Der nächste, der den Franzosen Schwierigkeiten bereitete, war Faisal, der Sohn des Scherifs von Mekka und Anführer der angeblichen arabischen Revolte im ersten Weltkrieg. Faisal kam nach Damaskus, setzte sich hier auf den Thron und rief sich selbst zum König eines neuen großarabischen Staates und zum neuen Oberhaupt des Islams aus. Die Franzosen verjagten ihn aus Syrien. Faisal begab sich nach Bagdad, wo ihm die Engländer bessere Behandlung zusicherten. Sie belohnten ihren treuen Diener, indem sie aus der Provinz Mesopotamien einen neuen Staat machten. In diesem neuen Staat, dem sie den Namen Irak gaben, setzten sie Faisal als König ein.
Faisal hatte einen Bruder namens Abdullah, den man gleichfalls belohnen mußte. Ohne hierzu vom Völkerbund autorisiert zu sein, machten die Engländer aus einem Teil des Mandatsgebietes von Palästina einen weiteren neuen Staat. Sie nannten ihn Transjordanien und setzten Abdullah als Emir ein. Sowohl Faisal als auch Abdullah waren Todfeinde von Ibn Saud, der es abgelehnt hatte, den Engländern im ersten Weltkrieg zu helfen.
So ergab sich für die Engländer alles zum Besten. Im Irak und in Transjordanien, ihren beiden Neuschöpfungen, saßen britische Marionetten auf dem Thron. Die Engländer hatten Ägypten, den Suez-Kanal, die Erdölfelder des Mossul-Gebietes und das PalästinaMandat. Außerdem hatten sie an verschiedenen Stellen der arabischen Halbinsel ein Dutzend »Protektorate«.
Mit Palästina war die Sache schon schwieriger. Dort konnte man keine britischen Marionetten einsetzen. Die Balfour-Deklaration war von der ganzen Welt ratifiziert worden. Darüber hinaus waren die Engländer auch durch die Bestimmungen des Mandats verpflichtet, hier eine jüdische Heimstätte zu schaffen. Außerdem hatten ihnen die Juden eine demokratisch gewählte Quasi-Regierung präsentiert, den Jischuw-Zentralrat, die einzige demokratische Körperschaft, die es im gesamten Gebiet des Nahen Ostens gab.
Barak ben Kanaan, Chaim Weizmann und eine Reihe weiterer führender Zionisten traten mit Faisal, dem damaligen Oberhaupt der arabischen Welt, zu einer Verhandlung von historischer Bedeutung zusammen. Zwischen den Juden und den Arabern wurde ein gegenseitiger Freundschaftspakt abgeschlossen, durch den sich beide Seiten verpflichteten, die Interessen der anderen zu respektieren. Die Araber begrüßten die Rückkehr der Juden und erkannten ihre historischen Rechte auf Palästina und ihr menschliches Recht auf eine Heimat an. Außerdem erklärten die Araber offen, daß sie die Urbarmachung des Bodens durch die Juden und das »Hebräische Gold«, das sie ins Land brachten, durchaus begrüßten. Genau wie in allen anderen Teilen der arabischen Welt gab es auch in Palästina keine repräsentative arabische Regierung. Als die Engländer die Araber aufforderten, eine vertretende Körperschaft zu bilden, begann der übliche innerarabische Streit. Die verschiedenen Interessengruppen einflußreicher Familien mit großem Grundbesitz vertraten jeweils nur einen kleinen Bruchteil des arabischen Volkes. Die mächtigste dieser Familien war der El-Husseini-Klan, der im Gebiet von Jerusalem große Ländereien besaß. Das Oberhaupt dieses Klans, vor dem alle anderen arabischen Großgrundbesitzer eine Heidenangst hatten, war der verschlagenste, hinterhältigste Intrigant in diesem Teil der Welt, der dafür bekannt war, daß es hier verschlagene und hinterhältige Intriganten gab. Sein Name war Hadsch Amin el Husseini. Hadsch Amin, der ursprünglich auf Seiten der Türken gekämpft hatte, hielt nach dem Sturz des Reiches der Ottomanen seine Chance für gekommen, um an die Macht zu gelangen, genau wie ein Dutzend anderer Führer in den verschiedenen Teilen der arabischen Welt. El Husseini aber hatte einen Klan von Teufeln hinter sich.
Durch einen ersten Schachzug wollte er Palästina in die Hand bekommen. Es erschien ihm als die richtige Eröffnung, sich zunächst einmal in die Stellung des Mufti von Jerusalem hineinzumanövrieren. Jerusalem wurde in seiner Bedeutung als heilige Stadt des Islams nur von Mekka und Medina übertroffen. Nach dem Fall der Ottomanen wurde die Stellung des Mufti von Jerusalem, die bis dahin hauptsächlich ein Ehrenamt gewesen war, innerhalb der Welt des Islams sehr bedeutend. Moslems in aller Welt sandten riesige Geldspenden für die Erhaltung der heiligen Stätten. Über diese Gelder, die früher von Konstantinopel verwaltet worden waren, sollte nunmehr der Mufti von Jerusalem verfügen. Wenn es Hadsch Amin gelang, sich dieses Postens zu bemächtigen, konnte er diese Gelder dazu verwenden, um seine eigenen Ziele weiterzuverfolgen. Und noch aus einem anderen Grund wünschte er sich das Amt des Mufti. Die Fellachen von Palästina waren zu neunundneunzig Prozent Analphabeten. Die einzige Möglichkeit zur Massenbeeinflussung war die Kanzel. Die Fellachen neigten dazu, auf die leiseste Aufforderung hin mit einem hysterischen Ausbruch zu reagieren, und diese hysterische Reizbarkeit konnte unter Umständen ein wirksames politisches Machtmittel darstellen.
