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Dick Francis

Festgenagelt

Kapitel 1

Bitterer Februar, innen wie außen, Stimmung dem Wetter entsprechend, scheußlich und trüb, nahe dem Nullpunkt. Ich ging auf der Rennbahn in Newbury vom Waageraum zum Führring und gab mir Mühe, nicht nach dem Gesicht, das ja doch fehlen würde, Ausschau zu halten — dem vertrauten Gesicht von Danielle de Brescou, mit der ich offiziell verlobt war, samt Diamantring und allem.

Daß ich damals im November diese Frau gewonnen hatte, war unverhofft gekommen, ein plötzliches Erwachen, aufregend… beglückend. Sie zu halten erwies sich jetzt, in den Frösten vor dem Frühling, als teuflisch schwer. Meine innig geliebte, dunkelhaarige Freundin schien sich zu meinem Erschrecken im Moment weniger für einen Hindernisjockey (mich) zu interessieren als für einen älteren, reicheren Weltmann von besserer Herkunft (es war ein Prinz), der noch nicht einmal den Anstand hatte, schlecht auszusehen.

Ich versuchte zwar, mir nichts anmerken zu lassen, mußte aber feststellen, daß die Enttäuschung immer wieder in den Rennen durchbrach, wo ich ohne Rücksicht auf Verluste über Hindernisse jagte, bedenkenlos die Gefahr suchte, um das Gefühl der Zurückweisung auszulöschen. Es war vielleicht nicht vernünftig, mit blockiertem Verstand einer riskanten Arbeit nachzugehen, aber Beruhigungsmittel gab es in vielen Formen.

Prinzessin Casilia wartete ohne Danielles Begleitung wie üblich im Führring und beobachtete, wie ihr Starter Cascade präsentiert wurde. Ich trat zu ihr, ergriff die dargebotene Hand, machte die kleine Verbeugung, die ihrem Rang zukam.

«Kalt heute«, sagte sie zur Begrüßung, die Konsonanten ein wenig hart, die Vokale rein und klar; der Akzent ihres europäischen Heimatlandes klang nur leise an.

«Kalt, ja«, sagte ich.

Danielle war nicht mitgekommen. Natürlich nicht. Dumm von mir, darauf zu hoffen. Sie hatte am Telefon in bester Laune gesagt, daß sie das Wochenende nicht mit mir verbringen könne; sie wolle mit dem Prinzen und einigen seiner Bekannten zu einem sagenhaften» florenti-nischen «Treffen in einem Hotel im Lake District; dort werde unter anderem der Kustos der italienischen Gemäldesammlung des Louvre eine Reihe Vorträge über die italienische Renaissance halten. Es sei eine so tolle, einmalige Gelegenheit; sie sei sicher, ich hätte Verständnis dafür.

Es war bereits das dritte Wochenende, an dem sie sicher war, daß ich Verständnis hätte.

Die Prinzessin sah distinguiert aus wie immer, in den mittleren Jahren, schlank, ausgesprochen feminin, warm eingehüllt in einen üppigen Zobelmantel, der von schmalen Schultern schwang. Normalerweise war ihr hochgestecktes, glattes dunkles Haar unbedeckt, doch heute trug sie einen hohen russischen Pelzhut mit riesiger, aufgebogener Krempe, und flüchtig dachte ich, daß ihn kaum jemand stilvoller hätte tragen können. Ich ritt die rund zwanzig Pferde ihrer Koppel seit mehr als zehn Jahren und kannte die Kleidung, die sie zu Rennbahnbesuchen anzog, ziemlich gut. Der Hut war neu.

Sie bemerkte die Richtung meines Blickes und die in ihm liegende Bewunderung, sagte aber lediglich:»Zu kalt für Cascade, oder?«

«Das hält er aus«, meinte ich.»Er läuft sich beim Aufgalopp warm.«

Sie würde zu Danielles Abwesenheit nichts sagen, wenn ich davon schwieg. Stets zurückhaltend, ihre Gedanken hinter langen Wimpern verbergend, klammerte sich die Prinzessin an feine Umgangsformen wie an einen Schild gegen die schlimmsten Bedrängnisse der Welt, und ich war oft genug in ihrer Gesellschaft, um die von ihr gewählten sozialen Fassaden nicht geringzuschätzen. Sie konnte Unwetter mit Höflichkeit besänftigen, Blitze durch standhaftes Geplauder entschärfen und die kampflustigsten Gegner mit der Erwartung entwaffnen, daß sie sich gut benehmen würden. Ich wußte, es war ihr lieber, wenn ich meinen Kummer für mich behielt; sonst würde ich sie nur in Verlegenheit bringen.

