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Mit geschwollenen und aufgeplatzten Lippen stand er vor seinem Vater. »Ich habe versagt. Ich habe das Mehl nicht zurückgebracht.« »Nein, mein Sohn«, sagte Barak. »Ich bin es, der hier versagt hat.« Sara stürzte zu Ari und nahm ihn in die Arme. »Schick den Jungen nicht wieder allein los, nie mehr, nie mehr!« Sie ging mit ihm fort, um ihm das Blut abzuwaschen. Barak sagte nichts.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück nahm Barak, bevor er aufs Feld hinausging, Ari bei der Hand und führte ihn zur Scheune. »Ich habe bei deiner Erziehung etwas vergessen«, sagte er und nahm seinen alten Ochsenziemer vom Haken.

Dann baute er eine Strohpuppe und nagelte sie an die Scheunenwand. Er zeigte Ari, wie man die Entfernung schätzt, wie man zielt, ausholt und das Leder durch die Luft sausen läßt. Beim Geräusch des ersten Schlages kam Sara mit Jordana im Arm angelaufen.

»Bist du wahnsinnig geworden, dem Jungen beizubringen, wie man mit einem Ochsenziemer umgeht?«

»Schweig!« brüllte Barak in einem Ton, wie sie ihn in ihrer mehr als zwanzigjährigen Ehe noch nie von ihm gehört hatte. »Der Sohn Barak ben Kanaans ist ein freier Mann! Er soll niemals ein GhettoJude sein. Und jetzt verschwinde hier — wir haben zu tun.«

Von morgens bis abends übte sich Ari im Gebrauch des Ochsenziemers. Er schlug den Strohmann kurz und klein. Er zielte nach Steinen, Konservendosen und leeren Flaschen, bis er sie mit einer raschen Drehung des Handgelenks traf. Er übte so lange, bis er den Arm kaum noch heben konnte.

Nach zwei Wochen belud Barak den Eselskarren abermals mit einem Dutzend Kornsäcken. Er legte seinem Sohn den Arm um die Schulter, ging mit ihm zu dem Karren und überreichte ihm den Ochsenziemer.

»Fahr mit dem Korn nach Ata und laß es mahlen.«

»Ja, Vater«, sagte Ari ganz ruhig.

»Und vergiß eines nicht, mein Sohn: was du da in deiner Hand hältst, ist Wehr und Waffe der gerechten Sache. Verwende sie nie im Zorn oder aus Rache. Nur zur Verteidigung.«

Ari sprang auf den Karren und fuhr los zum Tor nach Yad El. Sara ging in ihr Schlafzimmer und weinte leise vor sich hin, während sie ihrem Sohn nachsah, der die Straße entlangfuhr und schließlich verschwand.

Barak tat etwas, was er viele, viele Jahre lang nicht getan hatte. Er setzte sich in eine Ecke und las in der Bibel.

Auch diesmal kamen die Araber wieder aus ihrem Hinterhalt hervor, als Ari auf dem Rückweg nach Yad El ein Stück außerhalb von Ata war. Diesmal hielt Ari die Augen offen und war auf der Hut vor der Gefahr. Er dachte an die Worte seines Vaters und blieb ganz ruhig. Als die ersten Steine geflogen kamen, sprang er mit einem Satz vom Wagen, nahm sich den Anführer der Araber aufs Korn, ließ den mächtigen Ochsenziemer pfeifend durch die Luft sausen, daß sich das Ende um den Hals des Arabers wickelte, und riß ihn mit einem Ruck zu Boden. Dann ließ er das Leder mit solchem Schwung heruntersausen, daß es seinem Gegner ins Fleisch schnitt. Das alles ging sehr rasch.

Barak ben Kanaans Gesicht wurde bleich, als die Sonne zu sinken begann und Ari noch immer nicht zurück war. Zitternd stand er am Tor von Yad El. Endlich sah er den Eselskarren auf der Straße herankommen, und sein Gesicht begann zu strahlen. Ari hielt bei seinem Vater an.

»Nun, Ari, wie war die Fahrt?«

»Ganz in Ordnung!«

»Ich werde die Säcke abladen. Du gehst vielleicht besser gleich zu deiner Mutter. Sie scheint sich aus irgendeinem Grund Sorgen gemacht zu haben.«

Ari ben Kanaan hatte nicht nur die Statur seines Vaters; er war ihm auch im Wesen sehr ähnlich. Er war von der gleichen Besonnenheit und Entschiedenheit, und auch er hielt es für wichtig, den arabischen Nachbarn genauer kennenzulernen. Taha blieb einer seiner nächsten Freunde, und auch allen anderen Arabern begegnete er mit Verständnis und Teilnahme.

