Spät am Abend fand er es, jenseits von Abu Yesha, in der Nähe von Tel Chaj an der Grenze zum Libanon. Die mit Ziegenfell bespannten Zelte des Lagers standen unregelmäßig verstreut auf dem braunverwitterten Erdreich der Hügel. Diese ewigen Nomaden betrachteten sich als die reinsten und freiesten aller Araber und sahen mit Verachtung auf die ärmlichen Fellachen und auf die Bewohner der Städte herab. Das Leben des Beduinen war hart, doch er war ein freier Mann. Er war ein Kämpfer, der alle anderen Araber an Wildheit, und ein Händler, der alle anderen Araber an Gerissenheit übertraf.
Das Erscheinen des riesenhaften Fremden mit dem roten Bart verursachte allgemeinen Alarm. Die Frauen, in den schwarzen Gewändern der Beduinen, die Gesichter verhängt durch Ketten aus Münzen, brachten sich eilig in Sicherheit, als Yossi herangeritten kam.
Als er in der Mitte des Lagers angekommen war, kam ein negroider Araber auf ihn zu, offensichtlich ein Mann aus dem Sudan. Der Sudanese stellte sich als Suleimans Leibsklave vor und führte Yossi zu dem größten der Zelte, in dessen Nähe eine große Ziegenherde weidete.
Der alte Brigant kam aus seinem Zelt heraus. Er trug ein schwarzes Gewand und ein schwarzes Kopftuch. An seinem Gürtel hingen zwei reichverzierte silberne Dolche. Er war auf einem Auge blind, und sein Gesicht war von den Narben vieler Kämpfe bedeckt, zerfetzt von den Krallen der Frauen und den Messern der Männer.
Suleiman und Yossi musterten einander mit raschen Blicken, und der Besucher wurde in das Zelt geführt. Die Erde am Boden des Zeltes war mit Matten und Kissen bedeckt. Die beiden Männer ließen sich nieder. Suleiman befahl seinem Sklaven, Obst und Kaffee für den Gast zu bringen. Die beiden Männer rauchten gemeinsam aus einer langstieligen Wasserpfeife und tauschten eine halbe Stunde lang inhaltslose Höflichkeiten aus. Der Sklave brachte Reis mit Lammfleisch, und als Nachtisch gab es Melonen, während sie eine weitere Stunde lang Konversation machten. Suleiman war sich darüber klar, daß Yossi kein gewöhnlicher Jude sei und auch nicht in einer gewöhnlichen Mission gekommen war.
Schließlich fragte er Yossi nach dem Grund seines Besuches, und Yossi teilte ihm mit, daß Haschomer den Wachdienst übernommen haben, den bisher Suleiman versehen hatte. Er dankte ihm für seine treuen Dienste. Suleiman nahm diese Neuigkeit zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken. Yossi bat ihn um einen Handschlag, zur Besiegelung eines Freundschaftspaktes. Suleiman lächelte und gab ihm seine Hand.
Am späten Abend kam Yossi nach Rösch Pina und berief eine Versammlung der Farmer ein. Alle waren über das Vorhaben mit den Wachmannschaften entsetzt. Sie waren überzeugt, daß Suleiman ihnen die Kehle durchschneiden würde, wenn er davon hörte. Das Erscheinen von Yossi Rabinski und sein Versprechen, in Rösch Pina zu bleiben, trug sehr dazu bei, sie zu beruhigen.
Im Hintergrund des Versammlungsraums saß ein zwanzigjähriges Mädchen, das Yossi Rabinski nicht aus den Augen ließ und jedem seiner Worte lauschte. Sie hieß Sara und war erst kürzlich aus Polnisch-Oberschlesien nach Palästina gekommen. Sie war ebenso klein und schmal wie Yossi groß und breit war, und ihr Haar war so schwarz wie das seine rot. Sie war begeistert von seinem Anblick und vom Klang seiner Stimme.
»Sie sind neu hier«, sagte er nach der Versammlung zu ihr.
»Ja.«
»Ich bin Yossi Rabinski.«
»Jeder kennt Sie.«
Yossi blieb eine Woche in Rösch Pina. Er rechnete fest damit, daß Suleiman etwas im Schilde führte; doch er wußte, daß der Beduine schlau genug war, um abzuwarten. Yossi war unterdessen außerordentlich von Sara beeindruckt. Doch er hatte als Erwachsener wenig oder gar keinen Umgang mit jüdischen Mädchen gehabt, und in ihrer Gegenwart wurde er stumm und verlegen. Je mehr Sara ihn neckte, desto mehr zog er sich in sein Schneckenhaus zurück. Allen Leuten in Rösch Pina, mit Ausnahme von Yossi, war klar, daß er verliebt war.
Am neunten Tag kamen mitten in der Nacht ein Dutzend Araber auf leisen Sohlen nach Rösch Pina und machten sich mit mehreren Zentnern Getreide auf und davon. Yossi, der Wache hielt, sah sie kommen und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Er hätte sie mit Leichtigkeit auf frischer Tat ertappen können, doch es war für einen Beduinen nichts Ehrenrühriges, bei einem Diebstahl erwischt zu werden. Yossi hatte eine andere Strategie im Sinn.
