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«Ich glaube, du sollst mal die Haube öffnen«, sagt sie.

Hartmut tut, wie ihm geheißen, der Mann beugt sich kurz über den Motorblock und sagt» sí«.

«Der Keilriemen?«Im Innern der Werkstatt sind zwei Hebebühnen und das übliche Ensemble von Werkzeugen und technischen Geräten zu sehen. Ein kleines Transistorradio baumelt an einer Kordel und versorgt den Raum mit Musik.»Kann er’s reparieren?«

«Er will nachschauen. Ich glaube, er ist nicht der Chef hier.«

Der Mechaniker verschwindet nach drinnen, von wo in regelmäßigen Abständen ein hydraulisches Zischen zu hören ist. Marijke schließt Freundschaft mit dem Hund, und Hartmut schaut ihr eine Weile zu, bevor er die schmale Einfahrt hinunter zum Fluss geht. Das diesseitige Ufer ist befestigt, ein Fußweg führt in den Ort hinein. Auf der anderen Seite halten Bäume ihre Äste ins Wasser, als wollten sie die Temperatur prüfen. Hartmut setzt sich auf eine steinerne Bank und denkt, dass es gut war, sich Philippa gegenüber nicht auf einen Ankunftstag festgelegt zu haben. Die Sonne scheint angenehm warm auf sein Gesicht, und die unvorhergesehene Pause stört ihn kaum, beinahe kommt sie ihm gelegen. Es ist ein schöner Tag geworden. Oben in der Einfahrt hört er Marijke Spanisch sprechen, dem Tonfall nach mit dem Hund. Nach ein paar Minuten leistet sie ihm auf seiner Bank Gesellschaft.

«Ein Guter«, sagt sie und wischt sich die Hände an den Hosenbeinen ab.

«Tut mir leid, dass wir jetzt hier festsitzen. Ich hätte früher eine Werkstatt aufsuchen sollen.«

«Hier oder anderswo. Für mich spielt es keine Rolle. «Sie steht auf, beugt sich übers Wasser und taucht beide Hände hinein.»Der Name Potes kommt mir bekannt vor. Jemand hat mir von einem verrückten Heiligen erzählt, den es hier im Mittelalter gab.«

«Warst du viel in Spanien unterwegs?«Hartmut legt eine Hand über die Augen und folgt einem in der Ferne aufsteigenden Berghang bis hinauf zum weißen Gipfelkreuz. Wenn sie damals bei der Kirche Halt gemacht haben, müssen sie durch diesen Ort gekommen sein, aber seine Erinnerung bleibt bruchstückhaft. Den Namen Potes findet er darin nicht.

«Ich war viel unterwegs. Ein paar Mal auch in Spanien, allerdings nie in dieser Gegend.«

«Dein Freund war nicht sauer gerade?«

«Du hast eine witzige Art, Fragen zu stellen. Als würdest du das Thema eigentlich lieber umgehen. «Sie lacht und scheint einen Moment lang versucht, ihm Wasser ins Gesicht zu spritzen. Dann richtet sie sich auf und setzt sich wieder zu ihm.»Er sagt, irgendwann muss ich zu meiner Entscheidung stehen. Und dass er nicht ewig warten wird. Nicht ewig heißt natürlich vorerst schon.«

«Die meisten Männer würden weniger verständnisvoll reagieren.«

«Weißt du, was ich versuche? Ihn zu lieben für das, was er ist. Nur ihn. Mir nicht zu sagen, dass es Zeit wird, an die Zukunft zu denken. Mich nicht von Ängsten treiben zu lassen. Ich glaube, ihm das schuldig zu sein, er hat es verdient, aber im Ergebnis führt es dazu, dass ich vor ihm weglaufe. Wie verrückt ist das?«

«So verrückt, wie wenn Männer sagen, ich muss dich verlassen, du bist zu gut für mich. Außerdem ist mir nicht klar, worin der Versuch besteht, jemanden zu lieben. Nach meiner Erfahrung geschieht es entweder von alleine oder gar nicht.«

Sie stützt beide Hände auf die Sitzfläche, drückt den Rücken durch und sieht ihn an.

«Du bist in Ordnung, Hartmut. Man kann mit dir reden. Trotzdem glaube ich, dass man versuchen soll, alles zu entdecken, was einen Menschen liebenswert macht. Es ist nicht immer offensichtlich.«

Bevor er eine Antwort findet, kommt der Mechaniker ums Haus, gefolgt von seinem Hund. Was er Marijke in wenigen Sätzen mitteilt, übersetzt sie Hartmut so: Vorrätig habe er einen neuen Keilriemen nicht. Wenn sie es eilig hätten, sollten sie ihm die Route sagen, dann werde er herausfinden, wo sie das Ersatzteil unterwegs bekommen können. Bis Santiago durchzufahren, halte er für riskant. Er könne den Keilriemen auch selbst bestellen und am späten Abend oder frühen Morgen einbauen. Das sei dann eine Expresslieferung und koste ein paar Euro extra. Während er auf die Antwort wartet, wischt er sich mit einem Lappen über die Finger und fragt sich vermutlich, was die hübsche Blonde und den alten Mann miteinander verbindet.

