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«Küchenphilosophie. Ist es wegen der Geschichte in Bordeaux? Hast du Angst, dass…«

«Sei mein Trauzeuge! Irgendwann im nächsten Jahr, im kleinen Kreis. Schon bevor du hier aufgekreuzt bist, hatte ich beschlossen, dich darum zu bitten. Es wäre der Anlass gewesen, endlich die Funkstille zwischen uns zu beenden.«

«Ja?«

«Keiner von uns beiden hat zu viele Freunde, richtig?«

«Okay. «Sie sahen einander an, und für einen Moment glaubte Hartmut im Gesicht seines Freundes zu erkennen, warum der Altersunterschied für sie nie eine Rolle gespielt hatte: weil es die Jahre zwischen ihnen waren, die am schnellsten vergingen. Sich Bernhard mit sechzig vorzustellen, war beinahe leichter, als zu glauben, dass er selbst schon so alt sein sollte. Die Tränensäcke etwas schwerer, die Falten um die Augen tiefer. Im Nu ist es so weit, dachte er. Unten wurde die Haustür aufgeschlossen, oben standen Bernhard und er in der offenen Tür des Studios und umarmten einander.

Die Frau auf dem Foto lächelte still. Als könnte sie Gedanken lesen.

Die Autobahn folgt dem Verlauf der kantabrischen Küste. Rechts rollt und wogt das Meer, links ragen grüne Hänge empor, mit hier und da durchbrechenden Felsen. Obwohl Maria und er damals durch dieselbe Gegend gereist sind, sieht er alles wie zum ersten Mal. Die spanische Landschaft hat er als trocken, steinig und leer in Erinnerung, jetzt wirkt sie beinahe irisch kühl, mit grauer See und saftigen Weiden, auf die von oben dunkle Wolkenschatten fallen. Einmal wälzt sich neben der Straße eine Kuh auf der Wiese, als hätte sie einen Lachanfall. Das bekannte Ziehen im Rücken signalisiert ihm, dass es Zeit wird für eine Pause.

Weil die Rasthöfe entlang der Strecke ihm nicht gefallen, verlässt Hartmut die Autobahn und fährt aufs Geratewohl ins Land hinein. Durch eng gebaute Dörfer mit Häusern aus groben Steinquadern und dunklem Holz. Vor einer schlichten Finca empfängt ihn der Wirt mit über dem Bauch gefalteten Händen, als sei ihm der Besuch angekündigt worden. Den Namen des Ortes hat Hartmut schon wieder vergessen, als er sich über einem winzigen Emaillebecken die Hände wäscht. Er entscheidet sich für einen Tisch vor dem Haus, bestellt kalte Melonensuppe und Salat und atmet die salzige Fäulnis, die vom Meer her übers Land weht. Aus offenen Fenstern hört er die gepresste Stimme eines Fernsehkommentators. Offenbar eine Sportübertragung.

Wenige Autos sind auf der Straße unterwegs, an deren Rändern dicke braune Hühner nach Nahrung suchen. Hartmut beendet die Mahlzeit mit zwei Kugeln Eis, wird vom Hausherrn mit Handschlag verabschiedet und kehrt zurück auf die A 8. Inzwischen haben die Berge sich ihrer wolkigen Wimpel entledigt und ragen klar konturiert in den Himmel. Von einem Moment auf den anderen spürt er, wie seine Stimmung zu kippen beginnt. Das ganze Wochenende über hat er nichts von Maria gehört. Während sein Navigationsgerät ihn um Santander herum führt, erinnert er sich, wie sie damals anhalten mussten, um die große Michelin-Karte auf der Motorhaube auszubreiten. Einen Finger auf dünnen gelben Routen, Marias Haare in seinem Gesicht. Unterwegs hat sie manchmal die Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und gelächelt. Für dich ist es Urlaub, sagte sie dann, aber nicht, was es für sie bedeutete, nach drei Jahren ihre Heimat wiederzusehen. Erst später ist er bei Max Frisch auf den Namen für die Stimmung im Auto gestoßen: die Melancholie der gemeinsamen Ortlosigkeit. Trotzdem, irgendwann auf dieser Reise muss ihm klar geworden sein, dass er mit niemandem sonst sein Leben teilen will.

Wenige Kilometer weiter endet die Autobahn und entlässt ihn auf eine schmale Küstenstraße. ›Camino de Santiago‹ steht auf großen blauen Schildern. Die ersten Pilger sieht er im Ortseingang von Llanes. Eine Gruppe junger Leute, nur durch die von prallen Rucksäcken baumelnde Jakobsmuschel zu unterscheiden von Wanderern auf dem Eifelstieg. Im Schritttempo rollt Hartmut an voll besetzten Cafés vorüber, bewundert die Fassaden alter Hotels und hört die mal gackernd lachenden, mal sehnsuchtsvoll schreienden Möwen, die über dem nahen Hafen kreisen.

