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«Auf eurer ersten gemeinsamen Reise…«

«Ungeplant«, sagt er so lapidar wie möglich,»nicht ungewollt.«

Dass hinter ihrer Gesprächsführung psychologisches Geschick steht, ist ihm schon beim Essen aufgefallen. Durch Nicken und kurze Bemerkungen zeigt sie ihr Interesse, ohne ihm das Gefühl zu geben, sie wolle mehr herausfinden, als er von sich aus preisgeben möchte. Dann hakt sie entweder nach, bis ihre Neugierde befriedigt ist, oder sie macht es wie jetzt. Sagt gar nichts, sondern betrachtet die Umgebung und wartet darauf, dass er von sich aus weitererzählt.

«Ich war lange mit einer anderen Frau zusammen«, sagt er.»Einer Südamerikanerin. Meine Frau hatte damals einen festen Freund, den erwähnten Falk Merlinger. Unsere erste Begegnung war zufällig, bis zur zweiten ist über ein Jahr vergangen. Danach haben wir angefangen, uns regelmäßig zu sehen. Merlinger war zu der Zeit ein erfolgloser, frustrierter Dramatiker. Seine Familie lebte in der DDR, er war als Jugendlicher nach West-Berlin gekommen. Ein schwieriger Typ. Es war leichter, Mitleid mit ihm zu haben, als ihn auszuhalten. Meine Frau und er haben in einer Hinterhofwohnung in Kreuzberg gehaust. Ein einziges Zimmer, zu klein für seinen Frust. Ich bin ihm nur ein Mal begegnet, in einer Theaterpause. Er war angewidert von der Inszenierung und hat im Foyer die anderen Zuschauer angepöbelt. Dann ist er abgehauen. Maria und ich haben die Aufführung zu Ende gesehen, so fing es an.«

«Maria«, sagt sie.»Das ist ihr Name?«

«Ja. Sie hat von Kaffee, Zwieback und Zigaretten gelebt. Ich hab sie zum Essen eingeladen und mir die Klagen angehört. Manchmal durfte ich ihre Hand halten, dabei ist es eine ganze Weile geblieben. Damit es nicht nach nachträglicher Verklärung aussieht, füge ich hinzu, dass es nicht einfach ist, jemanden so zu lieben. Es kostet…«

«Ich weiß«, antwortet Marijke, bevor er das richtige Wort gefunden hat.»Aber du hast sie bekommen. Happy End.«

«Als wir endlich dabei waren, ein Paar zu werden, musste ich wegziehen aus Berlin. Ich dachte, damit wäre alles vorbei. Sie saß noch an ihrer Magisterarbeit. Wir sind in Kontakt geblieben, haben uns ein paar Mal gesehen und im nächsten Jahr die Reise gemacht. «Er lacht.»Man könnte meinen, ich hätte es auf eine Schwangerschaft angelegt, aber es war ein glückliches Versagen der Verhütung.«

Die Bedienung kommt mit einer offenen Flasche. Eine junge Frau mit schwarzer Brille und so langen Haaren, dass sie ihr bis über den Hintern reichen. Beim Einschenken behandelt sie Marijke wie eine alte Bekannte, die diesmal ihren Onkel mitgebracht hat. Geht aufs Haus, sagt sie, wenn er es richtig versteht. Um den Gitarristen haben sich unterdessen Leute versammelt und zu singen begonnen. Zwanzig Jahre sind eine so lange Zeit, dass der Versuch, gedanklich dahinter zurückzutreten, zwangsläufig zu Vermischungen führt. War er über die Nachricht von der Schwangerschaft so froh, wie er jetzt glaubt, oder hat sich das spätere Glück darübergelegt?

«Hast du dich nie eingeengt gefühlt?«, fragt Marijke, als sie wieder alleine sind.»Ich frage aus persönlichem Interesse.«

«Ich habe zwar manches getan, was man so verstehen könnte, aber, nein, ich hab mich nie eingeengt gefühlt. Die Geburt meiner Tochter war die größte Bereicherung und das größte Glück in meinem Leben.«

«Mark will Kinder.«

Hartmut trinkt einen Schluck Wein und spürt die kühle Mauer in seinem Rücken.

«Lass mich raten. Er will Kinder, und du hast Angst davor.«

«Du hast gesagt, deine Tochter war die größte Bereicherung.«

«Sie ist zwanzig, und wir sehen uns zwei Mal im Jahr. Aber wie du siehst, durchquere ich den halben Kontinent, um ein paar Tage mit ihr zu verbringen. «Als er den Blick nach rechts wendet, sitzt Marijke vorgebeugt auf der Bank und starrt vor sich auf den Boden.»Die Angst kann dir niemand nehmen, falls du darauf gehofft hast.«

«Ich weiß nicht genau, worauf ich hoffe.«

«Der Freund, von dem ich dir erzählt habe, sagt: An einem gewissen Punkt muss man es einfach tun. Bei mir war es so, dass ich mit Ende dreißig keine Lust mehr hatte auf Beziehungen, die auf keinem Versprechen beruhten, weil ich mir nichts von ihnen versprochen habe. Was mir erst nach Philippas Geburt klar geworden ist.«

«Philippa ist ein schöner Name.«

«Wäre meine Frau nicht schwanger geworden, hätte ich mich vielleicht nie durchgerungen. Oder sie sich nicht. Die Angst, die man vorher hat, ist nicht der beste Ratgeber. Sie redet bloß am lautesten.«

Marijke erwidert kurz seinen Blick und zuckt mit den Schultern.

