»Bist du bereit?« fragte er Azla.
Die Androidin nickte kurz; sie wartete, bis die Bordwand der Galeere dumpf gegen die Fender an der Kaimauer prallte. Dann setzte sie sich mit dem Kommandohirn des Monuments in Verbindung und gab ihre Befehle. Der Rechner reagierte sofort.
Die Menschen, die sich auf dem großen Platz des Monuments aufhielten, schrien entsetzt auf. Schlagartig tauchte der rote Energievorhang auf – ohne daß sich irgend jemand dem bedrohlichen Bannkreis genähert hätte. Noch nie hatte sich derlei zugetragen. Die Gaukler und Schausteller unterbrachen ihre Kunststücke; die Geldwechsler ließen achtlos kleine Vermögen fallen.
Ebenso plötzlich wie er aufgetaucht war, verschwand der Vorhang wieder. Dann begann das Monument selbst zu leuchten; zunächst spürten nur die sehr nahe Stehenden die Veränderung und wichen vor der Hitze zurück. Dann machte der metallische Glanz der stählernen Säule einem dunklen Ton Platz, der sich allmählich in ein tiefes Rot wandelte und sehr rasch fortschritt, bis die gesamte Masse des Monuments fast weiß glühte. Aus der Spitze des Monuments schoß ein feuriger Strahl in die Höhe und entfaltete sich; nach wenigen Sekunden war der große Platz taghell vom grellen Schein des Strahlenkelches überschüttet. Der Schein reichte mehrere hundert Meter in die Höhe – in der ganzen Stadt mußte das Fanal zu sehen sein.
Plötzlich tauchten auch Soldaten des Goldenen auf; sie stürmten auf den Platz und versuchten, die Menge auseinanderzutreiben. Als die Massen nicht wichen, nahmen die Männer Aufstellung und entsicherten ihre Strahler.
»Geht nach Hause, Leute!« schrie ein Offizier. »Geht nach Hause! Wenn der Platz nicht in kürzester Frist geräumt ist, lasse ich schießen!«
Niemand dachte daran, seinen Worten zu folgen. Vielmehr rückte eine Wand aus menschlichen Leibern langsam, aber unaufhaltsam gegen die schwache Linie der Soldaten. Der Offizier verzog ärgerlich das Gesicht, dann preßte er die Kiefer zusammen und gab den Befehl zum Feuern.
Höhnisches Gelächter erklang. Kein Schuß löste sich. Fassungslos starrten die Soldaten auf die nutzlos gewordenen Strahlwaffen. Bevor sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, war eine Woge von Menschen über sie hereingebrochen. Es dauerte nur kurze Zeit, dann waren die Soldaten überwältigt und ihre Waffen verschwunden.
Aus der Menge kamen Rufe nach Rache und Vergeltung; Übereifrige suchten bereits nach Stricken und passenden Mauervorsprüngen. Bevor die Menschen aber an den wehrlosen Soldaten ihr Mütchen kühlen konnten, machte sich das Monument wieder bemerkbar.
Zahllose Menschen preßten die Hände in einer verzweifelten Geste an die Köpfe, andere taumelten. Das leise, nicht hörbare Wispern der hypnotischen Ausstrahlung des Monuments hörte schlagartig auf. Den meisten Makarern erging es wie Erstickenden, die plötzlich reinen Sauerstoff zu atmen bekommen – das plötzliche Nachlassen des mentalen Druckes betäubte die Menge.
Dieser Zustand dauerte nur kurze Zeit, dann begann das Monument zu sprechen.
Aus dem Wispern und Flüstern war eine laute, eindringliche und unüberhörbare Stimme geworden.
Jeder Makarer hat das Recht, zu tun und zu handeln, wie er will, sofern er damit nicht das genau gleiche Recht eines anderen Makarers schmälert! Wer von seinen Rechten nicht vollen Gebrauch macht, hilft anderen, Unrecht zu begehen!
Immer wieder wiederholte die Stimme die beiden Sätze; mit gnadenloser Wucht setzte das Kommandohirn die Hypnose-Maschinen ein. Mit der Gewalt einer Stahlpresse wurden die Grundsätze in die Gedanken jedes Menschen auf dem Platz geprägt; niemand konnte sich dem Zugriff entziehen.
Als der Feuerstrahl am Horizont aufstieg, gab Azla das vereinbarte Zeichen. Ein halbes Dutzend Männer sprang sofort an Land und setzte die Hafenbeamten matt. Binnen weniger Minuten war die Mole von den Sträflingen eingenommen. Dann gab Azla das Zeichen zum Sammeln; an der Spitze des Trupps marschierte sie los – dorthin, wo das Monument stand und mit seiner Botschaft den Glauben einer Welt erschütterte.
