Er sagte: »Na schön, Greg, ich verstehe. Ich will Ihnen was sagen. Sie fangen mit Experimenten ja erst Ende des Semesters an; richten Sie sich bis dahin in Emmetts Labor ein. Dort brauchen Sie ja nur gelegentlich Ihre theoretischen Arbeiten zu erledigen, und Charlie wird Ihnen Platz machen, dass Sie Ihre Bücher und Sachen unterbringen können. Im nächsten Semester, wenn Sie mit Ihren Versuchen richtig anfangen, wird Charlie über seiner Dissertation sitzen, und dann können Sie seinen Platz einnehmen. Ihr derzeitiges Labor bekommt dann ein anderer, wenn es soweit ist.«
Simpsons Gesicht leuchtete auf. »Oh, danke, Professor Brade. Das ist fein, vielen Dank.«
Brade lächelte etwas verkrampft und sagte dann: »Aber warten Sie noch einen Augenblick!«
Simpson, der schon aufgestanden war, setzte sich wieder hin und machte ein beklommenes Gesicht. Brade hatte plötzlich daran denken müssen, dass Ralph unter den Studenten nicht der einzige war, der Zugang zu seinem Labor hatte. Simpson, der das Labor mit ihm teilte, hatte einen eigenen Schlüssel.
»Etwas ganz anderes jetzt, Greg - und ganz unter uns, ja? Im Institut hier sind kleinere Diebstähle vorgekommen.«
»Oh?« Der Student dämpfte die Stimme sofort zu einem Flüstern.
»Wir stellen da jetzt Nachforschungen an, und ich hätte gern gewusst, ob Sie das Gefühl haben, dass im Laufe der letzten Monate jemand in Ihrem Labor war, der dort nichts zu suchen hatte.« Simpson blickte vor sich hin und überlegte. Dann hob er den Kopf wieder und sah Brade direkt an. »Nein, Sir.«
»Haben Sie nichts bemerkt? Irgendein Gegenstand, der plötzlich woanders lag? Der nicht mehr da war?«
»Nein, Sir, ich habe nichts bemerkt.«
»Hat Ralph vielleicht etwas davon erwähnt?«
»O nein, Professor Brade.« Der junge Mann sagte das rasch und mit Nachdruck.
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher. Ralph hat nie ein Wort mit mir gesprochen. Nie. Ich habe ein paar Mal >Guten Tag( gesagt, wenn ich ins Labor kam, aber er hat nie geantwortet, und da habe ich es auch gelassen. Ich hatte den Eindruck, dass er etwas gegen meine Anwesenheit hatte, wissen Sie, so als ob es sein Labor gewesen wäre und ich nicht das Recht gehabt hätte, mich dort aufzuhalten. Einmal kam ich nur in die Nähe seines Arbeitsplatzes, als er gerade die Daten eines Experiments notierte, und da klappte er sein Notizbuch zu und drehte sich zu mir herum, als wollte er mich gleich umbringen. Ich bin ihm daraufhin immer zwei Meter vom Leib geblieben. Womit ich nicht sagen will, dass er nicht nett gewesen wäre.«
»Ich verstehe. Jetzt, wo er tot ist.« »Verzeihung?«
»Sie müssen sich über dieses Verhalten doch geärgert haben.«
Simpson sagte bedächtig: »Ich habe ihn einfach ignoriert. Man hatte mich auch vor ihm gewarnt.«
»Gewarnt? Wieso?«
»Dass er gern einen Streit anfing und so.« »Hatten Sie einmal einen Streit mit ihm?« »Ich habe mich einfach von ihm ferngehalten.« »Sie sind zweiundzwanzig Jahre alt, nicht wahr?« Simpson sah ihn erstaunt an. »Ja, Sir.«
Brade nickte. »Na schön, Greg. Ihr Problem ist jetzt gelöst, ja?« »Ja, Professor Brade. Und nochmals vielen Dank.« Brade saß jetzt allein in seinem Büro und überlegte, was er weiter tun sollte. Simpson, dessen war er nun ganz sicher, kam nicht in Frage; er war noch ein harmloser Junge. Er schien eher sanftmütig und passiv veranlagt zu sein, der Typ, der einem Streit aus dem Weg zu gehen suchte, wie er es ja auch selbst gesagt hatte. Freilich, wer die offene Auseinandersetzung scheute, hatte auch keine Gelegenheit, Dampf abzulassen. Der Druck konnte sich steigern und eines Tages gewaltsam nach außen drängen. Du liebe Güte, wie sollte er dieses Rätsel lösen? Er war doch kein Detektiv. Er wusste wirklich nicht, was er tun sollte.
Er hob den Hörer ab und rief zu Hause an. Doris meldete sich mit ihrem neutralen »Hallo«. Es ließ keinen Schluss auf ihre seelische Verfassung zu.