Andererseits verstand sie meine gegenwärtige Misere vollkommen. Einmal war Danielle die Nichte ihres Mannes, und Litsi, der Prinz, der jetzt Danielle zu einer Vergnügungsreise ins fünfzehnte Jahrhundert entführte, war ihr eigener Neffe.

Litsi, ihr Neffe, und Danielle, die Nichte ihres Mannes, waren derzeit beide unter ihrem Dach am Eaton Square zu Gast, wo sie sich von morgens bis abends sahen… und von abends bis morgens, wenn mich nicht alles täuschte.

«Wie stehen unsere Chancen?«fragte die Prinzessin neutral.

«Ziemlich gut«, sagte ich.

Sie nickte zustimmend, voll froher Hoffnung auf einen durchaus möglichen Sieg.

Cascade war, obschon es ihm an Grips fehlte, über die 2 Meilen ein äußerst erfolgreicher Steepler und hatte in der Vergangenheit jeden seiner heutigen Konkurrenten abgehängt. Mit etwas Glück würde er es wieder schaffen; aber nichts ist jemals sicher im Rennsport… oder im Leben.

Prinz Litsi, dessen vollständiger Name ungefähr einen Meter lang und meines Erachtens unaussprechlich war, war ein Kosmopolit, gebildet, eindrucksvoll und freundlich. Er sprach perfektes Umgangsenglisch, ohne die zu harten Konsonanten seiner Tante, und das war auch nicht weiter verwunderlich, da er erst nach der Entthronung seiner königlichen Großeltern geboren worden war und einen großen Teil seiner Kindheit in England verbracht hatte.

Er lebte jetzt in Frankreich, aber wir waren uns im Lauf der Jahre einige Male begegnet, wenn er seine Tante besuchte und sie zum Pferderennen begleitete, und irgendwie hatte ich ihn gemocht, ohne ihn näher zu kennen. Als ich erfuhr, daß er wieder einmal zu Besuch käme, hatte ich überhaupt nicht daran gedacht, welchen Eindruck er auf eine intelligente junge Amerikanerin machen könnte, die bei einem Fernseh-Nachrichtensender tätig war und für Leonardo da Vinci schwärmte.

«Kit«, sagte die Prinzessin.

Ich riß meine Gedanken vom Lake District los und konzentrierte mich auf ihr ruhiges Gesicht.

«Nun«, sagte ich,»manche Rennen sind leichter als andere.«

«Tun Sie Ihr Bestes.«

«Ja.«

Unsere Zusammenkünfte vor dem Start hatten sich mit den Jahren zu angenehmen kleinen Zwischenspielen entwickelt, bei denen wenig geredet, aber vieles verstanden wurde. Die meisten Besitzer gingen in Begleitung ihrer Trainer in den Führring, aber Wykeham Harlow, der die Pferde der Prinzessin trainierte, erschien auf keinem Rennplatz mehr. Wykeham wurde alt, er ertrug die ständigen Winterreisen nicht. Wykeham brachte trotz nachlassendem Gedächtnis und wackligen Knien für Pferde noch immer die Begeisterung auf, die ihm von Anfang an einen Platz an der Spitze eingetragen hatte. Nach wie vor strömten Scharen von Siegern aus seinem achtzig Tiere umfassenden Stall, und ich ritt sie liebend gern.

Die Prinzessin ging unbeirrbar bei jedem Wetter zum Pferderennen, freute sich an den Leistungen ihrer Ersatzkinder, plante ihre Zukunft, dachte an ihre Vergangenheit zurück, füllte die eigene Zeit mit nie ermüdender Anteilnahme. Im Lauf vieler Jahre waren sie und ich zu einer förmlichen und dennoch tiefen Beziehung gelangt; wir hatten Höhenflüge und Augenblicke des Kummers zusammen erlebt, verstanden uns mühelos bei den Rennen, gingen am Tor getrennte Wege.

Getrennt jedenfalls bis zum vorigen November, als Danielle aus Amerika gekommen war, um ihre Stellung in London anzutreten, und in meinem Bett landete. Obwohl die Prinzessin mich zweifellos als künftiges Familienmitglied akzeptiert hatte und mich oft in ihr Haus einlud, war ihr Verhalten zu mir — und mein Verhalten zu ihr — praktisch unverändert geblieben, besonders auf Rennplätzen. Das Muster war zu fest gefügt und kam uns wohl auch beiden richtig vor.

«Viel Glück«, sagte sie leichthin, als die Zeit zum Aufsitzen kam, und Cascade und ich gingen zum Start hinunter, wobei ihn der Kanter aufgelockert haben dürfte, doch wie üblich sandte er mir keine telepathischen Botschaften über seine Verfassung. Mit einigen Pferden konnte man fast so gut Gedanken austauschen wie im Gespräch, aber der dunkle, dünne, schnelle Cascade war gewohnheitsmäßig und ungefällig stumm.