Während sie auf das Monument zumarschierten, schlossen sich ihnen Bewohner der Stadt an. Die meisten waren bewaffnet. Aphros erkannte Metzgerbeile und Dreschflegel, Küchenmesser und zweckentfremdete Tischbeine. Die auf dem Platz des Monuments zusammengedrängten Einwohner machten bereitwillig Platz, als die Kolonne sich näherte. Ohne ein Wort ging Azla weiter; schweigend schloß man sich ihr an – auf den Gesichtern der Menschen, die einen immer länger und dichter werdenden Zug formten, stand der Ausdruck einer wilden Entschlossenheit. Aphros schätzte die Zahl der Marschierer auf hunderttausend und war überzeugt, daß er noch zu tief lag. Er spürte, daß die Tage des Goldenen und seiner Gefolgsmänner gezählt waren – die Menschen, die schweigend auf den Palast des Tyrannen zumarschierten, würden sich niemals wieder einer anderen Regierung beugen als einer, die von ihnen frei und unabhängig gewählt und jederzeit kontrollierbar war. Fackeln tauchten in den Händen auf; sie verstärkten noch den Eindruck, den der gewaltige Aufmarsch für jeden Beobachter abgeben mußte.
»Wir müssen vorsichtig sein«, flüsterte Azla dem Androiden ins Ohr. »Der Goldene selbst und ein sehr großer Teil der Palastbewohner sind für die Einflüsse der Hypno-Maschinen unempfindlich.«
»Viel werden sie mit ihren funktionsuntüchtigen Strahlern nicht ausrichten können«, sagte Aphros.
»Auch Schwerter können tiefe Wunden schlagen!« mahnte Azla. »Wir sollten so vorgehen, daß das Risiko möglichst gering ist.«
Inzwischen hatte die Spitze des Zuges den Palast des Goldenen erreicht; Azla verharrte und sah sich um. Die Menge staute sich vor dem großen Flügeltor. Auf den Palastzinnen erschienen behelmte Köpfe. Aphros spähte nach oben und sah nicht eine einzige Energiewaffe – die Soldaten schienen die Wirkungslosigkeit der Strahler bereits erkannt und sich umgestellt zu haben.
»Wir müssen uns beeilen!« sagte der Androide. »Wenn wir hier zuviel Zeit verlieren, ist der Goldene unter Umständen schon ausgeflogen. Vermutlich hat er im Palast oder im Garten ein kleines raumtüchtiges Schiff versteckt.«
Azla lächelte geringschätzig. »Keine Sorge!« beruhigte sie den Androiden. »Auch daran habe ich gedacht – das Monument hält sämtliche Schiffe am Boden fest. Der Goldene wird uns nicht entwischen!«
Die Soldaten auf den Zinnen begannen unruhig zu werden; der Wald von Fackeln vor ihren Augen war unüberschaubar groß geworden. Außerdem machten sich auch bei ihnen die ersten Anzeichen einer hypnotischen Beeinflussung bemerkbar. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Widerstand erlosch.
»Es kann losgehen!« sagte Spooky halblaut.
Er hatte als erster den Schein gesehen, der von dem Monument ausging; auf sein Zeichen hin schalteten die Männer und die Robots ihre Deflektoren ab und entsicherten ihre Schockwaffen.
»Vorwärts!« befahl der Terraner.
Er hatte sich die Konstruktion des weitläufigen Palastes anhand exakter Pläne aus dem Archiv des Monuments gut eingeprägt. So wußte er genau, wohin er sich zu wenden hatte.
Die Männer und die Robots stürmten vorwärts; eine Zeitlang liefen sie geduckt, um die Dunkelheit und die Büsche und Sträucher im Park zur Deckung benutzen zu können. Als sie nur noch einen Steinwurf weit vom Seitentor des Palastes entfernt waren, flammte überall gleichzeitig die elektrische Beleuchtung auf. Sofort war der halbe Park in grelles Licht getaucht.
Die Angreifer legten einen Spurt ein, überquerten eine freie, kiesbedeckte Fläche und preßten sich an die Mauer. Das Geräusch ihrer Schritte war unüberhörbar gewesen; über ihnen wurden Befehle geschrien, und das Klirren von Waffen nahm an Lautstärke zu.
Verblüffend schnell hatten sich die Palastsoldaten umgestellt. Da ihre Energiewaffen nichts mehr taugten, verwendeten sie die schweren, massiven Strahler als Wurfgeschosse. Zwei Strahler waren unmittelbar vor Spooky auf den Kies geprallt; den stählernen Schädeln der Robots mochten die Geschosse nichts anhaben, aber die Hirnschale eines normalen Terraners oder Morconen wäre einem solchen Anprall sicherlich erlegen. So schnell es ging, schoben sich die beiden Männer vorwärts in Richtung auf das Tor. Es hatte keinen Überbau und bot zumindest für kurze Zeit Schutz vor Geschossen.