Выбрать главу

«Nächste Woche fahren wir ans Meer. Valentin hat mir gestern die Fotos gezeigt. Wir werden…«

«Vorher. Jetzt! Lass uns für zwei Tage dahin fahren, wo Menschen sind. Nach Coimbra ist es eine Stunde. Wir brechen morgen früh auf, nehmen uns ein Hotel und… Bitte!«Erneut drängt sie sich gegen ihn, fährt mit der Hand über seine Brust und krallt sich in sein Hemd. Tatsächlich haben sie in diesem Haus noch nie miteinander geschlafen. Zu viele Kruzifixe, sagt Maria, und vor allem zu viele Fotos des zwei Jahre vor ihrer Geburt gestorbenen Bruders. Antonio. Das sommerliche Liebesleben muss warten bis zur zweiten Woche, das ist das große Plus der Algarve gegenüber Rapa, aber jetzt schmiegt seine Frau sich an ihn, als könnte sie nicht so lange warten. Eine Reminiszenz an frühere Nächte schwingt darin mit. Alles in allem ist der Sex nicht weniger aufregend als vor Philippas Geburt, nur seltener, und in den letzten Wochen war er besonders selten.

«Meinetwegen gerne«, bringt er zwischen zwei Küssen hervor.»Wenn deine Eltern uns gehen lassen. Wir wollten schon immer nach Coimbra.«

«Wir lassen ihnen Philippa hier.«

«Hey!«

«Warum nicht? Sie will sowieso bloß Schafe streicheln.«

Jetzt ist er es, der ihr Gesicht in beiden Händen hält. Was ihn erfüllt und erstaunt, ist die rätselhafte Bedeutung des Wortes Liebe in Momenten wie diesem. Wenn gemeinsam verbrachte Jahre sich zu dem Glauben verdichten, dass es immer so bleiben wird. Dass sich etwas in ihm und ihr dem ständigen Wandel entzieht. Oder spürt er bloß einen Rest jener alten Verwunderung, dass sie tatsächlich seine Frau geworden ist?

«Du weißt doch, sie schläft wie ein Stein. «Er streicht mit einer Hand über ihre Brust, aber es ist zu spät. Nicht mehr von Lust verschleiert, sondern klar und ein bisschen spöttisch richtet sich Marias Blick auf ihn. Die Macht der kleinen Tyrannin, hat sie es neulich genannt.

«Du hast recht. «Sie sieht auf ihre Armbanduhr.»Jetzt muss ich runter, sonst wird das Mittagessen nie fertig. Gegrillte Sardinen. Zwei Kilo für viereinhalb Personen.«

«Du magst keine Sardinen.«

«Spielt keine Rolle, ich bin nur die Tochter. Du magst sie, hast du gestern behauptet. War mir auch neu.«

«Weil ich wusste, dass deine Mutter schon eingekauft hatte. Was ist los, Maria? Irgendwas bedrückt dich, und es ist nicht dein Vater.«

Sie nickt geistesabwesend und greift nach seinem Buch auf dem Beistelltisch. Ein bisschen schwerer ist sie geworden, aber sie sitzt selten auf seinem Schoß, also verlagert er unauffällig das Gewicht und zieht sie dichter zu sich heran. Drückt das Gesicht an ihren Hals.

«Was heißt Montauk?«, fragt sie.

«Ein Ort an der äußersten Spitze von Long Island. Was der Name bedeutet, weiß ich nicht. Irgendwo steht, dass er indianisch ist.«

«Gut?«

«Ziemlich. Ich bin noch am Anfang. Zwischendurch denke ich, dass Lesen eigentlich zu anstrengend ist. Dass ich nur hier sitzen und auf die Hügel schauen sollte.«

Maria überfliegt den Klappentext und legt das Buch zurück. Gegen seinen Willen denkt er, dass Sandrine jetzt gesagt hätte: Tell me about it. Professor zu werden war ein hart erarbeiteter Triumph, und in manchen Momenten glaubt er zu spüren, dass ein Teil der Erschöpfung ihn nie mehr verlassen wird. Dass etwas sich aufgezehrt hat, was nicht ersetzt werden kann. Mit anderen Worten, dass er kein junger Mann mehr ist, unwiderruflich.

«War ich sehr unausstehlich in den letzten Wochen?«Sie fragt mit dem Blick in der Ferne, und er schüttelt den Kopf.

«Es war eine Enttäuschung. Aber so wie die Dinge im Moment in Bewegung sind, bei den vielen Neuberufungen, die es gibt, stehen die Chancen nicht schlecht, zumindest mittelfristig. Wer hätte damals gedacht, dass ich die Stelle in Bonn bekomme.«

«Jetzt hast du sie.«

«Ja. Es wird nie wieder so sein wie davor. Keine Zeitverträge, keine Miesen auf dem Konto. Ich bin Professor, das können sie mir nicht mehr nehmen.«

«Und ich bin undankbar.«

«Wir müssen einfach Geduld haben. «Soll er ihr sagen, dass er gelegentlich die Immobilien-Angebote im Generalanzeiger studiert und zu dem Schluss gekommen ist, ein Haus lasse sich finanzieren? Als Professor kriegt er überall Kredit, außerdem hat Artur in einem Gespräch unter Männern versichert, vom Verkauf der Restaurants sei noch Geld übrig. Seit der Bundestag den Umzug beschlossen hat, sind die Preise in Bewegung geraten. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt.

