»Sprich verständlich!« sagte Giri beschwörend; er faßte den Mann an den Schultern und rüttelte ihn leicht.
Der Mann zerfiel unter seinen Fingern. Der Kopf fiel zurück, und die Gestalt sank in sich zusammen; innerhalb von dreißig Sekunden wurde aus dem Gesicht des zuvor scheinbar dreißigjährigen Mannes das faltige, zahnlose Gesicht eines Greises. Es schien, als grinse der Sterbende seine Zuschauer höhnisch an, dann löste sich der Körper vollständig auf.
Danielle hatte sich an Spookys Brust gelehnt und schluchzte hemmungslos; der Terraner unterdrückte einen Fluch, während die anderen bleich und starr standen. Nur Aphros machte ein Gesicht, als sei er von einer Zentnerlast befreit.
»Aus!« murmelte Giri in einem Ton, der Verzweiflung und Niedergeschlagenheit verriet. »Der Arme hatte nur zwei Möglichkeiten: Er konnte entweder den telepathischen Kontakt aufrechterhalten und für uns verständlich sprechen – oder er konnte sich noch einmal konzentrieren und uns seine Botschaft mitteilen. Für beides hatte er nicht mehr die Kraft. Das Rätsel bleibt ohne Lösung.«
»Nicht unbedingt!« sagte Aphros lächelnd. »Ich habe mir jedes Wort gemerkt, obwohl ich den Sinn nicht verstand. Vielleicht gelingt es uns auf Morcos oder Mainares, den Text zu entschlüsseln.«
Wieder ertönte ein Gong, diesmal dumpf und drohend.
»Wir müssen fort!« sagte Giri schnell. »Wahrscheinlich ist der Erweckungsprozeß mit einer Selbstvernichtungsautomatik gekoppelt.«
Als wolle er Giris Warnung unterstreichen, erschien ein Pfeil auf dem Boden, der in einem düsteren Rot glühte. So rasch sie konnten, liefen die Menschen den Weg zurück; hinter ihnen stürzten die Gänge krachend zusammen.
Erst als die Gruppe das Portal des Palastes hinter sich wußte, stoppte sie ihren rasenden Lauf; keuchend und außer Atem legten sie einen kurzen Aufenthalt ein, bevor sie in ihren Gleiter stiegen, in dem Soleil bereits auf sie wartete.
In raschester Fahrt legte Aphros den Weg vom Palast zum Raumhafen zurück. Wenige Minuten später war das Fahrzeug in der VANITY FAIR verstaut; die Besatzung hatte sich im Cockpit versammelt. Spooky hatte sich an das Fenster gestellt, das einen Blick über die Stadt bis zum Palast erlaubte. Sein Gesicht wurde bleich, und er winkte die anderen heran.
Der Palast fiel langsam in sich zusammen; eine gewaltige Staubsäule brach hoch und verhüllte den Blick auf das, was in der Nähe des Palastes vorging. Dann sackte ein hohes Gebäude in der Nähe der Palastmauer zusammen.
»Wir müssen starten!« befahl Giri an. »Der Planet löst sich auf!«
Seit Monaten war das Schiff klar für einen sofortigen Start. Minuten später hatte die VANITY FAIR bereits eine Höhe von mehreren Kilometern erreicht. Kurz vor Erreichen der Wolkendecke ließ Aphros das Schiff verharren. Unter sich sahen die Menschen ein Bild der Verwüstung; nacheinander zerfielen die Gebäude zu Staub, der sich in dicken Wolken über die Szenerie legte. Vom Palast als Zentrum schob sich eine Welle der Vernichtung kreisförmig über den Planeten; Stadt auf Stadt zerfiel binnen weniger Minuten. Der Mechanismus, der die Gebäude jahrtausendelang vor dem Verfall bewahrt und konserviert hatte, war zerstört und führte zur völligen Auflösung aller künstlich erschaffenen Dinge.
Der Planet selbst blieb entgegen Giris erster Vermutung verschont. Auch die seltsame Konstellation der beiden inneren Planeten blieb vor der Zerstörung bewahrt – das letzte Zeichen dafür, daß hier einmal eine hochentwickelte Rasse gelebt hatte.
Die Menschen an Bord der VANITY FAIR sahen sich stumm und niedergeschlagen an.