Am nächsten Morgen schwang sich Yossi aufs Pferd und ritt ein zweites Mal zu dem Lager Suleimans. Diesmal aber war er mit seinem drei Meter langen ledernen Ochsenziemer bewaffnet. Er sprengte in vollem Galopp in das Lager hinein und auf das Zelt Suleimans zu. Er sprang vom Pferd. Der Sudanese kam heraus, begrüßte Yossi süßlich lächelnd und bat ihn, einzutreten. Yossi schlug ihn mit dem Handrücken zu Boden, so wie man eine Fliege von seinem Ärmel verscheucht.
»Suleiman!« rief er so laut, daß es im ganzen Lager zu hören war. »Komm heraus!«
Ein Dutzend Männer aus Suleimans Sippe standen plötzlich, wie aus dem Boden geschossen, vor ihm; sie hielten Gewehre in den Händen und machten erstaunte Gesichter.
»Komm heraus!« rief Yossi nochmals mit lauter Stimme.
Der alte Brigant ließ sich Zeit. Schließlich erschien er. Er trat vor das Zelt, legte die Hände an die Hüften und lächelte drohend. Die beiden standen sich in einer Entfernung von drei Metern gegenüber. »Wer meckert hier vor meinem Zelt wie eine kranke Ziege?« fragte Suleiman. Die Männer seiner Sippschaft schüttelten sich vor Lachen. Yossi hielt Suleiman unverwandt im Auge.
»Es ist Yossi Rabinski, der wie eine kranke Ziege meckert«, sagte er. »Und er sagt, daß Suleiman ein Dieb und ein Lügner ist!«
Das Lächeln auf Suleimans Gesicht veränderte sich zu einer bösartigen Grimasse. Die Beduinen warteten gespannt auf das Zeichen, sich auf den Juden zu stürzen.
»Nur zu!« sagte Yossi herausfordernd. »Ruf deine ganze Sippschaft zusammen. Deine Ehre ist nicht mehr wert als die eines Schweins, und wie ich höre, ist dein Mut nicht größer als der eines Weibes.« Sein Mut nicht größer als der eines Weibes! Das war die tödlichste Beleidigung, die es für Suleimans Ohren gab. Yossi hatte ihn persönlich herausgefordert.
Suleiman erhob die Faust und schüttelte sie. »Deine Mutter ist die übelste von allen Huren auf der Welt.«
»Mach nur so weiter, du Waschweib — du kannst ja doch nur reden«, gab Yossi zur Antwort.
Suleimans Ehre stand auf dem Spiele. Er zog einen seiner silbernen Dolche heraus und ging mit einem wilden Schrei auf den rotbärtigen Riesen los.
Yossis Ochsenziemer pfiff durch die Luft! Er wickelte sich um die Füße des Arabers, riß ihn mit einem Ruck hoch und ließ ihn zu Boden stürzen. Yossi war mit einem Satz über ihm. Er ließ den Ochsenziemer mit solcher Wucht auf Suleimans Rücken knallen, daß das Echo des Schlages von den Bergen widerhallte.
»Wir sind Brüder! Wir sind Brüder!« schrie Suleiman, nach dem fünften Schlag um Gnade bittend.
»Hör zu, Suleiman«, sagte Yossi. »Du hast mir dein Wort gegeben und es mit einem Handschlag besiegelt. Und du hast dein Wort gebrochen. Wenn du oder einer deiner Leute jemals wieder den Fuß auf eins unserer Felder setzt, dann werde ich dir mit diesem Ochsenziemer das Fleisch von den Rippen schlagen und die Fetzen den Schakalen zum Fraß vorwerfen.«
Yossi stand auf und durchbohrte mit seinem Blick die erstaunten Beduinen. Sie waren starr vor Verblüffung. Noch nie hatten sie einen Mann erlebt, der so stark, so furchtlos und so wütend war.
Ohne sich auch nur im geringsten um ihre Gewehre zu kümmern, wandte ihnen Yossi den Rücken, ging zu seinem Pferd, stieg auf und ritt davon.
Suleiman und seine Leute rührten nie wieder ein jüdisches Feld an. Als Yossi am nächsten Morgen aufsaß, um zum Berge Kanaan und zu seinen Leuten zurückzureiten, fragte ihn Sara, wann er zurückkäme. Er murmelte irgend etwas in seinen Bart. Er komme ungefähr jeden Monat einmal nach Rösch Pina. Dann grüßte er und galoppierte davon, und Sara fühlte, wie dieser Abschied sie schmerzte. So wie Yossi Rabinski war kein anderer — kein Jude, kein Araber, kein Kosak und auch kein König! Sie sah ihm nach, wie er davonritt, und schwor sich, diesen Mann bis an das Ende ihres Lebens zu lieben.