«Vielleicht sollten Sie sich melden, dann wäre er dazu gezwungen.«
«In Ordnung. Und wir richten ihm aus… daß nichts läuft?«
«Könnten Sie ihn nicht einfach hinhalten?«
«Ja, vielleicht«, sagte ich,»aber um mit ihm fertig zu werden, müssen wir ihn erst finden, und er kann überall sein. Beatrice weiß, wo er steckt, oder wenigstens, wie er zu erreichen ist. Wenn man ihn hervorlocken könnte. «Ich hielt inne.»Was wir im Idealfall brauchen, ist eine angepflockte Ziege.«
«Und wen bitte«, erkundigte sich Litsi ironisch,»schlagen Sie für diese Ex-und-hopp-Aufgabe vor?«
Ich lächelte.»Eine ausgestopfte Ziege mit mechanischem Meckern. Alle echten Ziegen müssen beschützt werden oder aufpassen.«
«Schutz für Tante Casilia, Roland und Danielle.«
«Und die Pferde«, sagte ich.
«Okay. Und Schutz für die Pferde. Und Sie und ich…«
Ich nickte.»Aufpassen.«
Keiner von uns sprach an, daß Nanterre ausdrücklich uns beide als seine nächsten Angriffsziele genannt hatte: wozu auch? Ich glaubte nicht, daß er tatsächlich versuchen würde, einen von uns zu töten, aber schlimmer als ein Nadelstich mußte der Schaden schon sein, wenn es ihn weiterbringen sollte.
«Wie ist er?«sagte Litsi.»Sie haben ihn kennengelernt. Ich habe ihn noch nie gesehen. Kenne deinen Feind… die erste Regel für den Kampf.«
«Nun, ich denke, er hat sich in das Ganze hineingestürzt, ohne es vorher zu planen«, sagte ich.»Letzten Freitag meinte er wohl noch, er brauche die Prinzessin nur stark genug einzuschüchtern und Roland würde zusammenbrechen. Beinah wäre es ja auch so gekommen.«
«Wie ich das sehe, kam es anders, weil Sie dabei waren.«
«Das weiß ich nicht. Jedenfalls, als er am Freitagabend die Pistole zog, die nicht geladen war. das scheint mir typisch für ihn zu sein. Er handelt impulsiv, ohne etwas zu Ende zu denken. Er ist gewohnt, seinen Willen leicht durchzusetzen, weil er den Tyrann herauskehrt. Er ist gewohnt, daß man ihm gehorcht. Seit dem Tod seines Vaters — und der hatte ihn nach Väter Art verwöhnt — hat er die Baufirma weitgehend so geführt, wie es ihm paßt. Inzwischen dürfte er das Stadium erreicht haben, wo er glaubt, daß sich ihm buchstäblich niemand widersetzen kann, schon gar nicht ein alter, kranker Mann, der längst den Kontakt mit der Welt verloren hat. Als Roland ihn per Brief abblitzen ließ, kam er wohl hierher mit dem Gedanken: >Das werde ich bald ändern.< Mir kommt er in mancher Hinsicht kindisch vor, was ihn aber nicht harmloser macht, wahrscheinlich nur destruktiver.«
Ich wartete, aber Litsi äußerte sich nicht.
«Der Überfall auf Danielle«, sagte ich.»Auch dabei dachte er, es ginge alles nach seinem Kopf. Ich wette, es ist ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß sie schneller laufen könnte als er. Er tauchte da im Straßenanzug, mit polierten Lederschuhen auf. Das war eine Art von Arroganz — die Annahme, daß er von Natur aus schneller, stärker, überlegen sei. Wäre er sich da nicht ganz sicher gewesen, hätte er einen Jogginganzug angezogen, etwas Derartiges, und geeignete Schuhe.«
«Und die Pferde?«
Ich dachte ungern an die Pferde.»Sie waren wehrlos«, sagte ich.»Und er wußte, wie man sie tötet. Ich weiß zwar nicht, wie er an einen Bolzenschußapparat kommt, aber er hat mit Waffen zu tun. Er trägt eine. Sie ziehen ihn an, sonst würde er sie nicht herstellen wollen. Die Leute tun doch meistens das, wozu ihre Natur sie drängt, oder nicht? Vielleicht hat er ein echtes Verlangen, etwas sterben zu sehen… hinter seiner Begründung damals, daß er sichergehen wollte, nicht von den Abdeckern betrogen zu werden, könnte sich ein viel finsterer Wunsch verborgen haben. Man denkt sich dauernd vernünftige Gründe aus für das, was man tut oder tun will.«
«Sie auch?«fragte er neugierig.
