Der Fremdenführer riss die Augen auf. »So was habt ihr gekauft?«
»Wir hatten keine andere Wahl«, erklärte Beth. »Wir mussten.«
»Jetzt habe ich eine Lebensversicherung«, sagte Hunt. »Und mir wurde versprochen, dass ich nun ewig lebe.«
»Das ich nicht glaube!«
»Tja, ich weiß nicht, ob es wirklich funktioniert, und ich möchte es auch nicht herausfinden, aber ich habe die Versicherung und muss dafür bezahlen, und das kann ich mir nicht leisten. Deshalb möchte ich diese Firma finden und ... es beenden.«
»Kommt dir das irgendwie bekannt vor?«, ergriff jetzt auch Beth das Wort. »Hast du jemals etwas in der Art gehört, oder kennst du vielleicht irgendwelche Gerüchte in dieser Richtung?«
Manuel schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber kannst du uns helfen, diese Versicherung zu finden?«
»Ich weiß nicht, wo ich soll anfangen«, gab Manuel zu. Er grinste und entblößte zwei klaffende Zahnlücken. »Aber deswegen habe ich auch gesagt, ich will euch helfen. Ich gedacht, ihr würdet nicht gehen wollen einkaufen. Deswegen ich verlange nur zehn Dollar am Tag.«
»Zwanzig«, bot Beth an.
»Gracias. Ich nehme an.«
»Also, womit fangen wir an?«, fragte Hunt. »Mit dem Telefonbuch?«
»Eure amerikanische Geschäftsstelle nicht steht drin, no?«
»Stimmt«, sagte Hunt.
»Dann hier wohl auch nicht. Aber ich kenne einen Mann, der uns vielleicht kann helfen. Mit dem wir fangen an.«
»Dann los«, sagte Hunt.
Beth nickte. »Wir wissen das wirklich zu schätzen.«
Manuel ließ den Motor an, der röhrend zum Leben erwachte.
»Festhalten«, sagte er.
Abseits der Hauptstraßen waren die Gassen und Sträßchen von Tuxtla Gutierrez schmal und uneben. Sie waren zu einer Zeit angelegt worden, als man noch Kutschen benutzte und keine Autos, als man noch Herden durch die Straßen trieb und nicht mit Pick-ups hindurchjagte. Immer noch gingen viele Menschen hier zu Fuß, und Manuels Truck raste an uralten Gebäuden vorbei durch die verschlungenen Gassen und verfehlte oft nur knapp Gruppen von Männern, Frauen und Kindern. Hunt und Beth klammerten sich fest, als hinge ihr Leben davon ab: Hunt stemmte sich gegen das Armaturenbrett, Beths Hand krampfte sich um die Armlehne an der Beifahrertür.
Hunt wollte sich gar nicht vorstellen, wie es Joel und Jorge auf der Ladefläche erging. Immer wenn er sich umdrehte und durch die staubige Heckscheibe spähte, sah er, wie sie mit Armen und Beinen kämpften, nicht über die Ladefläche geschleudert zu werden; ihre Münder und Augen waren krampfhaft geschlossen, um sie vor dem Staub zu schützen.
Der Wagen jagte an Häusern aus weißgetünchten Tonziegeln vorbei - Gebäude, die aussahen, als wären sie in mehr als nur einem Krieg zerschossen worden, und an verschachtelten Gebäuden mit Leitern, die auf die Dächer führten, wie bei den Bauten der Pueblo-Indianer. Leinen, an denen bunte Wäschestücke hingen, waren über die Gassen gespannt.
Dieses Land war uralt. Nie zuvor hatte Hunt spüren können, wie jung die Vereinigten Staaten eigentlich waren, doch hier konnte er die Vergangenheit deutlich wahrnehmen, das ganze Gewicht der Geschichte. Auf diesen Straßen waren schon Menschen unterwegs gewesen, als es noch Jahrhunderte dauern sollte, bis die Pilgerväter bei Plymouth Rock an Land gingen - und viele dieser Straßen schienen sich seitdem kaum verändert zu haben.
Schon bald war Hunt nicht einmal mehr ansatzweise in der Lage, sich zu orientieren; seine Verwirrung war vollkommen, als sie endlich ihr Ziel erreichten: ein zweigeschossiges Gebäude aus Ziegeln am Ende einer kleinen Gasse. Aus der offen stehenden Tür trat soeben ein Mann, der an einem Schultergurt eine Maschinenpistole trug.
