»Hoffentlich bleibt es bei dieser Höflichkeit«, wünschte sich Sirghia, die als erste vortrat. Sobald die gesamte Gruppe den Innenraum betreten hatte, schwangen die Türflügel wieder zu.
Spooky sprang sofort zurück, um seinen Laser zwischen die Flügel zu klemmen; bevor er dazu kam, war das Tor wieder weit geöffnet. Der Terraner nickte anerkennend.
»Seht doch!« Danielle lachte und deutete auf den glatten Boden, der aus einer Art Marmor bestand. Wie im Labyrinth auf Mainares war ein grüner Pfeil auf dem Boden erschienen. Und wie zuvor wurde ein Wegabschnitt nach dem anderen erleuchtet, sobald die Gruppe in die Nähe kam.
Der Gang führte schwachgeneigt in die Tiefe. Fast zwei Stunden lang marschierte die Gruppe dem Pfeil hinterher; von Zeit zu Zeit wurden in den Gangwänden Linsen und Projektoren sichtbar, was Spookys Mißtrauen abbaute. Wenn Überwachungsautomatiken ihren Weg verfolgten und es also auch Möglichkeiten gab, ihren Vormarsch zu stoppen, konnten sie sich als willkommene Gäste betrachten.
Plötzlich verschwand der Pfeil; der weitere Weg der Menschen war durch eine anscheinend massive Felswand versperrt. Kurz darauf bewegte sich der Boden unter ihren Füßen; das zehn Meter lange Teilstück des Ganges, auf dem sie standen, sank langsam, dann immer schneller nach unten. Die Fahrt dauerte etwas länger als zwanzig Minuten.
»Hier arbeiten noch zahlreiche Maschinen«, meinte Spooky. »Bei einer so raschen Abwärtsbewegung müßten wir fast frei fallen – da wir aber ganz normal stehen, wirkt auf uns ein Schwerkraftfeld.«
Giri nickte zustimmend; er hatte ähnliche Betrachtungen angestellt. Grob geschätzt mußten sie sich mehrere Kilometer unterhalb der Planetenoberfläche befinden, als der Lift seine Bewegung beendete. Wieder erschien der grüne Pfeil und bestimmte den weiteren Weg; nach kurzer Strecke wurde der Gang von einer massiven Metallwand versperrt, in der der Pfeil verschwand. Giri musterte das Metall.
»Jetzt wird es kritisch«, sagte er zögernd. Er deutete auf die Mitte der Wand, wo deutlich der Abdruck einer Hand zu sehen war. Die Hand hatte die Größe einer normalen menschlichen Extremität und, wie Spooky befriedigt feststellte, fünf Finger.
»Wahrscheinlich wird sich die Tür nur öffnen, wenn wir unsere Hände auf diesen Vordruck legen«, vermutete Giri. »Aber was geschieht, wenn jemand mit unserem Händedruck nicht zufrieden ist?«
»Wer wagt, kommt dabei um!« sagte Spooky entschlossen und trat vor. Das Metall war angenehm warm, als er seine Rechte in die vorgezeichnete Mulde legte. Der Terraner wartete eine Minute lang, dann trat er wieder zurück.
»Der nächste, bitte!« sagte er und deutete eine Verbeugung an. »Ich bin wohl nicht der Richtige.«
Nacheinander berührten Giri, Sirghia, Danielle und Cerlo das Metall, ohne daß etwas geschah; fünf Minuten verstrichen, dann bewegte sich das Metall. Langsam glitt der massive Block zurück und gab den Weg frei; der Raum dahinter war in Finsternis getaucht.
Spooky ahnte, daß hier ein Schlüssel für viele Fragen lag, die Morconen und Terraner seit langen Jahren beschäftigten. Er machte einige Schritte vorwärts. Schlagartig flammte die Beleuchtung auf. Das Licht einiger hundert Scheinwerfer leuchtete die Kuppelhalle bis auf den letzten Winkel aus. Mächtige Maschinenkonstruktionen mit fremdartigen Auswüchsen aus Porzellan und Metall waren zu erkennen; armdicke Kabel schlangen sich durch ein Gewirr von Streben. Zwischen den dröhnenden Generatoren und Aggregaten war nur ein schmaler Gang freigelassen worden; vorsichtig, fast ehrfurchtsvoll schritt Abraham DeLacy weiter.
Der Gang verbreitete sich nach einigen Metern. Vor dem schweratmenden Terraner erhob sich eine flache Empore, zu der einige niedrige Stufen führten. Spooky wartete, bis sich seine Gefährten genähert hatten, dann stieg er langsam die Stufen hinauf.
