»Er schläft«, beteuerte der Bärtige und gab den anderen einen Wink. »Entwaffnet ihn!«
Die kurze, aber gründliche Überprüfung ergab, daß Cerlo unbewaffnet war; dennoch nahm der Dicke seinen Laser nicht herunter. Aus kleinen, schwarzen Augen heraus musterte er den Morconen.
»Wer sind Sie?« fragte Cerlo. »Und was haben Sie hier zu suchen?«
»Vielleicht kennen Sie meinen Namen«, meinte der Bärtige. »Ich heiße Eugene Gerbault!«
Schlagartig wurde Cerlo klar, mit wem er es zu tun hatte. Der steckbrieflich gesuchte Gerbault stand im Dienst der Distributionisten. Er erledigte alle schmutzige Arbeit, die bei der Verschwörerorganisation anfiel. Wahrscheinlich hatte er von Giris Flug nach Mainares erfahren und war nun hier, um den Wissenschaftler außer Gefecht zu setzen – so oder so. Die Begleiter Gerbaults waren nicht minder prominent, obwohl ihre Namen unbekannt waren; auch Gerbault rief sie nie namentlich an.
»Wo sind bel Tarman und dieser Erdagent?« fragte Gerbault abrupt.
Cerlo preßte die Lippen zusammen und schwieg.
Gerbault starrte ihn sekundenlang wütend an, dann begann er zu lachen. »Sieh an, ein echter Held.« Seine Stimme wurde scharf, als er fortfuhr: »Höre, mein Freund. Ich möchte dich mit meinen sehr erfolgreichen pädagogischen Regeln bekannt machen. Beim ersten Mal werde ich dir freundlich sagen, was du zu tun hast. Beim zweiten Mal werde ich grob, und das dritte Mal wirst du nicht überleben. Klar?«
Cerlo hatte keine Lust, das Experiment zu wagen; selbst wenn er seine Geheimnisse für sich behielt und dafür getötet wurde, hätte er Giri nicht helfen können – die frische Gleiterspur hätte den Gangstern vollkommen genügt. Er nickte zaghaft und sagte halblaut: »Giri bel Tarman und seine Begleiter sind etwa dreißig Kilometer von uns entfernt.«
Fünf Minuten lang wurde der Morcone von Gerbault verhört; der Terraner schwitzte stark und wischte sich pausenlos den Schweiß aus den Augen. Trotz der Hitze hatte der Gangster nicht darauf verzichtet, seine schillernden Seidengewänder abzulegen, die jetzt an seinem unförmigen Körper klebten. Noch verwunderlicher war, daß er sich nicht von seinen zahlreichen Ringen und Ketten getrennt hatte, die ihm früher oder später Brandblasen bescheren würden. Sein schulterlanges Haar trug Gerbault mit einem lächerlich wirkenden Mittelscheitel.
»Gut, mein Freund«, sagte der Terraner endlich, »wir werden Tarman behilflich sein. Die beiden Langen werden den Gleiter überprüfen, der Kleine fährt. Und du, Cerlo, wirst uns begleiten – vielleicht kommen deine Freunde auf den unglücklichen Gedanken, uns Widerstand zu leisten.«
Zähneknirschend mußte sich Cerlo fügen; der drittlängste Begleiter Gerbaults behielt ihn genau im Blick und ließ kein Augenzwinkern in seiner Wachsamkeit nach. An Flucht war nicht zu denken, wie das Beispiel seines Stationskollegen bewies, den die Gangster gefesselt zurückgelassen hatten – wenn nicht innerhalb weniger Tage Hilfe kam, mußte der Morcone in seinen Fesseln umkommen.
»Noch etwas«, bemerkte Gerbault während der Fahrt. »Falls deine Freunde anrufen sollten – versuche nicht etwa, den Bären Mitgift zu grüßen. Wir haben deinen Funkverkehr genauestens überwacht.«
An genau diese Möglichkeit, seine Freunde unauffällig zu warnen, hatte Cerlo vor wenigen Augenblicken gedacht. Enttäuscht ballte der Morcone die Fäuste und sank in seinen Sitz zurück, während Gerbault laut lachend seinen kleinen Erfolg feierte.
»Nummer zwölf!« rechnete Sirghia vor, als der Gleiter wieder einmal stoppte.
Elf Öffnungen im Fels hatte die Gruppe bereits aufgespürt und untersucht. In jedem Fall waren sie so weit in das Bergesinnere vorgedrungen, wie sie überhaupt vermochten. Selbst eiskalte, unterirdische Gewässer und nahezu senkrechte Felswände hatten sie überwunden. Von Öffnung zu Öffnung war ihre Zuversicht geschwunden; der einzige, dem die Suche großen Spaß bereitete, war Soleil. Zur Freude Danielles hatte sich der Bär auch auf irdische Gemüsekonserven einstellen können – mit verbissenem Gesicht hatte Spooky zugesehen, wie der Bär seine geliebten Spargelköpfe verschlang.
