Выбрать главу

Arthur C. Clarke

Fahrstuhl zu den Sternen

Vorwort

»Vom Paradies bis nach Taprobane sind es vierzig Meilen. Man kann dort die Quellen des Paradieses hören.«

Überliefert, aufgezeichnet von Bruder Marignolli (1335)

Das Land, das ich Taprobane genannt habe, gibt es nicht wirklich, aber es stimmt zu neunzig Prozent mit der Insel Sri Lanka (früher Ceylon) überein. Obwohl das Nachwort klären wird, welche Orte, Ereignisse und Persönlichkeiten auf der Realität beruhen, ist der Leser fürs Erste gut beraten, wenn er davon ausgeht, dass, je unwahrscheinlicher das Geschehen, es der Wahrheit umso näher ist.

I — Der Palast

Kalidasa

Die Krone wurde von Jahr zu Jahr schwerer. Als der verehrungswürdige Bodhidharma Mahajanake Thero sie ihm damals aufs Haupt setzte — wie hatte er dabei gezögert! —, da war Prinz Kalidasa von ihrer Leichtheit überrascht gewesen. Jetzt, zwanzig Jahre später, entledigte sich der König Kalidasa, wann immer die Etikette des Hofes es zuließ, gerne des juwelenbesetzten Goldbandes.

Hier, auf der windumtosten Höhe der Felsenfestung, war nicht viel davon zu spüren — von Etikette, versteht sich. Nur selten ersuchte ein Gesandter oder Bittsteller um Audienz. Viele, die die Reise nach Jakkagala unternahmen, kehrten auf dem letzten, steilen Stück der Strecke um, geradewegs zwischen den Kiefern des kauernden Löwen hindurch, der stets so aussah, als wolle er im nächsten Augenblick von der Felswand springen. Ein alter König konnte niemals auf diesem himmelan strebenden Thron sitzen. Eines Tages, dachte Kalidasa, würde auch er zu schwach sein, seinen eigenen Palast zu erreichen. Er zweifelte indes, dass er den Tag je erleben werde: Seine zahlreichen Feinde würden ihm die Erniedrigung durch das Alter ersparen.

Die Feinde machten in dieser Stunde mobil. Er blickte nach Norden, als könne er dort die Armeen seines Halbbruders schon heranmarschieren sehen, um Anspruch auf den blutbefleckten Thron von Taprobane zu erheben. Aber diese Gefahr lag noch in weiter Ferne, jenseits der vom Monsun gepeitschten See. Obwohl Kalidasa mehr Zutrauen zu seinen Spähern als zu seinen Astrologen hatte, beruhigte es ihn, zu wissen, dass sie in diesem Punkt einer Meinung waren.

Malgara hatte nahezu zwanzig Jahre damit verbracht, seine Pläne zu entwerfen und sich der Unterstützung durch fremde Könige zu versichern. Ein noch geduldigerer Feind aber befand sich in unmittelbarer Nähe, unermüdlich am Südhimmel lauernd. Der geometrisch vollkommene Kegel des Sri Kanda, des Heiligen Berges, wirkte, sich über die Zentralebene auftürmend, heute ungewöhnlich nahe. Seit den Anfängen der Geschichte hatte er das Herz eines jeden, der ihn zu sehen bekam, mit Ehrfurcht erfüllt. Es gab keine Sekunde, in der sich Kalidasa seiner brütenden Gegenwart und der Macht, die er symbolisierte, nicht bewusst war.

Dabei besaß der Mahajanake Thero weder Armeen noch kreischende Kriegselefanten, die sich mit schwingenden Stoßzähnen in die Schlacht warfen. Der Hohepriester war weiter nichts als ein alter Mann in einer orangefarbenen Toga, dessen einziges irdisches Besitztum aus einer Bettelschale und einem Palmenblatt zum Schutz gegen die Sonne bestand. Während die Mönche und die Akoluthen die Gesänge der Schriften rings um ihn zelebrierten, saß er mit untergeschlagenen Beinen in stoischer Ruhe — und spielte dabei mit dem Schicksal von Königen. Es war sehr sonderbar …

Die Luft war an diesem Tag so klar, dass Kalidasa den Tempel erkennen konnte, den die Entfernung zu einer winzigen, weißen Pfeilspitze unmittelbar auf dem Gipfel des Sri Kanda schrumpfen ließ. Er sah nicht wie Menschenwerk aus. Der König fühlte sich an noch größere Berge erinnert, die er in seiner Jugend zu Gesicht bekommen hatte, als er am Hof Mahindas des Großen halb Gast, halb Geisel gewesen war. Alle Berge, die Mahindas Reich beschützten, trugen solche Kappen, die aus einer glänzenden, kristallinen Masse bestanden, für die die Sprache von Taprobane keinen Namen kannte. Die Hindus glaubten, es sei eine Art Wasser, auf magische Art verwandelt; aber Kalidasa hatte für solchen Aberglauben nichts als Spott.

