Avidan nickte bleich. »Wir werden dafür sorgen«, versprach er heiser.
Wenige Minuten später gingen er und seine Begleiter von Bord.
»Kontakt!« meldete der Chefingenieur zur Zentrale.
»Verstanden!« gab Marsh zurück. »Legen Sie alles still.«
Er ging kurz die Checkliste durch und stellte alle Geräte auf Null; allmählich erstarben die Geräusche im Schiff, bis nur noch die Anlagen der Mannschleuse arbeiteten. Ein Blick auf den Schirm zeigte, wie sehr sich der Raumhafen in den letzten zehn Jahren verändert hatte – das Gelände war größer und moderner geworden, und auch die Schiffskonstruktionen hatten sich verändert.
»Gehen wir!« sagte Marsh und stand von seinem Sessel auf.
Eine halbe Stunde später standen drei Menschen vor dem Tower des Hafens – Marsh, Moltion Gambral und Margalo. Am Fuß des Towers befand sich ein Taxistand. Marsh gab dem Fahrer seine Adresse an; der Mann sah verblüfft auf. »Wo soll denn das sein?« fragte er interessiert.
So gut es ging, versuchte Marsh die Gegend zu beschreiben, in der sein Haus zu finden war.
»Keine Ahnung, Mister!« sagte der Fahrer kopfschüttelnd. »Die Gegend kenne ich überhaupt nicht.«
Umständlich fischte er aus dem Handschuhfach eine Karte hervor und forderte Marsh auf, den fraglichen Ort zu bezeichnen. Marsh suchte eine Zeitlang, dann hatte er entdeckt, daß aus dem nahegelegenen See, in dem er oft gebadet hatte, mittlerweile ein Berg von über 400 Meter Höhe geworden war.
Zehn Minuten später konnte er das Kunstprodukt selbst sehen – sein Haus sah aus, wie er es verlassen hatte, stand aber jetzt am Fuß des Berges. Der Garten war verwildert, und die große Video-Antenne starrte von Schmutz und Rost.
»Das ist der Dank des WSC!« knurrte Marsh, nachdem er das Taxi bezahlt hatte. »Alles verkommen.«
Im Innern des Hauses fand er Staub vor, der schon fast als Sediment bezeichnet werden konnte; eine aparte Konstruktion aus Spinnweben durchzog sämtliche Räume. Kopfschüttelnd beobachtete Marsh, wie nach den Fußtritten der anderen die Staubwolke auf dem Teppich aufflog und für Augenblicke die ursprüngliche Farbe wieder sichtbar wurde.
»Eine prachtvolle Aufgabe für Gertrude!« sagte Marsh.
»Wer bitte ist Gertrude?« erkundigte sich Margalo mißtrauisch.
»Wenn ich vorstellen darf«, sagte Marsh freundlich und öffnete den Schrank, in dem sich Gertrude aufzuhalten hatte, wenn sie nicht gebraucht wurde. Ein Knopfdruck genügte, um den Reinigungsrobot in Tätigkeit zu versetzen; methodisch machte sich die eiserne Hausgehilfin daran, die Wohnung von den Spuren einer mehrjährigen Abwesenheit zu befreien. Bereits nach zehn Minuten war das große Wohnzimmer gesäubert, und im offenen Kamin knisterte ein Holzfeuer.
»Wenigstens ist die Bar noch gefüllt«, stellte Marsh zufrieden fest.
Er überreichte Margalo einen trockenen Sherry, Moltion Gambral versuchte sich an einem uralten Cognac, während Marsh feststellte, daß seine Whiskyhausmarke in den Jahren nur an Qualität gewonnen hatte. Während in den Nebenräumen Gertrude mit enormer Geräuschentwicklung ihren robotischen Beschäftigungsdrang austobte, machten es sich die drei in den großen Sesseln bequem.
»Was meinen Sie, Marsh«, sagte Moltion nach einigem Zögern, »wird die Erde uns helfen?«
Marsh grinste diabolisch. »Eigentlich ist es keine Hilfe. Es ist vielmehr ein Tauschgeschäft, bei dem Ihr Volk kräftig übers Ohr gehauen wird. Rechnen Sie einmal nach – es wird die Industrie auf der Erde ungefähr ein bis zwei Jahre beschäftigen, den Riesengenerator zu bauen, der Morcos wieder auf eine akzeptable Umlaufbahn bugsiert. Und wir bekommen dafür das Produkt eines halben Jahrtausends intensivster Forschung. Wer macht dabei das bessere Geschäft?«
»Die Menschen«, erklärte Moltion gelassen. »Vielleicht aber auch wir. Vergessen Sie nicht, daß wir die Hilfe der Erde nicht nur einmal werden beanspruchen müssen. Die Bevölkerung von Morcos ist von dem fast zweitausendjährigen Kampf gegen das Aussterben völlig erschöpft; auf fast jedem Gebiet werden wir Anstöße und Hilfe der Terraner gut gebrauchen können.«
Gambral wollte weitersprechen, wurde aber vom Summer des Videos unterbrochen. Marsh stand auf, ging zu dem Gerät hinüber und schaltete es ein. Verschwommen, aber noch deutlich genug erschien das Gesicht General Avidans auf dem Bildschirm.