Ohne anzuhalten, fährt er aus dem Ort hinaus. Die Dörfer beiderseits der Straße werden kleiner und scheinen die natürliche Deckung der Landschaft zu suchen. Schilder mit dem Hinweis ›playa‹ weisen in grünes Dickicht. Einmal glaubt er, sich verfahren zu haben in einem Labyrinth enger Gassen. Die lilafarbenen Blütendolden von Hortensien quellen über bröckelnde Steinmauern. Auf der Suche nach einer Wendemöglichkeit biegt er um die nächste Ecke und sieht das Hoteclass="underline" dreistöckig, einladend und beinahe zu groß für den Ort. Wie ein auf Grund gelaufener Ozeandampfer sitzt es direkt am Strand und versperrt den Blick auf die Bucht.

Gefunden, denkt Hartmut und lenkt sein Auto auf den hauseigenen Parkplatz. Vor ihm erstreckt sich eine hufeisenförmige, von bewachsenen Felsen umschlossene Wasserfläche. Zwei Segelschiffe liegen vor Anker, wo die Bucht ins offene Meer übergeht. Vor dem Aussteigen wechselt Hartmut sein verschwitztes Hemd, danach bekommt er mit Hilfe von Einwortsätzen und einem freundlichen Lächeln ein Zimmer im zweiten Stock. Vom Balkon aus kann er das Panorama in seiner ganzen Schönheit überblicken: ein breiter Sandstreifen in derselben Vanillefarbe wie die Wolken am Horizont, dazwischen das verschwisterte Blau von Himmel und Meer. Rauschen und verzücktes Kindergeschrei wehen ihm entgegen. Wäre Maria bei ihm, würde sie beide Hände auf das Geländer legen und still die Aussicht genießen. Immer kann er in ihrem Gesicht erkennen, wenn ihr etwas so gut gefällt, dass Worte sich erübrigen.

Erst eine Dusche, beschließt er, dann einen starken Drink gegen die Melancholie ortloser Einsamkeit.

Zwanzig Minuten später nimmt er die Treppe nach unten. Die Bar soll den Eindruck erwecken, dass sich der Gast an Bord eines Schiffes befindet. Blinde Bullaugen und hölzerne Steuerräder säumen die Wände, durch die offene Terrassenfront weht Meeresluft herein, zusammen mit dem Lachen zweier Touristen. Drinnen teilt sich ein älteres Paar eine Zeitung, ein jüngeres schweigt über griffbereiten Handys. Hartmut wählt einen Platz in Thekennähe und lässt sich von einer Laune dazu verleiten, Mojito zu bestellen. Er weiß nicht mal genau, was das ist. Da nur spanische Zeitungen ausliegen, gibt er den alleinreisenden älteren Herrn ohne Deckung, lediglich darum bemüht, die anderen Gäste nicht zu auffällig zu mustern.

Von außen betrachtet wirke jede Ehe skurril, hat Maria einmal entgegnet, als er nach einem Essen mit Hans-Peter und Lori meinte, die beiden seien ein merkwürdiges Paar. Vor zwei Jahren in Bonn war das. Hans-Peter und er hatten eine anstrengende Konferenz hinter sich, Lori und Maria kamen von einem Ausflug nach Aachen zurück. Müde und ohne Lust auf Gespräche saßen sie auf der Terrasse des Hotels Königshof. Der Abend mündete in einen Streit, den Hartmut im Nachhinein als den ersten erkannt hat, der sich an Marias Umzug nach Berlin entzündete. Ein Plan, von dem er damals nichts wusste, weil seine Frau ihn im Stillen erwog und darüber so schweigsam wurde, als schmollte sie grundlos vor sich hin. Sie stritten, Hans-Peter und Lori schauten betreten auf den Rhein. Es endete damit, dass Maria im Taxi zurück auf den Venusberg fuhr und er alleine im Auto. Jetzt beobachtet er, wie die junge Frau nach ihrem Handy greift und zu tippen beginnt. Das hübsche, von kurzen blonden Haaren umrahmte Gesicht erinnert ihn an Bibi Andersson in Persona. Dieselben wachen, empfindsamen Augen. Ihr Mann oder Freund ist ein sportlicher, gut aussehender Typ, der sein Hemd über der Hose und weiße Turnschuhe trägt. Hartmut tippt auf viel Tennis und einen öden Beruf mit Aufstiegschancen. Wahrscheinlich spielt er gelegentlich eine Partie mit dem Chef und lässt ihn genug Ballwechsel gewinnen, um seine Karriere nicht zu gefährden.