Widerwillig stimmte Danielle zu, während Giri die Sonde so tief sinken ließ, daß einzelne Personen auf dem Bildschirm zu sehen waren. Die Männer und Frauen waren für irdische Verhältnisse normalgroß. Die bronzene Hautfarbe war leicht verschieden, konnte jedoch mit Chemikalien rasch imitiert werden. Noch leichter würde die Kleidung zu kopieren sein; es handelte sich um leichte Blusen aus einem Seidenstoff, dazu Hosen aus dem gleichen Material, gehalten von breiten, ledernen Gürteln.
»Welche Farbe sollen wir wählen?« überlegte Spooky halblaut. Schon bei den ersten Aufnahmen der Sonde war aufgefallen, daß die Kleidung der Menschen offenbar nicht nur dem Zweck diente, den Körper vor den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen: Die Kleidungsfarben spiegelten die Rangordnungen oder Hierarchien innerhalb der makarischen Gesellschaft wider.
Einige Bedeutungen waren sehr leicht auszumachen; die Kleidung eines älteren Mannes – eine goldfarbene Hose mit einem edelsteinbesetzten Hemd aus roter Seide – der von vier Männern in einer Sänfte vorbeigetragen wurde, wobei die restliche Bevölkerung respektvoll zur Seite wich, legten die Standesabzeichen eines Edlen fest. Die Sänftenträger mußten demnach der untersten Klasse entsprechen; darauf wies auch die Farbe ihrer Kleidung hin – ein dumpfes Grau, das bis ins Schwarze reichte. Die Masse der Bevölkerung auf dem Marktplatz kleidete sich in braune Hosen mit roten oder grünen Blusen.
»Ich schlage vor, wir verkleiden uns als Raumhafentechniker«, meinte Spooky. Alle stimmten zu; nur Danielle murmelte etwas über die unvorteilhafte Kontrastierung ihres Teints mit knöchellangen weißen Kleidern – der hiesigen allgemeinen Frauenkleidung.
»Wenn wir erst das Hauttönungsmittel angewendet haben«, erklärte Spooky nachsichtig, »siehst du ohnehin völlig anders aus.«
Danielle äußerte daraufhin einige grundlegende Erkenntnisse über Männer im allgemeinen und die spezifische Arroganz eines gewissen Abraham DeLacy im besonderen. Dieser wollte gerade auf auf ihr leises Geschimpfe eingehen, als Sirghia ihn anstieß. Wortlos deutete die Morconin auf das Gebilde, das auf dem Bildschirm aufgetaucht war. Eine massive Metallsäule ragte in das Bild; Spooky justierte die Kamera und ermittelte die Abmessungen des Objekts.
»Dreißig Meter hoch, zehn Meter dick. Zusammensetzung … Stahl!« sagte er verwundert. »Was hat das nun wieder zu bedeuten? Ein solcher Stahlklotz in einer Stadt, die hauptsächlich von Rindviechern bevölkert wird?«
»Wir werden sehen, was das zu bedeuten hat!« sagte Aphros. »Ich hätte Lust auf einen kleinen Ausflug in die Stadt.«
»Warum gerade du?« fragte Giri.
»Ich bin für hohe Belastungen konstruiert worden«, erklärte der Androide fest. »Mir werden weder die Hitze noch die höhere Schwerkraft zu schaffen machen. Außerdem werde ich mich mit den Makarern wesentlich besser verständigen können.«
»Einverstanden!« sagte Spooky. »Aber zuerst hole ich die Sonde wieder zurück – sie kann dann über dir fliegen und uns jederzeit berichten, wie es um dich steht.«
Wenige Minuten danach hatte die Sonde das Versteck der PERONAIOS wieder erreicht; der Androide hatte sich währenddessen umgezogen. Der Weg durch das Flußbett bis zu der hölzernen Barriere erwies sich als überaus mühselig, aber der Androide schritt weit aus und pfiff ein Lied.
»Ich komme jetzt in die Nähe des Marktplatzes«, informierte der Androide seine Freunde über die Sonde. Leider war diese Verbindung einseitig.
In der letzten halben Stunde war Aphros Hunderten von Menschen begegnet; teilweise wurde er mit finsterer Miene empfangen, andere – meist Angehörige der untersten Schichten – grüßten ihn überaus freundlich und demütig. Ansonsten nahm man von ihm kaum Notiz; die Bewohner waren beschäftigt. Mächtige Bäume schaukelten auf hohen Fuhrwerken, deren hölzerne Räder auf dem Pflaster ratterten. Tonnen wurden durch enge Gassen gerollt; ein höllischer Lärm entstand, als ein Faß einem Passanten über den Fuß rollte.