»Hallo, Doris. Alles in Ordnung?«
»Natürlich. Und bei dir? Was hat Littleby gewollt?«
Er erzählte es ihr in wenigen Worten. Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen. Dann sagte sie: »Wie war er so ganz allgemein?« »Er schien nicht gerade erfreut zu sein.«
»Hat er angedeutet, dass es deine Schuld sei?«
»Nein, das nicht, aber der Todesfall ist natürlich keine Reklame für die Universität. Ralph war mein Student, und die Sache färbt deshalb auf mich ab. Diesen Eindruck hatte ich. Und ich glaube, er sähe es lieber, wenn wir morgen abend nicht bei ihm erscheinen.«
»Wir werden aber hingehen«, entgegnete Doris kategorisch. »Ja, ja, ich habe gesagt, wir würden kommen.«
Eine kurze Pause, dann fragte Doris: »Wie fühlst du dich?« »Etwas komisch. Ich bin eine Art Berühmtheit. Du hättest meine Studenten in der Vorlesung sehen sollen. Ich glaube, kein einziger hat richtig hingehört. Alle haben darauf gewartet, dass ich zusammenbreche oder eine Pistole ziehe und zu ballern anfange oder sonst etwas. Cap Anson war danach eine richtige Entspannung.« »Wieso? Was hat er denn gemacht?«
»Nichts, das ist es ja gerade. Er hat nach der Vorlesung auf mich gewartet und von seinem Buch angefangen. Das war das einzig Normale an diesem Tag heute.« Davon, dass Anson am nächsten Morgen kommen wollte, beschloss er nichts zu sagen, jedenfalls nicht am Telefon.
Doris sagte: »Na schön. Pass gut auf dich auf und spiel nicht den Detektiv, hörst du, Lou? Du weißt, was ich meine.« »Ich weiß, ja. Bis später.«
Er lächelte grimmig vor sich hin. Spiel nicht den Detektiv! Gott, wenn er nur gewusst hätte, wie man das macht!
Er hob den Hörer noch einmal ab und ließ sich mit Jean Makris verbinden.
»Jean Makris? Professor Brade.«
>Ja, Professor Brade? Kann ich etwas für Sie tun?«
»Können Sie mir Roberta Goodhues Telefonnummer sagen?« Er hatte sie irgendwo notiert, war aber jetzt nicht in der Stimmung, danach zu suchen.
Jean Makris' Stimme bekam einen lebhafteren Klang. »Selbstverständlich, Professor. Ist sie heute nicht im Hause?« »Ich glaube nicht.« »Na, ich hoffe nur, sie ist nicht krank.« Ihre Stimme tönte aber recht fröhlich dabei. »Soll ich für Sie anrufen?« »Nein, geben Sie mir nur die Nummer, bitte. Und - Miss Makris?« »Ja, Professor Brade?«
»Haben Sie Roberta angerufen und ihr von dem Unglück hierbei uns erzählt?«
»Ja, das habe ich. Hätte ich das nicht tun sollen? Ich dachte, man müsste es ihr sagen, wo sie doch auch zu Ihren Doktoranden gehört wie Ralph Neufeld, und - na ja -«
»Aha. Haben Sie auch Mr. Emmett und Mr. Simpson verständigt, die zwei anderen Doktoranden?«
Diesmal trat eine Pause ein, und als die Stimme der Sekretärin wieder zu hören war, klang sie ein wenig verlegen. »Nein, Professor Brade, das habe ich nicht. Sehen Sie -«
Aber Brade unterbrach sie. »Schon gut, nicht weiter wichtig. Geben Sie mir jetzt bitte Robertas Nummer.«
Er wählte die Nummer, und es läutete am andern Ende erst ein paar Mal, ehe der Hörer abgenommen wurde. »Ja?« meldete sich eine gedämpfte Stimme. »Roberta? Hier Professor Brade.«
»Oh, guten Tag, Professor. Sagen Sie nur nicht, heute morgen war ein Seminar, und ich habe es verschwitzt.«
»Nein, nichts dergleichen, Roberta. Ich wollte mich erkundigen, wie es Ihnen geht.«
»Oh.« Es trat eine Pause ein, und Brade malte sich aus, wie sie sich zusammennahm, damit man ihr nichts anmerkte. »Danke, es geht mir gut. Ich komme nachher zur Arbeit ins Labor.« »Fühlen Sie sich auch imstande dazu?« »Unbedingt.« »Na schön, Roberta, wenn es Ihnen nichts ausmacht, vielleicht -« Er hielt inne und sah auf die Uhr. Es war zwanzig vor zwölf, und er wollte sie nicht drängen, aber andererseits wohnte sie nur fünf Minuten von der Universität entfernt. »Vielleicht könnten Sie schon um zwölf hier sein?« Wieder eine Pause. >Ja, das geht.«