»An alle Geschützmannschaften!« quäkte ein Lautsprecher. »Bei 21:12:30 Ortszeit feuern alle Stationen gleichzeitig!«
Starr hielt Roger die Augen auf die Uhr gerichtet; aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie kaum erkennbar schlanke Pfeile auf den Körper zurasten, detonierten und das Objekt offensichtlich nicht zu beschädigen vermochten.
»Dieser Teufelskasten!« fluchte Roger. Mit der flachen Hand hieb er zum richtigen Zeitpunkt wieder auf den Feuerknopf. Aus fünfhundert Laserkanonen schlug dem fremden Schiff eine Feuerflut entgegen, während gleichzeitig ein Hagel von Raketen heranfegte. Doch auch diese geballte Vernichtungskraft reichte nicht aus, das Schiff auch nur vom Kurs abzubringen.
Und dann schoß der Fremde zurück.
Roger sah nicht, wie der blaßblaue Strahl auf seine Station hinunterzuckte; er hörte nur ein ohrenbetäubendes Krachen, fühlte den Boden unter seinen Füßen schwanken und sah, wie die Decke zeitlupenhaft auf ihn herabsackte.
Nur der Tatsache, daß der Geschützstand mehr als hundert Meter unter der Erdoberfläche lag, verdankte der Mann sein Leben. Er wurde achtundvierzig Stunden später leicht verletzt, aber immerhin noch lebend, aus den Trümmern geborgen.
Er war glücklicherweise der einzige Verletzte.
»Stichwort Blockade!« rief Moltion Gambral durchdringend.
Marsh unterdrückte mit Mühe ein Stöhnen, als die hypnotische Barriere in seinem Hirn schwand und eine Fülle von Informationen sintflutartig auf ihn einstürzte. Dann aber wußte er, was zu tun war. So rasch er konnte, nahm er wieder vor dem Schaltpult Platz und hieb den Fahrthebel nach vorne; mit aufbrüllenden Maschinen schoß das Schiff vorwärts. Gambral hatte inzwischen einen Schalter betätigt; unmittelbar neben ihm versank ein Schott im Boden und gab den Blick auf einen Leitstand frei, in dem der Morcone in rasender Eile Platz nahm.
»Auf Kollisionskurs gehen!« riet Marsh.
Avidan stand wie versteinert; niemand kümmerte sich mehr um ihn und seine Begleiter. Wie Artisten waren die Crewmitglieder auf ihre Stationen gehetzt.
»Schirm steht!« meldete Gambral; Marsh bestätigte.
Auf dem Panoramaschirm strahlte der Flammenschweif einer Abfangrakete auf. Unwillkürlich schrie Avidan auf, als das Geschoß detonierte, doch die Energie verpuffte wirkungslos. Nicht einmal ein Rütteln war im Innern des Schiffes zu spüren.
»Belastung unter einem Prozent!« meldete Gambral. Marsh nahm die Meldung nur unbewußt zur Kenntnis; er war damit beschäftigt, hinter dem fremden Schiff herzujagen, das so plötzlich im Sonnensystem aufgetaucht war.
»Kennen Sie diese Konstruktion?« fragte Marsh. Es handelte sich um drei sehr schlanke zusammengekoppelte Zylinder. Auf der Spitze des Bündels saß eine Halbkugel, aus deren kleinem Fenster ein grünes Licht fiel.
»Keine Ahnung!« schrie Gambral. »Auf Morcos ist ein solches Schiff nie gesehen worden.«
Während Marsh die DREADNOUGHT immer näher an den Fremden heranschob, beobachtete General Avidan das Geschehen auf dem Panoramaschirm. Deutlich konnte er die Schußbahnen der Laserkanonen und die Antriebsgase der Abfangraketen sehen – und daß der Fremde sich an diesem Widerstand nicht störte.
Energien, die den Mond hätten zerstückeln können, prallten wirkungslos an dem Schirmfeld des Fremden ab; dafür zeigten die Waffenstrahlen des unbekannten Schiffes eine umso größere Wirkung. Der Fremde gab einen einzigen Schuß ab – auf die Geschützstation im Mount Rushmore. In einer gewaltigen Wolke verschwand der Berg; nur einzelne hausgroße Felstrümmer flogen in die Höhe und krachten auf den Erdboden zurück.
»Ich habe ihn im Visier!« meldete Gambral, der darauf wartete, die Geschütze der DREADNOUGHT gegen den Fremden einsetzen zu können.
»Warten Sie noch etwas!« keuchte Marsh, der unablässig versuchte, mit dem Schiff näher an den Fremden heranzukommen; bei dem verrückten Kurs, den der Fremde flog, erwies sich das als äußerst anstrengend.