»Es hilft nichts!« entschied Giri. »Wir machen weiter.«
Resigniert verließen die Menschen den Gleiter. Das erste Stück des Weges war relativ bequem, dann näherten sich die Felswände einander immer mehr, bis schließlich Giri nur eben noch aufrecht gehen konnte. Plötzlich hielt der Morcone abrupt an.
»Was gibt es?« fragte Sirghia besorgt. »Tiere?«
»Kleinigkeiten«, meinte Giri gemütlich. »Der Gang knickt ab – in einem rechten Winkel. Und breiter geworden ist er auch. Und dazu glatt wie eine Tischplatte.«
Spooky stieß einen begeisterten Pfiff aus. Als Giri den Weg für die anderen freigab, konnten sie sich selbst überzeugen. Die Wände waren glatt und fugenlos, der Boden des Ganges vollkommen eben. Er war offensichtlich von intelligenten Lebewesen angelegt worden. Doch ihre Hoffnungen zerstoben nach wenigen hundert Metern, als der Gang abrupt in einer massiven grauen Wand endete.
»Verdammt!« fluchte Spooky. »Wie kommen wir jetzt weiter?«
»Vielleicht gibt es irgendwo hinter den Wänden einen Hohlraum?« vermutete Sirghia.
Mit dem Kolben ihres Lasers schlug sie gegen die Seitenwand, dann gegen die Decke – ohne Erfolg. Auch am Boden versagte die Probe, und die Stirnwand erbrachte das gleiche Ergebnis. Nichts deutete darauf hin, daß der Gang eine Fortsetzung hatte. Vereint begannen die Menschen die Wände nach versteckten Kontakten, Wärmeschlössern oder ähnlichen Dingen abzusuchen, aber auch jetzt rührte sich nichts – jedenfalls nicht an der Stirnwand. Dafür schob sich hinter der Gruppe ein Block aus dem scheinbar fugenlosen Fels und versperrte den Rückweg.
Soleil schien die Unsicherheit der Menschen zu bemerken; das Tier jammerte leise und lief unruhig an den Wänden auf und ab. Schließlich stieß der Bär ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Sekundenbruchteile später versank die Stirnwand im Boden.
»Hm«, machte Spooky, »ob der Besitzer dieser Felsenburg ein Freund von Bärenfleisch ist?«
Zwei Systembewohner verschiedenen Geschlechts; zwei verschiedengeschlechtliche Wesen unbekannter Herkunft, den Systembewohnern ähnlich. Des weiteren ein Bär. Soll geöffnet werden?
Ja.
Hinter der Felsplatte setzte sich der Gang fort, der im Unterschied zu den bereits zurückgelegten Strecken erleuchtet und klimatisiert war. Nach mehreren hundert Metern schloß sich eine Treppe an. Spooky bemerkte, daß die Stufen für Erdmenschen ein wenig zu hoch waren – die unbekannten Erbauer mußten fast morconische Proportionen aufgewiesen haben. Als die mehr als zweihundert Stufen endeten, standen die vier in einem elliptischen, hell erleuchteten Saal, dessen lange Achse quer zur Treppe verlief. In dem Raum war nichts zu erkennen, außer zwölf Öffnungen, die in verschiedene Richtungen führten.
»Zauberhaft!« brummte Giri. »Wie geht es nun weiter?«
»Geradeaus«, entschied Spooky. »Diese Richtung werden wir uns am besten merken können. Außerdem – wenn irgendwo tödliche Fallen lauern, kann es uns ziemlich gleichgültig sein, in welche dieser Fallen wir hineinlaufen.«
Soleil kürzte die Diskussion dadurch ab, indem er einfach in der Richtung weiterlief, in der sie bisher gegangen waren. Zögernd und mit entsicherten Waffen folgten die Menschen.
Gerbault und seine Kumpane hatten weit weniger Mühe als Giri und seine Begleiter. Auf dem bereits vorbereiteten Weg preschte ihr Gleiter mit Höchstgeschwindigkeit vorwärts. Der Vorsprung der vier Menschen verringerte sich zusehends, zumal die Verfolger sich nicht die Mühe machten, die fehlgeschlagenen Höhlenexkursionen nachzuvollziehen. Als Gerbaults Fahrzeug neben der Höhle abstoppte, waren nur wenige Minuten vergangen, seit die vier den Eingang betreten hatten.