Jener elfenbeinerne Glanz war nur drei Tagesmärsche entfernt — einen längs der Königsstraße, durch Wald und Reisfelder, und zwei die ewig gewundene Treppe empor, die er niemals mehr betreten konnte, weil sich an ihrem Ende der einzige Feind befand, den er fürchtete und nicht besiegen konnte. Manchmal beneidete er die Pilger, wenn sie in der Nacht hinaufstiegen und ihre Fackeln eine dünne Linie aus Feuer über die Wand des Berges zogen. Der niedrigste Bettler konnte auf der Höhe des Berges das heilige Morgendämmern begrüßen und die Segnungen der Götter empfangen; aber der Herrscher dieses Landes konnte es nicht.

Er hatte sich freilich Trost verschafft, wenn auch nur vorübergehend. Vor ihm, durch Graben und Mauern geschützt, lagen die Teiche und Brunnen, die Lustgärten, für die er die Schätze des Königreichs geplündert hatte. Und wenn er ihrer müde wurde, dann waren da die Frauen vom Felsen — jene aus Fleisch und Blut, die er in letzter Zeit immer seltener zu sich hatte rufen lassen — und die zweihundert ewig gleichen Unsterblichen, mit denen er oft Gedanken austauschte, weil es niemand anders gab, dem er trauen konnte.

Donner rollte den Westhimmel entlang. Kalidasa vergaß den drohenden, brütenden Anblick des Berges und wandte sich dem westlichen Horizont zu, der die Hoffnung auf Regen weckte. Der Monsun kam diesmal spät. Die künstlichen Seen, die das komplexe Bewässerungssystem der Insel versorgten, waren fast leer. Um diese Jahreszeit hätte er von hier aus die glitzernde Oberfläche des mächtigsten unter ihnen sehen müssen — den, wie er wohl wusste, seine Untertanen noch immer nach seinem Vater zu nennen wagten: Paravana Samudra, Paravanas Meer. Der See war erst vor dreißig Jahren, nach generationenlanger Mühsal, fertiggestellt worden. In glücklicheren Zeiten hatte der junge Prinz Kalidasa stolz an der Seite seines Vaters gestanden, wenn die Flutschotte geöffnet wurden und das lebenspendende Wasser sich über das dürstende Land ergoss. Im ganzen Königreich gab es keinen lieblicheren Anblick als die spiegelnde, leicht gewellte Oberfläche des riesigen, von Menschen gemachten Sees, in dem sich die Türme und Kuppeln von Ranapura abbildeten, der Goldenen Stadt — dem einstmaligen Zentrum des Reiches, das er um seines Traumes willen aufgegeben hatte.

Ein weiteres Mal rollte der Donner, aber Kalidasa wusste, dass er seinem Versprechen nicht trauen durfte. Selbst hier, auf dem Gipfel des Teufelsfelsens, war die Luft ruhig und leblos. Nichts war zu spüren von den plötzlichen, aus willkürlicher Richtung fauchenden Böen, die das Kommen des Monsuns ankündigten. Bevor der Regen kam, würde zu der Liste seiner Sorgen womöglich noch eine Hungersnot hinzugefügt werden.

»Euer Majestät«, sagte die geduldige Stimme des Hofmeisters: »Die Gesandten sind aufbruchbereit. Sie möchten ihre Aufwartung machen.«

O ja — die zwei bleichgesichtigen Botschafter von jenseits des westlichen Meeres! Es tat ihm leid, sie gehen zu lassen. Sie hatten ihm, in ihrem scheußlichen Taprobani, viele Neuigkeiten berichtet und von manchen Wundern erzählt — obwohl sie zugaben, dass keines unter diesen dieser Palastfestung unmittelbar unter dem Himmel gleichkam.

Kalidasa wandte sich ab und stieg die Granitstufen zur Audienzhalle hinab. Hinter ihm kamen der Kammerdiener und seine Gehilfen. Sie trugen Gaben aus Elfenbein und Edelsteinen für die hochgewachsenen, stolzen Männer, die Lebewohl sagen wollten. Bald würden sie die Schätze von Taprobane übers Meer tragen, bis hin zu einer Stadt, die um Jahrhunderte jünger war als Ranapura. Eine Zeitlang würden sich damit die finsteren Gedanken des Kaisers Hadrian zerstreuen lassen.

Mahajanake Thero schritt gemächlich auf die nördliche Brüstung zu. Weit unter ihm lag das Schachbrettmuster der Reisfelder, das sich von Horizont zu Horizont erstreckte, mit den dunklen Linien der Bewässerungskanäle, weiter der blaue Schimmer von Paravanas Meer — und jenseits des Binnenmeers die geheiligten Kuppeln von Ranapura, die wie gespenstische Blasen im Luftmeer schwebten, unglaublich groß, wenn man sich vor Augen führte, wie weit die Entfernung war. Dreißig Jahre lang hatte er dieses ständig wechselnde Panorama beobachtet und war jetzt mehr denn je davon überzeugt, dass er niemals alle Einzelheiten seiner Komplexität begreifen werde. Farben und Konturen änderten sich mit der Jahreszeit — ja, sogar mit den Wolken, die am Himmel dahinzogen. Solange er auch lebte: Selbst am Tag seines Todes würde er etwas Neues zu sehen bekommen.