Manuel stieg aus und rief dem Bewaffneten etwas zu, was wie eine Begrüßung klang. Der Mann verschwand wieder im Gebäude. Einen Augenblick später kam ein anderer Mann heraus - ein vergnügt wirkender, übergewichtiger Bursche in weit geschnittener, weißer Kleidung. Er sah wie eine Nebenfigur in einem zweitklassigen Film aus: der Vater des schönen Mädchens, in das der Held sich verliebt und der immer für einen lustigen Spruch oder einen anderen Lacher gut war. Doch der Bursche mit der Maschinenpistole, der offensichtlich den fetten Weißgekleideten bewachte, ließ darauf schließen, dass dieser weit mehr als ein einfacher, lustiger Bursche war. Manuel verhielt sich dem Weißgekleideten gegenüber ebenfalls sehr respektvoll, beinahe schon ehrfürchtig, und auch wenn die beiden einander offensichtlich sehr mochten, war ebenso offensichtlich, wer von beiden der Einflussreichere war.
Joel und Jorge sprangen von der Ladefläche und stellten sich neben die Beifahrertür.
»Das mein lieber Freund Rodrigo«, erklärte ihr Fremdenführer. »Wenn in Stadt etwas passiert, er weiß davon. Gebt mir eure Karte, dann ich frage ihn nach dieser Versicherungsgesellschaft.«
»Bei uns in den Staaten heißt sie nur Insurance Group«, wiederholte Hunt und reichte Manuel die Karte.
»Ich ihm erzählen von eurer Lebensversicherung. Er vielleicht es nicht glauben, aber ich weiß, dass es ihn wird interessieren. Wenn er bis jetzt noch nichts über diese Gesellschaft weiß, er wird es herausfinden.«
Manuels Bericht führte jedoch nicht zum erwünschten Erfolg, das sah Hunt an Rodrigos Mimik. Doch Manuel sprach weiter, immer schneller und nachdrücklicher; offensichtlich versuchte er, so viel wie möglich an Informationen unterzubringen.
Plötzlich versetzte der fette Mann Manuel eine heftige Ohrfeige. Erstaunt trat der Fremdenführer einen Schritt zurück. Wütend stieß Rodrigo ein paar Worte hervor; dann rief er etwas, das wie ein Befehl klang.
»Das sieht nicht gut aus«, murmelte Jorge.
Zwei weitere Männer mit Maschinengewehren kamen aus dem Haus gerannt. Wieder schlug Rodrigo dem Fremdenführer ins Gesicht, und Manuel machte keinerlei Anstalten, sich zu verteidigen. Dann deutete der Mann auf Joel und Jorge, die neben dem Pick-up standen.
Rodrigo war ein Verbrecher, aber offensichtlich ein Mann mit beträchtlichem Einfluss. Hunt wusste nicht, ob er eingreifen und Manuel helfen sollte oder sich schweigend zurücklehnen und darauf warten, dass alles vorbeiging. Die Tatsache, dass er die Sprache nicht verstand und keine Ahnung hatte, was hier überhaupt vorging, brachte Hunt in eine Lage, in der er deutlich benachteiligt wäre.
Es war Beth, die schließlich eingriff. »Lasst ihn in Ruhe!«, rief sie und öffnete die Beifahrertür.
Rodrigo verharrte. Selbst wenn er Beths Worte nicht verstand, begriff er doch, was ihr Tonfall besagte. In Hunt stieg Furcht auf. Er bezweifelte, dass Rodrigo es gewohnt war, dass jemand so mit ihm sprach - erst recht keine Frau.
Langsam zog Manuel sich zurück, bewegte sich auf seinen Pick-up zu und versuchte, jede hastige Bewegung zu vermeiden. »Sie sich lieber halten raus«, sagte er zu Beth. »Sie nichts damit zu tun.«
Joel und Jorge zogen sich ebenfalls zurück, bewegten sich von der Beifahrertür zur Ladefläche.
»Ich glaube, wir haben sehr wohl etwas damit zu tun«, widersprach Beth, und ihre Stimme klang bestimmt.
»Er mir nicht glaubt«, sagte Manuel. »Er meint, ich wolle ihn verspot ...«
Ein Schuss dröhnte, doch er kam nicht aus einer der Maschinenpistolen.
Die drei Wachen liefen los, umringten Rodrigo und drängten ihn zurück ins Haus.
Beth streckte die Hand nach dem Türgriff aus und knallte die Beifahrertür zu. Ein weiterer Schuss wurde abgefeuert - von einem Dach aus oder aus einem Fenster im oberen Stockwerk eines Hauses. Manuel rannte zum Truck zurück. »Runter!«, rief er. »Ducken!«
Hunts Mund war trocken. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er kauerte sich auf den Boden des Pick-ups und legte schützend einen Arm um Beth.