»Hier haben wir nichts mehr zu suchen«, sagte Giri schließlich; seine Stimme klang dumpf. »Kehren wir zurück?«
Ohne auf die Reaktion der anderen zu warten, begann Aphros das Raumschiff auf Heimatkurs zu bringen. Mit sich nahm das Schiff die Trümmer einer Hoffnung – aber auch die Gewißheit, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Obwohl nichts dieses Gefühl rechtfertigte, war jeder an Bord davon überzeugt, daß es letztlich doch gelingen würde, die Stammeltern der Morconen und Terraner zu finden.
Und wenn dazu ein Jahrtausend nötig war.
III. Buch
Fährte nach Andromeda
1.
Tiefe Verzweiflung hatte die Menschen der VANITY FAIR befallen. Schwach zeichnete sich auf einem Bildschirm die heimatliche Milchstraße ab. Ein weiterer Bildschirm zeigte den Planeten, von dem das Schiff gestartet war – die Staubwolken, die die zerfallenden Häuser hinterließen, hüllten die Kugel vollständig ein.
»Schluß jetzt!« sagte Aphros in die bedrückende Stille hinein. »Wir kommen keinen Schritt vorwärts, wenn wir nur hier herumsitzen und uns gegenseitig bescheinigen, wie schlecht es uns doch geht. Wir müssen zurück – nach Morcos, Mainares oder Terra.«
»Auch gut«, murrte Giri bel Tarman. Er setzte sich auf den freien Sitz des Piloten und betrachtete nachdenklich die Bildschirme.
»Verdammt!« knurrte Spooky DeLacy, der sich hinter Giri gestellt hatte. »Wie sollen wir Morcos finden?« Der hochgewachsene Terraner mit dem rostroten Haar drehte sich zu Aphros um; der Androide fütterte gerade den Mainaresbären Soleil mit konservierten Früchten.
»Weißt du, wie wir den Weg zurück finden können?« erkundigte er sich.
Aphros schüttelte den Kopf und erklärte bedauernd: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Wir sollten uns erst die Köpfe zerbrechen, wenn wir unsere Galaxis wieder erreicht haben! Von hier aus sind die vertrauten Sternenkonstellationen ohnehin nicht auszumachen.«
»Versuchen wir es«, sagte Giri leise.
Er schob den Beschleunigungshebel auf den äußersten Wert vor; die Menschen spürten nicht, wie die VANITY FAIR an Fahrt gewann. Nur ein sich langsam bewegender Zeiger deutete die Geschwindigkeitszunahme des Schiffes an. Als der Zeiger in den rot gefärbten Bereich übersprang, betätigte Giri den Sprungmechanismus.
»Der Spiralarm jedenfalls stimmt!« stellte Spooky nach einstündiger Arbeit fest. »Der Stern voraus müßte Rigel sein – der Radius ist fast zwanzigmal so groß wie der der Sonne, und die Temperatur liegt bei zirka 12.000 Grad Kelvin. Und den Begleiter, den das Handbuch verzeichnet, können wir auch erkennen.«
Giri bestätigte mit einem kurzen Nicken. Dann versuchten er und Spooky unter den Millionen von Sternen auf den Bildschirmen die Erde ausfindig zu machen. Zwei Stunden später zeigte Giri endlich ein zufriedenes Gesicht.
»Hier!« sagte er freudig und wies mit dem Finger auf einen leuchtenden Punkt. »Dies hier müßte die Erde sein – beziehungsweise die Sonne, um die Terra rotiert.«
Er verband einige Sterne mit Fingerbewegungen zu einer Figur. »Dieses Sternbild ist auch von Morcos aus zu sehen. Jetzt ist es nur schwer auszumachen, aber ich bin ziemlich sicher.«
Der Morcone hatte die Zieleinrichtung der VANITY FAIR auf Morcos ausgerichtet. Geduldig wartete er, bis der Geschwindigkeitsmesser in den roten Bereich der Skala hinüberwanderte, doch als er die Überlichttriebwerke einschalten wollte, mußte er eine beängstigende Feststellung machen – der Knopf ließ sich nicht niederdrücken. Giri stieß einen Fluch aus, der Sirghia das Blut ins Gesicht trieb.
»Was ist los?« fragte Spooky, nachdem er den Kraftausdruck annähernd übersetzt und sich sorgfältig eingeprägt hatte.
»Der Antrieb will nicht arbeiten!« stammelte Giri entsetzt.
»Ausgeschlossen!« protestierte der Androide. »Solange keine Maschine gewaltsam beschädigt wird, kann sie nicht ausfallen.«