Schweigend blieb er eine Minute lang auf der Empore stehen, bevor er sich langsam herumdrehte. Er hustete kurz, um die Gewalt über seine Stimmbänder wiederzugewinnen, dann flüsterte er: »Wir sind am Ziel.«
Wesentlich rascher als der Terraner erstiegen die anderen Menschen die Empore. Acht durchsichtige Platten waren in den Boden eingelassen, und unter den klaren Rechtecken wurden die Umrisse von Körpern sichtbar. Giri kniete neben einer Scheibe nieder und betrachtete den darunterliegenden Körper.
Es war ein hochgewachsener Mann mittleren Alters, der in einer bläulich schillernden Flüssigkeit lag. Er war unbekleidet und haarlos. Sein Gesicht strahlte einen tiefen Ernst aus; Giri spürte, daß dieser Mann mit vollem Bewußtsein in den Tod gegangen war.
»Unsere Stammeltern«, flüsterte Sirghia mit rauher Stimme. »Sind sie tot?«
Giri nickte kurz. »So kann man es wohl nennen. Aber dient diese gewaltige Anlage nur dem Zweck, die Leichen unversehrt zu erhalten? Ich nehme eher an, daß man die Menschen wieder aufwecken kann.«
»Aber wie?« fragte DeLacy. »Ich kann nirgendwo einen entsprechenden Schalter oder Hebel entdecken, keine Gebrauchsanweisung, nichts …«
»Wir haben drei Jahre Zeit«, stellte Danielle fest. »Wir sollten diese Zeit dazu benutzen, dieses Sonnensystem und vor allem die Gruft genauestens zu untersuchen.«
6.
Ganze Galaxien gäbe ich her für einen simplen Staubsauger. Mit Ausnahme der Gruft der Acht ist der gesamte Planet restlos verstaubt; in welches Gebäude man auch tritt – sofort hat man irgendeinen dreckigen Nebel vor Augen, im Mund und auf den Kleidern.
Der einzige, den das nicht zu stören scheint, ist Aphros, der Androide. Ich habe ihn so getauft, weil er wie diese alte Göttin nicht geboren wurde, sondern irgendeinem Retortenschaum entstieg. Giri und Sirghia waren wie üblich den ganzen Tag lang damit beschäftigt, unsere acht Tiefkühlleichen zu untersuchen. Bei jedem Kabel suchen sie zunächst einmal nach passenden letzten Worten, bevor sie es berühren und die Sache vielleicht schiefgeht.
Und diesen Unfug treiben wir nun seit mehr als zwei Jahren – ohne Erfolg. Zum Glück haben wir in der Hauptstadt ein Warenhaus mit Tausenden von Konservendosen gefunden. Ich weiß nicht, wie lange das Zeug dort schon liegt – aber es schmeckt fabelhaft.
Der ganze Planet ist völlig unbewohnt. Komisches Gefühl, ein ganzer Planet für sechs Menschen und einen Bären.
Es war übrigens eine Fehlkalkulation, ab wir Soleil für erwachsen hielten. Das Vieh hat den gesamten Schloßgarten leergefressen und besitzt jetzt aufgerichtet die stattliche Höhe von vier Metern. Dreimal hat es mir schon die Rippen angebrochen in seinem Liebeseifer.
Zusammen mit Cerlo habe ich einige Erkundungsflüge zum zweiten erdähnlichen Planeten unternommen, allerdings ohne Ergebnis – es sieht dort genauso aus wie hier, nur ohne Kühlleichen. Vielleicht haben wir sie auch nur nicht gefunden. Auch das Raumschiffswrack haben wir gründlichst untersucht; nichts. Von unseren Vorfahren ist der Kasten jedenfalls nicht – die Reliefs beweisen eindeutig, daß ihre Schiffe in der Art der VANITY FAIR konstruiert waren.
In zwei Stunden gibt es etwas zu essen. Danielle hat heute Küchendienst. Was sie so im Laufe einer Woche zusammenkocht, schmeckt wie Himbeermarmelade mit Sardellenpaste verquirlt.
Der einzige Lichtblick ist die Tatsache, daß unsere Ahnen offenbar keine Abstinenzler gewesen sind. Alkoholika gibt es in jeder gewünschten Menge. Die Zigaretten enthalten zwar keinerlei Teer, Nikotin und andere Schadstoffe, dafür schmecken sie gut.
Morgen ist ein großer Tag; Giri berichtet mir gerade, daß er den entscheidenden Versuch unternehmen will. Angeblich hat er den Schalter gefunden. Ein merkwürdiges Gefühl, seinen Ur-ur-ich-weiß-nicht-Eltern gegenüberzutreten. Ich komme mir vor wie ein Sprößling, der sich bei seinem alten Herrn erkundigt, wo er sich die ganze Zeit herumgetrieben hat.