Jetzt endlich hielten die geplagten Neusiedler für einen Augenblick in ihrer schweren Arbeit inne und nahmen sich die Zeit, ein Fest zu feiern. Und was für ein Fest! Pioniere aus den Kibbuzim und Moschawim der ganzen Gegend, die den Leuten von Yad El geholfen hatten, kamen, um daran teilzunehmen. Es kamen Araber von Abu Yesha, und eine ganze Woche lang ging es hoch her, bis in den Morgen hinein. Alle kamen und besahen sich die Tochter von Barak und Sara. Man nannte sie Jordana, nach dem Fluß, der am Rande von Yad El entlangfloß.
Die Errichtung von Yad El hatte eine ungeheure Wirkung auf die Araber von Abu Yesha. Barak erfüllte alles, was er zugesagt hatte. Er richtete Lehrgänge für die Araber ein, um sie im Gesundheitswesen, der Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen und neuen Methoden der Landbestellung zu unterweisen. Die Schule von Yad El stand jedem arabischen Knaben aus Abu Yesha offen, der Lust hatte, sie zu besuchen. Der Arzt und die Krankenschwester der Siedlung waren auf Abruf jederzeit für die Araber bereit.
Kammals Lieblingssohn, ein Junge namens Taha, war ein paar Jahre jünger als Ari. Von früh auf hatte Kammal in seinem Sohne Taha das tiefe Verlangen, das auch ihn erfüllte, wachgerufen, die Lebensverhältnisse der Fellachen zu verbessern. Als zukünftiger Muktar von Abu Yesha verbrachte Taha mehr Zeit in Yad El als in seinem eigenen Dorf. Er war der persönliche Schützling der Familie Ben Kanaan. Taha und Ari wurden enge Freunde.
Während die Bewohner von Yad El und Abu Yesha miteinander in Frieden lebten und den Beweis dafür lieferten, daß Araber und Juden trotz der zwischen ihnen bestehenden kulturellen Unterschiede einträchtig Seite an Seite existieren konnten, bekamen viele der anderen Effendifamilien es langsam mit der Angst zu tun, als sie sahen, mit welchem Schwung die Juden der dritten Aliyah-Welle an die Arbeit gegangen waren und was sie zustande gebracht hatten. Dieses Beispiel konnte sich verheerend auswirken. Wie, wenn die Fellachen anfingen, gleichfalls Schulen, sanitäre Maßnahmen und ärztliche Einrichtungen zu verlangen!
Und was sollte daraus werden, falls sich die Fellachen, Gott behüte, mit dem Gedanken befreundeten, ihre Gemeinschaftsbelange ebenso wie die Juden durch demokratische Abstimmung zu regeln, bei denen nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen stimmberechtigt waren! Das konnte unter Umständen für das so wunderbar funktionierende Feudalsystem der Effendis den Todesstoß bedeuten!
Um diese gefährliche Entwicklung aufzuhalten, sprachen die Effendis die Unwissenheit, die mißtrauische Angst und den religiösen Fanatismus der Fellachen an. Sie betonten immer wieder, daß die Juden Eindringlinge aus dem Westen waren, die darauf ausgingen, dem Fellachen ihr Land zu stehlen. In Wirklichkeit hatten die Effendis selbst den Juden dieses Land verkauft, um viel hebräisches Gold an sich zu bringen.
Da es viele Jahre lang keinen größeren Zwischenfall mehr gegeben hatte, setzte sich Hadsch Amin el Husseini erneut in Bewegung. Es war im Jahre 1929. Diesmal inszenierte er kaltblütig einen Zwischenfall, mit dem er die Araber erneut zu verärgern gedachte. Die Stelle in Jerusalem, auf der der Felsendom, die Moschee Omars, stand, wurde von den Moslems als heilig verehrt. Von dieser Stelle aus war, wie sie glaubten, ihr Prophet Mohammed in den Himmel aufgefahren. Genau an dieser Stelle stand noch eine erhaltene Mauer des jüdischen Tempels, der im Jahre 76 v. Chr. von den Römern zum zweitenmal zerstört worden war. Diese Tempelmauer war für die Juden die heiligste aller Stätten. Fromme Juden kamen hierher, um zu beten und die vergangene Größe Israels zu beweinen. Durch die Tränen der Juden wurde diese Mauer in aller Welt als die »Klagemauer« bekannt.
