Aphros zuckte mit keiner Wimper, als ganz ohne Vorwarnung plötzlich Licht aufflammte und die Periode der absoluten Finsternis beendete. Nach seiner inneren Uhr mußten rund zwanzig Stunden seit seinem Erwachen vergangen sein. Der unsichtbare Kontrolleur schien die Geduld verloren zu haben.
Rasch warf der Androide einen Blick in die Runde; er hoffte, etwas über die technische Ausstattung dieser Folterkammer zu erfahren. Er sah jedoch nur hellblaue Wände. Woher das Licht kam, konnte er nicht feststellen, ebensowenig, ob er sich im Innern einer Kugel oder eines Quaders aufhielt. Immerhin – der Kilometer, den Aphros zuvor marschiert war, war mit Sicherheit Produkt einer Sinnestäuschung.
»Eine reichlich einfache Angelegenheit«, überlegte der Androide halblaut. »Mit Hilfe eines sorgfältig gesteuerten Schwerkraftprojektors kann man mich in einer Kugel jahrelang geradeaus marschieren lassen, ohne daß ich ein Ende finde!«
»Wer bist du, Fremder?« sagte eine keineswegs unfreundlich klingende Stimme.
»Wieso Fremder?« fragte Aphros ungeniert zurück; er wußte, daß man Verhöre durch Gegenfragen am besten aus dem Konzept brachte.
»Kein Makarer hätte die Isolierzelle so lange ausgehalten«, gab die Stimme ruhig zur Antwort. »Deine Abmessungen schließen tanaischen Ursprung aus. Also mußt du fremd sein! Ich erbitte die Beantwortung meiner Frage.«
»Aphros«, stellte sich der Androide vor. »Und dein Name?«
»Ein Name ist die Bezeichnung einer Person, der zur Abgrenzung von anderen Personen dient«, definierte der Gegenpart des Androiden. »Da ich keine mir ähnliche Person kenne, von der ich mich abzugrenzen hätte, besitze ich keine Bezeichnung meiner selbst.«
»Schade«, murmelte Aphros.
»Woher kommst du?« wollte die namenlose Stimme wissen; erst jetzt wurde dem Androiden bewußt, daß die Stimme in der Sprache seiner Erbauer redete. Kein Zweifel – wie seine Station auf Mainares war auch diese Säule technisches Produkt des gleichen Volkes, das gleichermaßen Stammvater von Morconen und Terranern war.
»Von Mainares«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Mainares!« wiederholte die Stimme ungläubig. »Das liegt nicht innerhalb dieses Spiralarms!«
»Völlig richtig!« bestätigte Aphros grinsend. »Auch nicht in dieser Milchstraße, sondern in der benachbarten Galaxis!«
»Ich hätte es wissen müssen«, antwortete die Stimme mit heiterem Unterton.
Mit einem Schlag verschwanden die blauen Wände; an ihre Stelle traten Wände, die mit prachtvollen Intarsienarbeiten verkleidet waren. Aphros fand sich übergangslos in einem bequemen Sessel wieder. Ihm gegenüber saß eine junge Frau – zumindest ein Wesen, das man mit einer sehr attraktiven jungen Frau jederzeit hätte verwechseln können. Was Aphros bereits ahnte, bestätigte sich wenig später; sie schaltete auf mentalen Kontakt um, zu dem nur die Erbauer und ihre Androiden fähig waren.
»Herzlich willkommen auf Makar!« sagte die junge Frau freundlich. »Mache es dir bitte bequem – diese Station ist standardisiert, du wirst alle Servomechanismen kennen.«
Aphros machte sofort einen Versuch und klappte die rechte Lehne seines Sitzmöbels in die Höhe; eine Tastatur wurde sichtbar, die nur aus Ziffern bestand. Interessiert sah das Mädchen zu, als Aphros die Tastatur betätigte – nach seinen Informationen hatte er ein Erfrischungsgetränk bestellt, das wenige Sekunden später richtig geliefert wurde.
»Test bestanden, Schwester?« erkundigte sich Aphros mit einem Hauch von Spott.