«Was glaubst du, weshalb ich aus dem Hotel abgehauen bin? Den Punkt, wo meine Ungebundenheit mir wie Leere vorkommt, habe ich noch nicht erreicht. Bin auch nicht sicher, ob es je so weit kommen wird.«

«Du hast in die Verlobung eingewilligt.«

«Mark hatte Champagner gekauft und Ringe, das volle Programm. Es hat mir imponiert. Sich so ungeschützt zu erklären, ich hätte mich das nicht getraut. Ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Das ist zwar nicht die Quintessenz von Punk, aber meine Mutter hat immer gesagt, jemand wird dich zu deinem Glück zwingen müssen, das ist die einzige Chance. In dem Fall war es nicht Zwang, sondern Überrumpelung. Kurz und gut, ich hab Ja gesagt.«

Eine Weile schauen sie schweigend dem Treiben zu. Gäste kommen und gehen, Hunde trotten zwischen den Bänken umher und lassen sich geduldig tätscheln. Es ist, wie Bernhard gesagt hat: Bei anderen sieht es leicht aus. Nicht zu viel nachdenken, einfach leben.

«Ich hab mich schon dabei ertappt«, sagt Marijke,»eine Pille auszulassen. Es ist aber schwierig, sich selbst zu überrumpeln. Oder eine ungeplante Schwangerschaft zu planen. Meist endet es damit, dass wir eine Woche lang keinen Sex haben.«

«Der erwähnte Freund würde dir zuraten. Ich bin nicht sicher. «Er sagt das tastend, um ihr nicht zu nahezutreten mit seinen väterlichen Ratschlägen. Dabei würde er sie gerne in den Arm nehmen.»Die Frau, mit der ich damals zusammen war, hieß Tereza. Wir hatten uns an der Uni kennengelernt. Sie war klug und verständnisvoll. Mit ihr gab es immer was zu lachen. Wir haben uns so gut verstanden, dass ich mich nicht gefragt habe, was ich für sie empfinde. Ich mochte sie, es war eine gute Zeit. Mein Fehler war, dass ich mich auch nicht gefragt habe, was sie für mich empfindet. Jedenfalls mehrere Jahre nicht. Bis sie eines Tages, du ahnst es, schwanger wurde.«

«Bingo. «Das Wort rutscht Marijke über die Lippen, und sie versucht, es mit einem Kopfschütteln zurückzunehmen.»Das wollte ich nicht sagen, tut mir leid.«

«Ich weiß, es klingt, als wäre mir das ständig passiert. Insgesamt aber nur zwei Mal. Einmal hat das Verhütungsmittel versagt und das andere Mal wir. Tereza hatte ab und zu von Kindern gesprochen, so beiläufig, dass ich ihr ohne Mühe ausweichen konnte. Ich war beschäftigt mit meiner Habilitation, von der natürlich das Überleben der Menschheit abhing. Unsere Beziehung schien keine Aufmerksamkeit zu erfordern. Alles lief ohne ernsthafte Auseinandersetzungen ab. Bis Tereza sagte: Ich glaube, ich bin schwanger. Sie war froh darüber, und mir ist plötzlich bewusst geworden, dass ich sie zwar mag und respektiere, aber nicht liebe. Und dass das ein größerer Unterschied ist, als ich gedacht hatte. Sie ist aus allen Wolken gefallen. Was glaubst du, was wir all die Jahre gemacht haben, meinte sie. Die Antwort war, wir hatten vier Jahre lang in einem perfekten Missverständnis gelebt. Sie wollte heiraten. Sie war katholisch, und ich hab Panikattacken bekommen bei dem Gedanken an ein Dasein, das ich nicht wollte. Ich hätte alles getan, um dieses Leben nicht führen zu müssen. Es war eine Horrorvorstellung. «Er ist so sehr in seine Erzählung vertieft, dass er aufschreckt, als Marijkes ihn fragt:»Was hast du getan?«

«Das war genau die Frage, die ich mir gestellt habe. Was hab ich getan, und was zum Teufel hab ich mir dabei gedacht?«Viele Jahre sind vergangen, seit ihm die Szenen zuletzt mit solcher Klarheit vor Augen standen. Sein Wohn- und Arbeitszimmer in der Kastanienallee. Über dem Sofa hing ein gerahmter Druck von de Chiricos Gare Montparnasse, daneben standen das Tonbandgerät und die Stapel selbst zusammengestellter Bänder. Tereza saß auf dem Boden und wiederholte in einem fort, dass man nicht akzeptieren könne, was man nicht verstehe. Ich kann nicht begreifen, dass du mich nicht liebst, sagte sie. Es war die beste Zeit meines Lebens.