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Aris Leute kamen zu neunzig Prozent von einem Kibbuz oder Moschaw. Die Erschließung und Bearbeitung des Landes war ihnen so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie nicht lange an irgendeiner Stelle sein konnten, ohne zu versuchen, irgend etwas anzubauen. Sie fingen an, auch in Hamischmar den Boden zu bestellen! Sie waren unter dem Vorwand hergekommen, einen Kibbuz zu errichten, und bei Gott, jetzt wollten sie aus Hamischmar auch wirklich einen Kibbuz machen. Die landwirtschaftliche Bearbeitung eines Berghanges war für sie etwas völlig Neues, und besonders schwierig war sie an einer Stelle, wo es bis auf die seltenen Regenfälle keinerlei natürliche Bewässerung gab. Doch sie machten sich auch an diese Aufgabe mit dem gleichen Schwung, mit dem sie die Sümpfe des Jesreel-Tals und die ausgetrocknete und verwitterte Ebene von Scharon wieder urbar gemacht hatten. Sie legten an den Hängen Terrassen an und baten die Zionistische Siedlungsgesellschaft um Geld zum Ankauf von landwirtschaftlichen Geräten.

Der Jischuw-Zentralrat und die Führer der Hagana waren so begeistert über den Erfolg der hartnäckigen jungen Leute von Hamischmar, daß sie beschlossen, auch künftig einzelne Neusiedlungen an Punkten zu errichten, die von strategischer Bedeutung für die Abwürgung der arabischen Rebellion waren.

Eines Nachts lag Ari in seinem Zelt und schlief fest, als ihn jemand wachrüttelte.

»Komm, Ari, rasch!«

Er warf seine Decke ab, nahm sein Gewehr und rannte hinter den anderen her zu den südlichen Feldern, auf denen gerade Terrassen zum Anbau von Wein angelegt wurden. Dort stand eine Gruppe aufgeregt herum. Alle verstummten, als sie Ari herankommen sahen. Er drängte sich hindurch und starrte auf die Erde. Sie war voll Blut. Fetzen einer blauen Bluse lagen am Boden. Eine blutige Spur führte von der Stelle in die Berge. Ari sah die Umstehenden an. Keiner sagte etwas.

»Dafna«, sagte Ari tonlos.

Zwei Tage später fanden sie ihre Leiche. Man hatte ihr die Hände abgehackt, Nase und Ohren abgeschnitten und die Augen ausgestochen.

Niemand sah Ari ben Kanaan eine Träne vergießen. Von Zeit zu Zeit verschwand er für mehrere Stunden. Er kam mit bleichem Gesicht zurück. Doch er zeigte weder Trauer noch Haß, nicht einmal Wut. Er erwähnte ihren Namen nie mehr.

Ein halbes Dutzend arabischer Ortschaften in der Nähe von Hamischmar wartete voller Angst auf einen Vergeltungsangriff. Doch er erfolgte nicht. Ari ben Kanaan war durch und durch Soldat. Die Juden in Hamischmar und einem halben Dutzend anderer Neusiedlungen, die gleichfalls an strategisch wichtigen Punkten errichtet waren, hielten stand. Die neue Taktik beeinträchtigte zwar die Revolte des Mufti, konnte sie aber nicht unterbinden.

In dieses Durcheinander kam ein englischer Major namens P. P. Malcolm.

Major P. P. Malcolm war bei Ausbruch der Revolte des Mufti zum Intelligence Service in Jerusalem versetzt worden. Er war ein Einzelgänger. P. P. gab wenig auf sein Äußeres und nichts auf militärische Tradition. Er hielt Förmlichkeit für etwas Lächerliches. Er konnte seine Ansichten unverhohlen und notfalls mit größter Schärfe äußern, aber er konnte auch tagelang tief in Gedanken versinken; dann kam es vor, daß er sich weder rasierte noch kämmte. Er hatte eine sehr scharfe Zunge und verfehlte nie, seine Umgebung zu schockieren. Er war exzentrisch und galt bei den anderen Offizieren als ausgefallene Type. Er war groß und hager, hatte ein knochiges Gesicht und hinkte leicht. Alles in allem war er genauso, wie ein englischer Offizier nicht sein sollte.

Als Malcolm nach Palästina kam, sympathisierte er mit den Arabern, weil das für einen britischen Offizier zum guten Ton gehörte. Doch diese Sympathien dauerten nicht lange. Innerhalb kurzer Zeit war aus P. P. Malcolm ein fanatischer Zionist geworden. Wie die meisten Christen, die sich für den Zionismus begeistern, war auch P. P. Malcolm ein wesentlich entschiedenerer und fanatischerer Anhänger dieser Idee als irgendein Jude. Er lernte bei einem Rabbi Hebräisch und verbrachte jede freie Minute damit, die Bibel zu lesen. Er war davon überzeugt, daß es Gottes Plan war, die Juden wieder zu einer Nation werden zu lassen. Er studierte sehr genau die Feldzüge, von denen die Bibel berichtet, und machte sich mit den Taktiken Josuas, Davids und Gideons vertraut, für den er sich besonders begeisterte. Schließlich war er überzeugt, daß seine Versetzung nach Palästina eine göttliche Fügung war. Er, P. P. Malcolm, war von Gott dazu ausersehen, die Kinder Israels auf dem Weg zu ihrem hohen Ziel anzuführen.