»Bestanden«, sagte die Androidin lächelnd und bediente sich ebenfalls. »Wieso hast du im Gegensatz zu mir einen Namen? Und was hat dich überhaupt hierhin verschlagen?«
»Zwischenfrage!« warf Aphros schnell ein. »Was ist aus dem kleinen Mädchen geworden, das mich begleitet hat? Ich hoffe, ihr ist nichts geschehen!«
»Keine Sorge«, wehrte die Frau ab. »Da du mir wesentlich interessanter erschienst, habe ich die Kleine bis jetzt schlafen lassen. Ich kann sie jederzeit ohne Erinnerung wieder zurückschicken.«
Aphros nickte zustimmend, dann begann er zu berichten; die junge Frau hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
Alles an dem Mann glänzte golden; seine Kleidung, seine Schuhe und sogar seine Haare waren so mit Goldstaub überzogen, daß man die ursprüngliche Farbe nicht erkennen konnte. Das Gesicht des Mannes war von einer dünnen, selbstverständlich goldenen Maske überzogen.
»El Dorado!« murmelte DeLacy unwillkürlich, als er die Gestalt sah.
Der Legende zufolge wurde dieser legendäre Herrscher über einen südamerikanischen Stadtstaat im Dschungel seit Jahrtausenden täglich über und über mit Goldstaub bepudert, den er jeden Abend in einem heiligen See abzuwaschen pflegte. Wenn die Sage stimmte, dann mußte der Boden dieses Sees aus meterdicken Schichten puren Goldes bestehen – aber es war nur eine Sage, nicht mehr.
Spookys Überlegungen fanden ein Ende, als der Goldene zu sprechen begann: »Wer seid ihr, woher kommt ihr?«
Spooky antwortete; ausführlich versuchte er, Grund und Ziel seiner Mission zu erklären. Er gab sich größte Mühe, jedes negative Gefühl zu vermeiden, dabei aber doch klarzumachen, daß es für den Goldenen von Vorteil sein würde, wenn er die Terraner unbeschadet ziehen ließe.
Sein Gegenüber schien nicht ganz der gleichen Meinung zu sein; die Art und Weise, mit der der Mann Danielle musterte, gefiel Spooky überhaupt nicht. Als der Terraner geendet hatte, dachte der Goldene lange nach.
Das übermäßig wuchtige Mobiliar des Raumes war über und über mit Verzierungen aller Art bedeckt – Spooky fühlte sich unwillkürlich an jene Inneneinrichtungen erinnert, die man auf der Erde boshaft als »Texanisches Barock« bezeichnete. Die Wände und ihre selbstverständlich goldfarbenen Verkleidungen waren nach irdischen Maßstäben von ähnlicher Geschmacklosigkeit. Einige Kolossalgemälde fielen dem Terraner auf – sie zeigten Raumschlachten, Planetensysteme, die von Superbomben zerrissen wurden – aber merkwürdigerweise ohne korrekte Wiedergabe der Perspektiven.
»Wir haben entschieden!« sagte der Goldene plötzlich. »Das Monument hat heute bereits einen Frevler gestraft – das mag genügen! Dennoch kann die Tat der beiden Fremden nicht ohne Sühne bleiben!«
Die Stimme des Goldenen war trotz der harten Worte ruhig und klangvoll; er fällte seinen Urteilsspruch ohne erkennbare Gefühle.
»Der Mann wird für sein Tun zum Galeerendienst abgestellt; dort soll er sein Leben beschließen. Das Weib ist von Natur aus schwach und dumm; daher verdient sie mildere Strafe. Sie wird der Spinnstube meines Hauses zugeteilt; vielleicht werde ich mich ihrer noch einmal annehmen.«
Spooky konnte sich mühelos ausmalen, was er sich darunter vorzustellen hatte; Danielle Velleur stellte ähnliche Überlegungen an. Aus den Augenwinkeln heraus sah Spooky, wie sie sich anschickte, dem Goldenen handgreiflich klarzumachen, was sie von diesem Vorschlag hielt.
»Ruhe bewahren!« zischte Spooky halblaut. »Noch sind Giri und Sirghia frei, und Aphros ist schließlich auch noch in der Nähe.«
Lautlos und unsichtbar war die Spionsonde den beiden Terranern gefolgt. Auf den Bildschirmen hatten Giri bel Tarman und Sirghia Khanmar die Geschehnisse verfolgen können. Als Spooky von den stämmigen Wachen abgeführt wurde, folgte die Sonde ihm – was aus Danielle wurde, konnten die beiden Morconen nicht feststellen.
»Warum folgst du Spooky?« erkundigte sich Sirghia, die neben Giri an dem Steuerpult für die Sonde saß. »Wäre es nicht interessanter, den Palast auszukundschaften?«
»Das schon«, gab Giri ruhig zurück, »aber das Risiko, daß die Sonde entdeckt wird, ist entschieden zu groß. Außerdem hat Danielle in den nächsten Stunden nichts zu befürchten – aber Spooky wird es auf der Galeere wesentlich schwerer haben!«