»Ich rufe im Auftrag der Erdregierung an«, sagte der alte Mann leise. »Ich soll Ihnen ausrichten: Die Erdregierung freut sich, den Abgesandten eines fremden Volkes auf Terra begrüßen zu können. Sie verspricht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem morconischen Volk zu helfen. Mit der nächsten Expedition soll eine bevollmächtigte Delegation mit nach Morcos fliegen. Moltion Gambral wird gebeten, morgen Mittag der Frau Regierungschefin einen Besuch abzustatten.«
Schwach konnte Marsh erkennen, wie der General ein Blatt Papier senkte; wahrscheinlich hatte er die Botschaft abgelesen. Leise fuhr Avidan fort: »Ich hoffe, daß Sie mir gestatten, mich bei Ihnen zu entschuldigen. Es ist nicht leicht für einen alten Mann, Denkgewohnheiten in einer solchen Weise umzustellen. Verzeihen Sie meine kindische Reaktion!«
Gambral stand auf und stellte sich vor die Linse der Kamera. »Ich habe Sie verstanden, General«, sagte er ruhig. »Und ich nehme Ihre Entschuldigung gerne an. Hätten Sie keine Lust, auf Morcos den Aufbau und die Leitung einer Schule für Raumfahrer zu übernehmen?«
Avidan starrte den Morconen an, als sehe er ein Gespenst. »Vor ein paar Stunden wollte ich Sie noch abschießen – und nun bieten Sie mir solch einen Posten an?«
Der Morcone lachte leise. »Durch Überzeugung gewonnene Partner sind meist besser als solche, die von Anfang an dabei waren. Sehe ich Sie morgen?«
Avidan nickte kurz, dann schaltete er ab. Lächelnd drehte sich der Morcone zu seinen irdischen Freunden herum. »Ich glaube«, sagte er heiter, »wir werden für unsere Sache keinen besseren Fürsprecher finden als General Avidan.«
Marsh nickte zögernd. »Sie könnten recht haben«, meinte er nachdenklich. »Avidan war schon immer ein Weltraumfanatiker – und diesmal hat er eine Aufgabe vor sich, die ihn vollauf beschäftigen wird.«
»Nun«, sagte Gambral nach einem kurzen Blick auf seine Uhr, »wir werden es morgen sehen. Ich werde mich jetzt zurückziehen.« Er schüttelte Marsh die Hand, verbeugte sich höflich vor Margalo und zog sich dann in das Gästezimmer im ersten Stock zurück, das inzwischen von Gertrude in einen Zustand steriler Sauberkeit verwandelt worden war.
Marsh füllte sein Glas noch einmal auf und setzte sich neben Margalo. »Ein merkwürdiges Gefühl«, sagte er lächelnd. »Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren sind wir allein – ohne daß andere weniger als einen Meter von uns entfernt sind. Diese Enge in Raumschiffen zerstört jede Romantik.«
Unter dem Zwang der Türglocke vergrößerte er die Distanz zwischen Margalos und seinem Gesicht von einem auf hundert Zentimeter, stand auf und ging zur Tür.
»Sie sind Marsh Garfield?« fragte einer der beiden Männer. Marsh nickte.
»Bitte«, sagte der längere der beiden und überreichte Marsh ein Stück Papier.
»Sie haben in den letzten zehn Jahren einen Betrag von mehreren zehntausend Credits verdient, von diesem Betrag jedoch keine Steuern abgeführt. Die Steuerschuld übersteigt den angesammelten Wert Ihres Einkommens mit Zins und Zinseszins sowie Mahn- und Bearbeitungsgebühren um 4367,89 Credits. Gemäß Paragraph 2387 Steuergesetz werden Sie bis zur Zahlung des Fehlbetrags inhaftiert.«
Der Mann im Türrahmen lächelte liebenswürdig. »Bitte folgen Sie uns.«
Marsh warf einen hilfesuchenden Blick zu Margalo, zuckte mit den Schultern und holte dann seine Jacke von einem Haken.
»Nur Arbeitslose eignen sich zum Heldentum«, knurrte er, dann folgte er seinen Wächtern.