«Wir sollten uns nicht zu sehr unter Druck setzen«, sagt er.»Die Warterei das ganze Frühjahr über hat uns nur zusätzlichen Stress gebracht. Dabei sind wir gar nicht abhängig.«

«Geduld haben«, flüstert sie, als gelte es, in einem Text die wichtigsten Wörter zu unterstreichen.»Mittelfristig.«

«Unsere eigenen Entscheidungen treffen. Zum Beispiel eine, die wir schon lange aufgeschoben haben. «Darauf will sie etwas erwidern, aber er legt ihr einen Finger auf die Lippen und hält sie fest.»Ich weiß! Wir haben gesagt, wir warten, bis wir da sind, wohin wir wollen, aber… warum eigentlich? Was spricht jetzt dagegen? Philippa ist vier.«

«Es ist nie schwerer als beim Warten. Ich meine, Geduld zu haben.«

«Wenn die Wohnung zu klein wird, ziehen wir eben um.«

«Ist das ein spontaner Gedanke?«

«Neulich meinte sie selbst, alleine Memory spielen ist langweilig. Sie will jemanden, gegen den sie gewinnen kann. «Er lacht und küsst seine Frau auf den Hals. Ihr Ton könnte ein bisschen heiterer sein, findet er.»Merkst du, wie sie Carla und Luisa beneidet? Wo ist sie eigentlich?«

Mit dem Kinn weist Maria über das Dorf. In der neuen Hälfte stehen einige halb fertige Häuser, heller und größer als die Bauten im alten Teil. Leute kommen aus Lissabon oder dem Ausland zurück und errichten ihre Alterssitze, jedes Jahr ein paar mehr. In Arturs Fall war es das Elternhaus, das er ausgebaut hat zum größten Gebäude diesseits der Brücke. Viel zu groß für zwei Personen. Irgendeine alte Familienfehde steckt dahinter, über die Maria nicht sprechen will. Im Übrigen ist er nicht sicher, ob seine Frau die Verbundenheit von Artur und Lurdes mit ihrer alten Heimat wirklich so schlecht nachvollziehen kann, wie sie behauptet. Manchmal denkt er, dass sie ein bisschen übertreibt. In vielen Dingen.

«Gib mir Zeit«, sagt sie.

«Natürlich. Ich will nur sichergehen, dass wir es sind, die unser Leben bestimmen. Nicht die Umstände.«

Maria nickt und lächelt.

«Selbstbestimmung. Verstanden.«

«Klär es mit deiner Mutter, und dann fahren wir morgen los nach Coimbra.«

«Vielleicht ist es nur die Hitze oder die lange Fahrt gestern. Meine Haare riechen immer noch nach Schweinefett.«

«Du riechst wunderbar«, sagt er. Sie hat sein Verlangen angefacht, und nun lodert es vor sich hin.»Vor allem seit du nicht mehr rauchst.«

«Willst du später mit Valentin wandern?«

«Das war der Plan. Wenn ich in der Küche helfen soll, kann ich auch hierbleiben.«

«Geh wandern. Ich hab’s nie gesagt, aber wo wir schon dabei sind: Das Schönste an den Tagen in Rapa ist, dass du sie so genießt. «Bevor er sie noch einmal an sich drücken kann, ist sie aufgestanden und im Haus verschwunden. Er hört ihre Schritte auf der hölzernen Treppe. Auf dem Platz vor der Kirche erklingt Philippas Lachen, dann beginnen die Glocken zu läuten. Alle halbe Stunde ein Ave Maria, nur an Heiligabend spielen sie Jingle Bells. In Portugal ist das ein religiöses Lied.

Dass es riskant war, sich nach so kurzer Zeit erneut zu bewerben, ist ihm natürlich klar gewesen. Kaum ein Jahr in Bonn, hat er seine Unterlagen trotzdem an die FU geschickt und gehofft, dass die Kollegen am Rhein vorerst nicht davon erfahren würden. Für jemanden mit seinen Schwerpunkten bot die Bonner Uni kein kongeniales Umfeld. Sprachanalytische Philosophie galt als Disziplin derjenigen, denen die nötige Bildung fehlte, um richtige Philosophie zu betreiben, so sahen das jedenfalls die beiden Tonangeber am Institut, Grevenburg und Riemann, selbstherrliche Ordinarien alten Stils. Die Uhus, nannte Hartmut sie insgeheim. Als er in ihrem Beisein einmal die Habilitation als Hemmschuh für innovative Forschung bezeichnete, begegneten ihm Blicke, als hätte er ein Plädoyer für die Vielehe gehalten.