es in Abu Yesha, seit Kammal hier Muktar geworden war, besser als in irgendeinem anderen arabischen Dorf in Galiläa; doch die Verhältnisse waren noch immer primitiv.

Kammal fand es seltsam, daß jetzt plötzlich so viele Juden nach Palästina kamen, und da er dahinterkommen wollte, was das zu bedeuten hatte, pflegte er bewußt freundschaftlichen Umgang mit Yossi Rabinski.

Yossi versuchte, Kammal dazu zu bewegen, ihm ein Stück Land, das nicht kultiviert werden sollte, zu verkaufen, um eine jüdische Siedlung zu errichten; doch Kammal hatte Bedenken. Er fand diese Juden verwirrend. Er wußte nicht, ob man ihnen trauen konnte; denn zweifellos waren nicht alle so wie Yossi Rabinski. Außerdem wollte er nicht der erste Effendi sein, der im Hule-Tal Land verkaufte.

Wie Kammal von Yossi lernte, so lernte auch Yossi von Kammal. Bei aller Aufgeklärtheit war Kammal durch und durch Araber. Er hatte drei Frauen, von denen er niemals sprach, denn für einen Araber war die Frau nicht viel mehr als eine Sklavin. Kammal war stets gastfreundlich und höflich, doch wenn es ans Handeln ging, konnte er sehr hart sein. Gelegentlich bat er Yossi sogar um Rat in irgendeiner Sache, bei der es sich ausgesprochen darum handelte, jemanden übers Ohr zu hauen; doch das erschien dem Araber völlig legitim.

Durch Kammal erfuhr Yossi Rabinski vieles über die ruhmreiche und tragische Geschichte des arabischen Volkes. Er hörte von dem kometenhaften Aufstieg des Islam, von der Zeit, da Bagdad und Damaskus kulturelle Zentren gewesen waren wie einst Athen, von den Kriegen zwischen den Mohammedanern und den Kreuzrittern und von den Einfallen der Mongolen.

Die Araber hatten ihre Kräfte in endlosen Kämpfen erschöpft, bis schließlich der Glanz ihrer ruhmvollen Städte erloschen und die blühenden Oasen verfallen und versandet waren. Sie wandten sich mehr und mehr gegen sich selbst, in erbitterten Kämpfen, in denen Bruder gegen Bruder stand. So waren sie nicht mehr fähig, den letzten vernichtenden Schlag abzuwehren, den diesmal die eigenen Glaubensgenossen gegen sie führten. Die mächtigen Ottomanen eroberten das Land der Araber, und es folgten fünf Jahrhunderte des Feudalismus und der Korruption. Ein Tropfen Wasser wurde in der unfruchtbaren Wüste wertvoller als Gold und Spezereien. Das Leben wurde zu einem unablässigen, erbitterten Kampf um die nackte Existenz. Die arabische Welt, in der es kein Wasser mehr gab, zerfiel und versank im Dreck. Seuchen brachen aus, und überall herrschten Unwissenheit und Armut. In dieser Welt waren Betrug, Verrat, Mord und Blutrache an der Tagesordnung. Die grausame Wirklichkeit zwang den Araber zu einer Verhaltensweise, die Außenstehenden unverständlich war.

Für Yossi Rabinski hatte die Vielseitigkeit des arabischen Charakters etwas Faszinierendes. Stundenlang konnte er in Jaffa in den Läden stehen und den Arabern zusehen, die endlos feilschten und sich dabei laut beschimpften. Er sah, daß die Lebensart der Araber einem Schachspiel glich. Jeder Zug erfolgte mit hinterhältiger Schläue, die darauf ausging, den Partner zu überlisten.