Malcolm fuhr in einer alten Karre, die er billig beim Schrotthändler erworben hatte, kreuz und quer durch Palästina. Wo es keine Straßen gab, hinkte er mit seinem schief eingeschraubten Bein zu Fuß durch das Land. Er besuchte jedes Schlachtfeld aus biblischer Zeit, um die taktischen Begebenheiten an Ort und Stelle zu rekonstruieren.

Die Leute wunderten sich oft, wieso man einen Mann wie Malcolm beim britischen Oberkommando duldete. General Charles, Kommandeur der Streitkräfte in Palästina, war sich ganz einfach darüber klar, daß Malcolm ein Genie war, einer dieser seltenen Rebellen mit völlig eigener Meinung, die es auch unter den Militärs gelegentlich einmal gab. Malcolm fand die englischen Handbücher über Kriegführung zum Lachen, hatte für die darin vertretenen strategischen Ansichten nur Verachtung übrig und hielt die gesamte englische Armee größtenteils für glatte Geldverschwendung.

Eines Abends ließ P. P. Malcolm seinen Wagen stehen, als gleich zwei Reifen auf einmal keine Luft mehr hatten, und ging zu Fuß auf der Straße nach Yad El weiter. Als er die äußere Verteidigungslinie überschritt, kamen ein halbes Dutzend Posten auf ihn zu. Er lächelte, winkte mit der Hand und rief: »Gut gemacht, Jungs! Aber jetzt seid so nett und bringt mich zu Barak ben Kanaan.«

Malcolm ging aufgeregt in Baraks Wohnzimmer hin und her. Sein

Äußeres war noch stärker vernachlässigt als sonst. Eine geschlagene Stunde lang hielt er Barak ben Kanaan einen Vortrag über die Größe des Zionismus und den geschichtlichen Auftrag der hebräischen Nation. Schließlich sagte er: »Und jetzt sollen Sie hören, Ben Kanaan, was mich zu Ihnen geführt hat. Ich werde die Hagana übernehmen und daraus eine erstklassige Truppe machen. Ihr habt da das beste Rohmaterial, das mir jemals vor die Augen gekommen ist.« Barak blieb der Mund offen.

Malcolm sah zum Fenster hinaus. Er sah die Wassersprüher, die sich auf den Feldern drehten, und in der Ferne konnte er Abu Yesha sehen, das unterhalb von Fort Esther am Hang lag.

»Sehen Sie sich dieses Fort da oben an — Esther, wie ihr es nennt — ich nenne es Fort Sturheit. Die Araber brauchen weiter nichts zu tun, als einen Bogen darum zu machen. Die Engländer werden das nie lernen.«

»Major Malcolm«, sagte Barak, »wollen Sie mir nicht verraten, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?«

»Es ist allgemein bekannt, daß Barak ben Kanaan gerecht und unparteiisch ist«, sagte Malcolm. »Offen gestanden, die meisten Juden reden zuviel. In meiner jüdischen Armee werden sie keine zehn Worte zu sagen haben. Das Reden besorge ich ganz allein.« »Davon haben Sie mich bereits durchaus überzeugt«, sagte Barak. »Hm«, brummte Malcolm und sah weiter zum Fenster hinaus. Dann drehte er sich plötzlich herum, und in seinen Augen brannte die gleiche Intensität, wie sie Barak oft bei seinem Bruder Akiba gesehen hatte.

»Kämpfen!« rief Malcolm. »Das ist es, was wir tun müssen — kämpfen! Es geht um die jüdische Nation, Ben Kanaan, um den Gehorsam gegenüber der Vorsehung!«

»Ich bin da mit Ihnen durchaus einer Meinung; man braucht mich darauf nicht erst aufmerksam zu machen.«

»Doch, darauf muß man Sie aufmerksam machen — euch alle muß man darauf aufmerksam machen — solange ihr euch in euren Siedlungen verschanzt und darin bleibt. Wir müssen zu diesen Ungläubigen hingehen und sie züchtigen! Wenn ein Araber aus seinem Kaffeehaus herauskommt und aus einer Entfernung von tausend Metern blindlings einen Schuß auf eine jüdische Siedlung abgibt, dann hält er sich für einen tapferen Mann. Es ist an der Zeit, diesen finsteren Heiden auf den Zahn zu fühlen. Hebräer, das ist es, was ich brauche, hebräische Soldaten! Arrangieren Sie sofort, daß ich mit Avidan sprechen kann. Die Engländer sind zu dumm, um meine Methoden zu begreifen.«