«Aber sicher. Ich sage, ich reite des Geldes wegen.«
«Und das stimmt nicht?«
«Ich würde es umsonst machen, aber bezahlt werden ist besser.«
Er verstand diese Einstellung und nickte.»Was erwarten Sie denn nun als nächstes von Nanterre?«fragte er.
«Einen neuerlichen halbgaren Angriff auf einen von uns. Es wird nichts genau Geplantes sein, aber wir könnten trotzdem bös in die Klemme geraten.«»Reizend«, meinte er.
«Treffen Sie sich nicht mit Unbekannten in kleinen dunklen Gassen.«
«Tu ich nie.«
Ich fragte ihn etwas zögernd, was er in Paris, wo er zu Hause war, denn tue.
«Leider furchtbar wenig«, sagte er.»Ich bin Mitbesitzer einer Kunstgalerie. Ich verbringe einen großen Teil meines Lebens mit dem Betrachten von Gemälden. Der LouvreExperte, dessen Vorträge Danielle und ich uns angehört haben, ist ein sehr alter Bekannter. Ich war sicher, es würde ihr gefallen…«Er hielt inne.»Es hat ihr gefallen.«
«Ja.«
Ich merkte, daß er auf dem Beifahrersitz rückte, um mich besser sehen zu können.
«Es war eine Gruppe«, sagte er.»Wir waren nicht allein.«
«Ja, ich weiß.«
Er verfolgte es nicht weiter. Statt dessen sagte er unerwartet:»Ich war verheiratet, aber meine Frau und ich leben getrennt. Formal besteht die Ehe noch. Wenn einer von uns sich wieder verheiraten wollte, ließen wir uns scheiden. Aber sie hat Liebhaber und ich Geliebte…«er zuckte die Achseln.»In Frankreich ist das ganz normal.«
Ich sagte nach einer Pause:»Vielen Dank«, und er nickte, und wir redeten nicht mehr davon.
«Ich wäre gern Künstler geworden«, sagte er ein wenig später.»Jahrelang habe ich studiert… ich erkenne das Genie in großen Gemälden, aber selber… Ich kann zwar Farbe auf die Leinwand bringen, doch die große Begabung habe ich nicht. Und Sie, mein Freund Kit, dürfen sich verdammt glücklich schätzen, daß Sie mit dem Können gesegnet sind, das Ihren Wünschen entspricht.«
Ich schwieg; war zum Schweigen gebracht. Ich hatte das Können von Geburt an gehabt, und es ließ sich nicht sagen, woher es kam; und ich hatte noch nicht weiter darüber nachgedacht, was wäre, wenn ich es nicht hätte. Ich sah das Leben plötzlich von Litsis Standpunkt aus und wußte, daß ich mich wirklich verdammt glücklich schätzen konnte, daß hier die Quelle meiner grundlegenden Zufriedenheit war und daß ich in Demut dankbar dafür sein sollte.
Als wir zum Eaton Square kamen, schlug ich vor, ihn schon mal an der Haustür abzusetzen, bevor ich den Wagen unterstellte, aber davon wollte er nichts hören. Dunkle Gassen, erinnerte er mich, und aufpassen.
«Die Garagen haben ein bißchen Licht«, sagte ich.
«Trotzdem, wir stellen den Wagen zusammen unter und gehen zusammen zurück und halten uns an Ihren Rat.«
«Okay«, sagte ich und dachte bei mir, daß ich um halb zwei, wenn ich Danielle abholen fuhr, doch allein in die bewußte dunkle Gasse gehen würde und dann lieber aufpassen sollte.
Litsi und ich wurden, als wir ins Haus kamen, von Dawson empfangen, der sagte, die Prinzessin und Beatrice seien auf ihre Zimmer verschwunden, um sich umzuziehen und auszuruhen.
«Wo ist Sammy?«fragte ich.
Sammy, entgegnete Dawson mit leiser Mißbilligung, wandere umher und sei nie länger als eine Minute am selben Ort. Ich ging nach oben, um das neue Telefon zu holen, und sah Sammy die Treppe vom Dachgeschoß herunterkommen.
«Wußten Sie, daß da oben noch ‘ne Küche ist?«sagte er.
«Ja, hab ich gesehen.«
«Und ein, zwei Oberlichter sind da auch. Unter denen hab ich ein paar hübsch getarnte Todesfallen angebracht. Wenn Sie da oben einen Haufen alter Messinggewehre scheppern hören, rufen Sie schleunigst die Bullen.«
Ich versicherte ihm, das würde ich tun, und nahm ihn mit nach unten, um ihm wie auch Dawson und Litsi zu zeigen, wie das Tonbandtelefon funktionierte.