Während Garfield sich mit dem freien Arm den Schweiß von der Stirn wischte, warf er einen flüchtigen Blick auf die Belastung des eigenen Schirmfeldes. Obwohl auch das morconische Schiff im konzentrierten Feuer der irdischen Geschütze lag, war der Schirm der DREADNOUGHT nur zu zehn Prozent ausgelastet.
»Kernschußweite!« meldete Gambral ruhig.
»Gut. Versuchen Sie es!« sagte Marsh.
Jetzt zeigten die Kontrollbildschirme, wie sich die Kuppel auf der Außenhaut der DREADNOUGHT öffnete und die Stacheln der Strahlkanonen sich vorschoben. Das Schiff erbebte, als Moltion Gambral eine Breitseite auslöste. General Avidan und die vier Männer wurden zu Boden geschleudert. Die anderen fühlten, wie sich die Anschnallgurte zusammenzogen und ins Fleisch schnitten.
»Treffer!« schrie Gambral begeistert. Sein Monitor zeigte an, wie ein halbes Dutzend Waffenstrahlen auf den Schirm des Fremden krachten; das schützende Feld strahlte plötzlich in zehnfacher Helligkeit auf. Das Schiff wurde taumelnd aus seinem Kurs geworfen.
Der Fremde schien die Waffen des morconischen Schiffes wesentlich mehr zu fürchten als das rasende Feuer der irdischen Laser. Das Schiff beschleunigte mit aller Kraft und zog hoch, in Richtung Mond.
Die DREADNOUGHT setzte dem Fremden nach. Wieder feuerte Gambral eine Breitseite ab. Er hatte auf das Antriebssystem des Fremden gezielt und es auch getroffen. Das Schirmfeld des Fremden war dieser Belastung nicht gewachsen und brach sekundenlang zusammen. Ein irdischer Laser feuerte zufällig in diesem kurzen Intervall und traf ebenfalls. Aus dem Heck des Schiffes schlug eine Stichflamme; zerfetztes Metall wirbelte davon, und an den Bordwänden zeigten sich rotglühende Schmelzspuren. Dann stand das Schirmfeld wieder, und der Laserstrahl verpuffte wirkungslos.
Immerhin hatte der Treffer ausgereicht, die Fahrt des Schiffes erheblich zu verlangsamen.
»Jetzt geben wir ihm den Rest!« jubelte Arvid. Marsh winkte ab.
»Genug geschossen!« bestimmte er. »Immerhin haben wir das Feuer nicht eröffnet.« Ein verächtlicher Blick traf General Avidan.
»Nun, Herr General«, fragte Marsh kalt. »Wollen Sie uns noch immer prophylaktisch abschießen?«
Die Begleiter des Generals schluckten, und einer sagte halblaut: »Gegen dieses Schiff kommen wir nicht auf.«
»Sehr richtig!« bemerkte Marsh kalt. »Die DREADNOUGHT ist technisch so weit überlegen, daß wir die Erde ohne das geringste Risiko für uns verwüsten könnten. Doch daran ist keinem von uns gelegen. Die Morconen brauchen unsere Hilfe, und der Preis, den sie dafür zu zahlen bereit sind, ist unsere Eintrittskarte in die Unendlichkeit – ein mehr als anständiger Tausch. Und dank der unendlichen Klugheit und Vorsicht unseres liebenswürdigen Generals haben wir Erdenmenschen es verstanden, uns innerhalb von wenigen Minuten einen Feind zu schaffen. Oder glauben Sie, daß der Fremde zu Hause berichten wird, er sei von uns mit offenen Armen aufgenommen worden?«
General Avidan wand sich förmlich unter Marshs Worten, die wie Schläge auf ihn niederprasselten. Doch Marsh war noch nicht am Ende.
»Ich bin sicher«, sagte er, »daß wir, wo immer wir im All sein mögen, von jedem fremden Volk gastlich aufgenommen werden. Nur auf der Erde wird man statt mit offenen Armen mit geöffneten Geschützkuppeln empfangen. Und wie die Bemerkung Ihrer werten Begleiter zeigte, hat sich an dieser Einstellung nichts geändert. Man will uns nicht etwa akzeptieren, weil es vollkommen unsinnig ist, in jedem Besucher einen künftigen Angreifer zu sehen – nein, man heißt uns willkommen, weil die Erde diesem Schiff nichts entgegenzusetzen hat. Mit anderen Worten: Sobald die Erde mächtig genug ist, wird man uns abschießen.«
»Marsh«, bat Margalo und legte ihm die Hand auf den Arm. »Sei nicht so empfindlich.«
Marsh preßte die Kiefer zusammen und drehte sich noch einmal zu Avidan um.
»In spätestens zwei Stunden wünsche ich auf der Erde zu landen. Mit der DREADNOUGHT. Und anschließend möchte ich wieder mein Haus beziehen – ohne Aufpasser und staatlich bezahlte Mörder!«