Als der alte Mufti starb, wurde ein Nachfolger gewählt. Die Effendis, denen Hadsch Amins Machtgelüste bekannt waren, hüteten sich wohlweislich, ihm ihre Stimme zu geben. Er kam erst an vierter Stelle. Das schreckte ihn jedoch wenig, denn die Angehörigen seines Klans waren eifrig damit beschäftigt, die drei anderen Kandidaten, die mehr Stimmen bekommen hatten, kräftig unter Druck zu setzen und sie zu »überreden«, auf die Annahme des Amtes zu verzichten. So wurde Hadsch Amin el Husseini tatsächlich, sozusagen durch Versäumnisurteil, Mufti von Jerusalem.
Das größte Hindernis für die Verwirklichung seiner Pläne erblickte er in der Rückkehr der Juden nach Palästina. Bei Gelegenheit eines kirchlichen Festes, das die Mohammedaner zur Erinnerung an die Geburt von Moses begehen, stachelte Hadsch Amin el Husseini in seiner Eigenschaft als Mufti die Fellachen zum Haß gegen die Juden auf. Der Mob wurde hysterisch, und die Folge war ein Pogrom! Der Mob ging in seiner Hysterie allerdings nicht so weit, seine Wut gegen die Städte und die Kibbuzim zu richten, also gegen Orte, wo die Juden in der Lage waren, sich zur Wehr zu setzen. Statt dessen erschlugen sie wehrlose Juden, fromme alte Leute in den heiligen Städten Safed, Tiberias, Hebron und Jerusalem.
Ruth, die zu Besuch in Schoschana gewesen war und sich auf dem Rückweg nach Ejn Or befand, war gerade in Tiberias, als der Aufruhr ausbrach. Sie hatte ihre kleine Tochter Scharona bei sich. Beide kamen ums Leben.
Es dauerte Monate, bis es Akiba gelang, seinen bitteren Schmerz zu überwinden. Doch der Schmerz hinterließ eine tiefe und schwärende Narbe, die nie mehr wieder ganz heilen sollte.
Viele der Siedlungen hatten den Engländern, als diese die Verwaltung des Mandatsgebietes übernahmen, ihre Waffen übergeben. Wären die Araber darauf verfallen, diese Siedlungen anzugreifen, hätten sie wehrlose Menschen niedergemetzelt. Die Engländer waren für die Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich, und die Juden von Palästina erwarteten von ihnen, daß sie die Araber zur Räson bringen und die Verbrecher zur Rechenschaft ziehen würden. Die Engländer bildeten einen Untersuchungsausschuß, und Hadsch Amin el Husseini wurde für schuldig befunden. Doch man gewährte ihm Pardon!
Unmittelbar danach faßte das britische Kolonialamt einen Beschluß, durch den die jüdische Einwanderung nach Palästina auf das Maß des »ökonomisch Tragbaren« beschränkt wurde. Dies geschah zur gleichen Zeit, als der neue Staat Transjordanien entstand. Für den Jischuw bedeutete es das Ende eines geschichtlichen Abschnitts. Die Periode des britischen Wohlwollens war vorüber. Der Jischuw-Zentralrat und die Zionistische Siedlungsgesellschaft beriefen eine geheime Versammlung nach Tel Aviv ein, an der fünfzig der führenden Jischuw-Mitglieder teilnahmen. Chaim Weizmann kam mit dem Flugzeug von London. Barak war dabei, ebenso Akiba, noch immer voll schmerzlicher Trauer. Auch Jitzchak ben Zwi war anwesend.
Unter den Teilnehmern befand sich ein junger Mann von gedrungenem Körperbau, mit buschigen Augenbrauen, der unter den Juden der zweiten Aliyah-Welle eine führende Stellung eingenommen hatte. Er hieß David ben Gurion. Viele waren der Meinung, daß dieser feurige Zionist, der ständig die Bibel zitierte, dazu ausersehen sei, Führer des Jischuw zu werden. Außerdem war da ein Mann namens Avidan, der mit der dritten Aliyah-Welle gekommen war, ein bärenstarker Kerl mit einem kahlen Schädel. Avidan war nach Palästina gekommen, nachdem er sich im Kriege als russischer Offizier hervorgetan hatte. Er stand an kriegerischem Ruhm nur dem gefallenen Helden Trumpeldor nach, und es hieß von ihm, daß er dazu ausersehen sei, Führer einer jüdischen Verteidigungs-Streitmacht zu werden.