Ari verliebte sich in ein Mädchen namens Dafna, deren Familie ganz in der Nähe auf einem Bauernhof lebte. Niemand wußte genau, wie und wann es eigentlich passiert war, doch es stand für alle fest, daß Ari und Dafna eines Tages heiraten würden. Die beiden hatten nur füreinander Augen.

Die kleine rothaarige Jordana war ein sehr lebhaftes Mädchen, wild und eigensinnig. In vieler Weise war sie typisch für die in Palästina geborenen Kinder der Neusiedler. Die Eltern dieser Kinder, die im Ghetto aufgewachsen waren und erfahren hatten, wie schlimm und erniedrigend es oft war, Jude zu sein, waren entschlossen, dieses Gefühl der neuen Generation zu ersparen. Sie taten des Guten fast zuviel, ständig bestrebt, ihre Kinder zu freien und furchtlosen Menschen zu erziehen.

Im Alter von fünfzehn Jahren gehörte Ari der Hagana an, der geheimen jüdischen Armee. Im Alter von dreizehn Jahren verstand Dafna, mit einem halben Dutzend Waffen umzugehen; denn diese Generation, die einen neuen Typ von Juden darstellte, war zugleich eine Generation, die mit einem geschichtlichen Auftrag heranwuchs, der noch wichtiger und schwieriger war als die Aufgabe der zweiten und dritten Aliyah-Welle.

Die Hagana war inzwischen stark genug geworden, um dämpfend und besänftigend auf die Störungsmanöver des Mufti zu wirken. Doch sie war nicht in der Lage, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Die Engländer setzten abermals Untersuchungsausschüsse ein, und abermals wurden die Araber reingewaschen.

Die britische Ängstlichkeit führte dazu, daß der Mufti dreister wurde.

Kurze Zeit, nachdem die Unruhen abgeklungen waren, berief Hadsch Amin el Husseini führende Moslems aus aller Welt zu einem Kongreß nach Jerusalem. Er konstituierte eine Panarabische Föderation, an deren Spitze er selbst stand und proklamierte seinen Kampf zur Verteidigung des Islams gegen Engländer und Juden. Die Vernichtung der jüdischen Heimstätte wurde als »heilige Mission« aller Araber erklärt. Doch während die arabischen Demagogen Brandreden hielten und bald gegen die Engländer, bald gegen die Juden wetterten, nahmen die Engländer alles schweigend hin.

Im Jahre 1933 traf die Juden ein neuer schwerer Schlag, als Adolf

Hitler und die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Wieder einmal wurde die Notwendigkeit einer nationalen Heimat für die Juden, wurde die Richtigkeit der zionistischen Idee bestätigt. Es zeigte sich, daß der Judenhaß überall auf der Welt erneut aufflammen konnte. Herzl hatte es gewußt, und jetzt war sich jeder Jude darüber klar.

Die deutschen Juden, die vor Hitler flohen, waren anders als die Juden aus dem Ghetto und aus Osteuropa. Sie waren keine überzeugten Anhänger des Zionismus, sondern hatten sich weitgehend assimiliert und in die deutsche Gesellschaft eingeordnet. Diese Einwanderer waren nicht Siedler oder Händler, sondern Mediziner, Juristen, Wissenschaftler und Künstler.

Die arabischen Anführer riefen alle Araber auf, in den Generalstreik zu treten, um gegen die neue jüdische Einwanderung zu protestieren. Man versuchte auch, neue Unruhen zu inszenieren. Doch beide Bemühungen schlugen fehl. Die meisten Araber, die mit den Juden Handel getrieben hatten, taten dies auch weiterhin, weil die beiden Partner wirtschaftlich aufeinander angewiesen waren, und vielerorts arabische und jüdische Gemeinden in ähnlich enger Freundschaft miteinander lebten wie Yad El und Abu Yesha. Außerdem stand die Hagana Gewehr bei Fuß bereit, um eine Wiederholung der Ausschreitungen des Jahres 1929 zu verhindern.

Die Engländer reagierten auf den Generalstreik mit noch mehr Gerede und weiteren Untersuchungsausschüssen. In der klaren Absicht, die aufgebrachten Araber zu beschwichtigen, beschränkten die Engländer diesmal die jüdische Einwanderung und den Erwerb von Grund und Boden durch die Juden auf ein absolutes Mindestmaß. Genau in dem Augenblick, da für die Juden die ungehinderte Einwanderung von so verzweifelter Dringlichkeit war, hielten sich die Engländer nicht mehr an ihre Zusagen.

Der Jischuw-Zentralrat ging mit Hilfe der Hagana auf die einzig mögliche Weise dagegen an: durch illegale Einwanderung — Aliyah Bet.

Der Mufti setzte die Engländer so lange unter Druck, bis sie der Royal Navy den Auftrag gaben, vor der Küste von Palästina eine Blockade zu errichten und die Aliyah-Bet-Schiffe aufzuhalten.