Der Mufti brachte gefälschte Fotos in Umlauf, auf denen Juden zu sehen waren, die bei der Klagemauer standen, im Begriff, die heilige Stätte des Islams, den Felsendom, zu »entweihen«. In ihrem muselmanischen Fanatismus fielen die Fellachen erneut über die Juden her, diesmal mit Hilfe des Klans der Husseini und anderer Effendis. Auch diesmal richtete sich ihre Wut gegen die wehrlosen alten Juden, die in den heiligen Städten lebten. Das Massaker war noch umfangreicher als bei dem Pogrom, den der Mufti zehn Jahre vorher inszeniert hatte. Die Unruhe griff um sich. Die Straßen waren unsicher, und auf beiden Seiten stieg die Zahl der Toten in die Tausende. Auch diesmal waren die Engländer nicht in der Lage, dem Gemetzel Einhalt zu gebieten.
Sie entsandten einen Untersuchungsausschuß. Er stellte fest, daß die Schuld eindeutig bei den Arabern lag. Dann aber setzten sich die Engländer paradoxerweise über den Inhalt der Balfour-Deklaration und die Bestimmungen des Mandatsvertrages hinweg und schlugen vor, den Erwerb von Grund und Boden durch die Juden und die jüdische Einwanderung zu beschränken, »um so die Furcht der Araber zu beschwichtigen«.
XIV.
In dem Jahr, in dem diese schwelenden Unruhen ausbrachen, 1929, trafen die Siedler von Yad El ein Abkommen mit dem Müller des arabischen Dorfes Ata, das rund zehn Kilometer von Yad El entfernt war.
Barak betraute Ari mit der Aufgabe, nach Ata zu fahren, um das Korn von Yad El dort mahlen zu lassen. Sara war dagegen, einen Jungen von vierzehn Jahren allein über Land zu schicken, zumal bei der gegenwärtigen gespannten Lage und den Unruhen. Doch Barak war eisern. »Weder Ari noch Jordana sollen wie Ghetto-Juden in Angst leben«, sagte er.
Ari war stolz auf das Zutrauen, das sein Vater zu ihm hatte, als er sich auf den Eselskarren schwang. Der Karren war mit einem Dutzend Säcke voll Korn beladen. Ari fuhr los, die Straße entlang nach Ata.
In dem Augenblick, als er in das Dorf hineinfuhr, wurde er von einem Dutzend Araberjungen entdeckt, die in der Nähe des Kaffeehauses herumlungerten. Sie warteten, bis er um die Ecke gebogen war und schlichen ihm dann nach zu der Mühle.
Ari, voll Stolz über seine Wichtigkeit, dachte nur an seinen Auftrag. Er brachte sein Anliegen in einwandfreiem Arabisch vor, das er von seinem Freund Taha gelernt hatte. Das Korn wurde zu Mehl gemahlen. Ari paßte genau auf, daß die Säcke mit dem Korn gefüllt wurden, das er gebracht hatte, und nicht etwa mit einem Mehl aus arabischem Weizen von minderer Qualität. Der Müller, der gehofft hatte, einen Sack von dem Mehl für sich auf die Seite bringen zu können, war baß erstaunt, wie genau der Junge aufpaßte. Ari lud die Säcke mit dem Mehl auf und machte sich auf den Rückweg nach Yad El.
Die Araberjungen, die in einem Versteck gewartet hatten, machten mit dem Müller in aller Eile aus, Aris Mehl zu stehlen und es dem Müller zu verkaufen. Sie liefen im Galopp los, überholten Ari auf einem Abkürzungsweg, bauten ein Straßenhindernis und legten sich in den Hinterhalt.
Kurz darauf lief Ari, der auf der Straße herankam, direkt in die Falle. Die Jungen sprangen aus der Deckung hervor und warfen mit Steinen nach ihm. Ari gab dem Esel die Peitsche. Nach wenigen Metern aber kam er an das Hindernis und konnte nicht weiter.
Ein Stein traf ihn ins Gesicht. Er fiel vom Wagen und stürzte halb bewußtlos auf die Straße. Vier der Angreifer warfen sich über ihn und hielten ihn fest, während die anderen die Säcke von der Karre holten und sich damit davonmachten.
Spät abends kam Ari nach Yad El zurück. Sara, die ihm die Tür aufmachte, warf einen Blick auf sein blutbeschmiertes Gesicht und seine zerfetzte Kleidung; sie schrie laut auf. Ari stand einen Augenblick wortlos vor ihr, dann biß er die Zähne aufeinander, schob sich an seiner Mutter vorbei, rannte in sein Zimmer und schloß sich ein. Obwohl seine Mutter ihn anflehte, die Tür aufzumachen, kam er erst wieder zum Vorschein, als Barak von einer Versammlung nach Hause kam.