«Ich denke, wir suchen uns ein Hotel«, sagt Hartmut. So wie man einen Satz sagt, der keinen Hintergedanken verraten soll.»Was meinst du?«

Statt zu antworten, übersetzt Marijke seine Worte und deutet nach einem kurzen Wortwechsel den Fluss entlang.

«Wir sollen eine der Treppen hinter der nächsten Brücke nehmen. An Hotels besteht kein Mangel. Morgen um neun macht die Werkstatt wieder auf.«

Als der Abend in die Nacht übergeht, sitzen sie in einer Szenerie wie aus van Goghs Café de Nuit. Am Rand der Altstadt, unter freiem Himmel. Schwalben und Fledermäuse flattern durch die Lichtkegel gelb schimmernder Laternen. Aus zwei Lautsprechern über der Tür der Bar kommt leise Musik und vermischt sich mit den Gesprächen anderer Gäste. Was Marijke hierhergeleitet hat, muss die Witterung für ihresgleichen gewesen sein. Nach dem Abendessen auf der Plaza Mayor ist Hartmut seiner Begleiterin durch verwinkelte Gassen gefolgt, unter Brücken und mittelalterlich anmutenden Torbögen hindurch, hinter denen eher eine stille Abtei zu erwarten gewesen wäre als dieses schmale zweistöckige Backsteinhaus, von wildem Wein bewachsen und heimelig auf dieselbe lässige Weise wie das Volk, das sich davor versammelt hat. Die Boheme von Potes.

Seit einer Stunde sitzen sie nebeneinander auf einer Holzbank und trinken kantabrischen Rotwein. Um sie herum stehen Männer in verwaschenen Trikots und Bermudashorts, Frauen in eigenwilligen Kleidern, mit viel Schmuck in den Haaren und selbstgedrehten Zigaretten. Fast alle haben Hunde dabei. Zum Erzählen aufgelegt, ist Hartmut die Stationen seiner Reise durchgegangen, und seine Begleiterin scheint darauf zu warten, dass eine geheime Agenda sich enthüllt, das verschwiegene Ziel der Fahrt. Den geplanten Jobwechsel hat er nicht erwähnt, aus Angst, sie zu langweilen. Auf seine Frage, ob sie noch etwas essen oder trinken wolle, antwortet ihm entschiedenes Kopfschütteln.

«Einen Grappa vielleicht oder was immer man hier als Digestif trinkt?«, hakt er nach. Zum Abendessen hat er Chorizo in Apfelweinsauce gegessen, eine lokale Spezialität, deren intensiven Nachgeschmack er jetzt gerne neutralisieren würde.

«Danke. Ich bin bedient. «Marijke schiebt die Handflächen unter ihre Oberschenkel, betrachtet die Füße in den blauen Espandrillos und gefällt ihm immer besser.

«Schon den ganzen Tag«, sagt er,»halte ich Ausschau nach Dingen, die mir bekannt vorkommen. Vor über zwanzig Jahren bin ich durch diese Gegend gefahren, zusammen mit meiner Frau. Damals war sie noch nicht meine Frau. Hatte ich erwähnt, dass sie aus Portugal kommt?«

«Nein.«

«Wir waren auf dem Weg zu ihrer Familie. Im Sommer 86, unsere erste gemeinsame Reise. Wir kamen von der Küste und wollten weiter nach Salamanca. Von dort in die Serra da Estrela.«

«In dem Sommer hatte ich meinen ersten Freund. Er trug eine Zahnspange, und ich hatte Mitleid mit ihm. Aber nur einen Monat lang. «Sie schüttelt sich, als sei die Erinnerung ihr unangenehm.»Heißt das, du bist auf Spurensuche?«

«Nein. Ich erkenne dies und das wieder, die Kirche von heute Mittag zum Beispiel, aber die Gegend kommt mir weniger bekannt vor, als ich erwartet hatte. Ehrlich gesagt bin ich enttäuscht von meinem Gedächtnis. Die Reise war ein einschneidendes Erlebnis. Irgendwo unterwegs wurde unsere Tochter gezeugt.«

Das lässt seine Gesprächspartnerin aufhorchen.

«Du weißt nicht genau wo?«

«Wir waren frisch verliebt, und hinterher gab es dringendere Fragen zu klären. Es kommen verschiedene Orte in Frage, ich weiß nicht mal welche.«

Als wäre die Musik aus den Lautsprechern nicht genug, beginnt neben ihnen jemand Gitarre zu spielen. Alle anderen Gäste scheinen einander zu kennen. Die Hunde auch. Marijke wirft ihm einen kurzen Blick zu.