Nur selten sah Aphros in dem Gewimmel einen Höhergestellten, der das Vorrecht des Sänftentransports besaß. Offenbar waren diese Männer nicht übermäßig beliebt. Als eine prunkvolle Sänfte vorbeischaukelte, studierte Aphros die Gesichter in der Menge. Er fand eine Mischung aus Angst, unterdrückter Wut und unverhohlenem Neid. Ein Mann ging soweit, einem Sänftenträger ein Bein zu stellen; das Gefährt schwankte, und aus dem Innern stürzte ein ungeheuer fettleibiger Mann auf die Straße, überschlug sich mehrmals und blieb schließlich, sprachlos vor Entrüstung, in einem Abwasserkanal liegen. Die Menge zeigte nur eine Reaktion – so schnell es ging, verlief sich die Schar und ließ den nun tobenden, mit Unrat bedeckten Edlen mitsamt seinen Sklaven zurück. Niemand machte Anstalten, den dreisten Attentäter zu stellen, der rasch in dem Gewirr der kleinen, krummen Gassen verschwunden war.
Auch Aphros zog sich zurück; er ahnte, daß es dem Edlen ziemlich gleichgültig sein würde, an wem er seine Entrüstung ausließ. Vorsichtshalber schlug er einige Haken, bevor er seinen Schritt wieder verlangsamte, um seine Umgebung zu studieren. Ob die unsichtbare Sonde ihm hatte folgen können, wußte er nicht; aber er vertraute der Geschicklichkeit von bel Tarman, der die Sonde steuerte.
»Einen Kupferling, der Herr«, wimmerte eine Stimme neben dem Androiden. »Einen winzigen Kupferling, Herr – ich habe dreizehn Kinder und zwei Frauen zu nähren!«
Aphros warf einen Blick auf den Sprecher, einen alten Mann mit verfilztem Haar, dessen Kinn von einem weißen, sorgfältig bearbeiteten Drei-Tage-Bart geziert wurde. Was den Alten wirklich interessierte, war unschwer an dem Alkoholdunst zu erkennen, der dem Androiden ins Gesicht wehte.
»Troll dich, Alter!« knurrte Aphros und ging weiter; den halblauten Fluch, den der Alte ihm nachschickte, nahm er kaum mehr wahr.
5.
»Also weiter!« knurrte der Androide. »Auf zu dem eisernen Monstrum!«
Er wußte nicht, ob er noch im Beobachtungsbereich der Sonde war, aber er vertraute den Fernsteuerkünsten seiner Freunde. Es erwies sich als mühsam, sich durch die Menschen auf dem Marktplatz zu drängen. Immer wieder wurde der Androide unsanft angestoßen und zur Seite geschoben.
»Manieren sind das!« schimpfte Aphros ungehalten; wieder krachte ihm ein rücksichtsloser Ellbogen gegen die Rippen. »Paß doch auf, Trottel!«
»Wie war das, bitte?« sagte eine gefährlich klingende Stimme. »Sagtest du Trottel?«
Der Mann, der Aphros so unsanft behandelt hatte, stand nun vor dem Androiden und blinzelte ihn aus kleinen Augen an; er trug die Kleidung eines Edlen, und in seiner Begleitung erkannte Aphros einige männliche Sklaven mit besorgniserregender Muskulatur.
»Herr!« wimmerte der Androide. »Ich wollte nicht …«
»Es wird immer besser«, staunte der Edle. »Er wartet nicht einmal, bis ich ihm erlaube, mir seinen kotigen Atem ins Gesicht zu blasen. Das wirst du büßen, mein Junge – faßt ihn!«
Der Zuruf galt den Sklaven, die sofort näher kamen und Aphros umringten; der Androide sah kurz in die Gesichter und stellte fest, daß niemand ihm helfen würde, der Rachlust des Edlen zu entkommen – im Gegenteil. Er wich langsam einige Schritte zurück.
Der Androide täuschte Unterwürfigkeit vor; flehend hielt er die offenen Hände zwei Sklaven entgegen. Der Trick gelang – die Sklaven packten nicht allzu hart zu und zogen ihn gemächlich auf die Sänfte zu.
»Hier ist der Schuft, Herr!« sagte einer der Sklaven.
Auf diesen Augenblick hatte Aphros gewartet; da er über empfindlichere Wahrnehmungsorgane verfügte als durchschnittliche Menschen, hatte er den Druck der Sklavenhände an seinen Handgelenken genau registriert. Und er erfaßte auch den Sekundenbruchteil, in dem die Sklaven ihre Aufmerksamkeit von ihm auf ihren Herrn und Gebieter umschalteten. Diesen winzigen Augenblick ihrer Unachtsamkeit nutzte der Androide aus – ruckartig warf er sich zurück. Die beiden Männer, die ihn hielten, wurden von dieser Bewegung völlig überrascht – da sie ihren Griff um seine Handgelenke nicht lockerten, wurden sie gegeneinandergeschleudert und krachten mit den Schädeln zusammen.