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Dietmar seufzte, aber betrübt wirkte er nicht, im Gegenteil. Ein Anflug von Schadenfreude hatte sich in seine Stimme geschlichen.

«Die Dekanin ist Frau Professor Anne Saalbach. «Kurze Pause.»Du hast das nicht gewusst, oder?«

«Nein. «Hartmut versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Maria konnte ihm bestimmt ansehen, dass er bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen. Anne Saalbach. Er hätte schwören können, dass ihm der Name zum ersten Mal seit Jahren durch den Kopf ging. Es dauerte eine Weile, bis das Gesicht Konturen annahm und einen Ausdruck bekam. Nach dem Ende der Affäre waren sie einander mehrmals pro Woche im Flur aus dem Weg gegangen. Bis Anne die Stelle gewechselt und das Telefunken-Hochhaus verlassen hatte.

«Bist du noch dran?«, fragte Dietmar.

«Dachtest du, ich springe aus dem Fenster? Was heißt das jetzt? Ich meine, es gibt eine Kommission, es gibt die Liste, es gibt ein geordnetes Verfahren, oder nicht? Ist in Berlin plötzlich die Clan-Herrschaft ausgebrochen?«Seine Stimme klang ärgerlich, und beinahe wunderte ihn das. In der Kehle saß ihm ein Lachen, das er nicht rauslassen wollte. Anne Saalbach. Für dich gibt es wichtigere Dinge als mein Unglück. Gab es für sie nichts Wichtigeres, als ihm die Karriere zu vermasseln?

«Du bist Professor, Hartmut. Muss ich dir erklären, wie Universitäten funktionieren? Anne weiß, dass ihre Macht nicht ausreicht, um einfach die Nummer zwei durchzusetzen, aber vermutlich kann sie die Stelle neu ausschreiben lassen. Irgendein Verfahrensfehler findet sich immer. Dann hat sie Zeit gewonnen, und du hast… tja. Du musst dir überlegen, was für dich das Beste ist. Natürlich wird hier gemauschelt, was ist da los, was steckt dahinter? Anne ist nicht gerade berühmt dafür, sich für die Frauenquote zu engagieren, und jetzt setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung für Mrs. Nobody aus Münster? Wenn du dich bei einer Neuausschreibung wieder bewirbst…«

«Moment — es ist schon sicher, dass die Stelle neu ausgeschrieben wird?«Er konnte sehen, wie Marias Gesicht zur Maske erstarrte. Aus dem Nebenzimmer rief Philippa.

«Neulich hab ich sie in der Mensa getroffen und gefragt: Anne, ist das politisch, fachlich oder persönlich? Es ist, was es ist, hat sie gesagt. Typische Anne-Antwort. Tut mir leid, Mann. Ich hab das Gefühl, dass sie selbst nicht glücklich ist über das, was sie tut. Aber sie kann nicht anders. Sie will dich hier nicht haben.«

Maria hatte genug gehört und ging zurück zu ihrer Tochter.

«Hab ich noch eine Chance?«, fragte Hartmut.

«Wie gesagt, kommt drauf an, wie weit du bereit bist zu gehen. Vielleicht sollte ich besser sagen, was du dir antun willst.«

«Hat Anne dich darum gebeten, hier anzurufen?«

«Nein. Hier will keiner den Kopf aus dem Fenster stecken. Ich glaube, es ist allen ein bisschen peinlich. Aber ich dachte mir, du möchtest es vielleicht vor den Ferien wissen. Dir in Ruhe überlegen, was du machst.«

«Okay.«

«Hey, du bist auf der Erfolgsspur, das merkt man. Ein kleiner Umweg wirft dich nicht aus der Bahn.«

«Ich muss Schluss machen, Dietmar, meine Tochter ruft. Danke für deinen Anruf.«

«Wenn du mehr Informationen brauchst, melde dich.«

«Ich hoffe, du kriegst auch bald deine Professur.«

«Man tut, was man kann.«

«Mach’s gut. «So sanft und langsam, als wollte er sich selbst provozieren, legte Hartmut den Hörer auf die Gabel. Horchte auf die Geräusche im Nebenzimmer und unten auf der Straße. In der Südstadt begann das Wochenende. Mit gereizter Stimme befahl Maria ihrer Tochter, endlich Ruhe zu geben. Irgendwo hatte Philippa von einem Baby gehört, das nachts gestorben war, seitdem wehrte sie sich mit allen Mitteln gegen das Einschlafen. Das arme Kind, hatte er anfangs gedacht. Inzwischen war er unsicher. Verfügt man mit vier Jahren wirklich über einen Begriff vom Sterben, oder hatte ein Instinkt ihr signalisiert, dass die Sache sich in ihrem Sinn verwenden ließ? Trotzdem würde er sich heute Abend zu ihr legen, ihre Hand halten und Beruhigungen vor sich hin flüstern, bis sie eingeschlafen war.

Bis er wusste, was er Maria sagen sollte.

Die Sommerabende in Rapa sind lang und gesellig. Auf Bänken sitzen alle um eine große Tafel herum, die zusammengestückelt wurde aus verschiedenen Garten-, Küchen- und Beistelltischen. Nur für die Alten gibt es Stühle. Jedes Mal, wenn jemand mit einer neuen Schüssel aus der Küche kommt, werden Teller beiseitegerückt, um Platz zu schaffen für den nächsten Gang. Kleine Schalen mit Chips und weißen Bohnen, große Schüsseln mit Salat und Kartoffeln, riesige Platten mit gegrilltem Fleisch. In Valentins garagengroßem Grill knistern die Kohlereste. Es geht auf elf Uhr zu, Hartmut spürt die Sonne des Tages auf der Haut und in den Beinen die angenehme Müdigkeit nach körperlicher Anstrengung. Mit einem Ohr folgt er der Unterhaltung am Tisch und schaut den Faltern zu, die wie besoffen gegen das Licht unter der weißen Stoffplane flattern. Soweit er es versteht, wird das Für und Wider der großen Windräder debattiert, die bald auf den Hügelketten der Serra stehen und die Gegend mit grünem Strom versorgen sollen. Meinungen fliegen über den Tisch, alle lieben einander und lieben es, zu streiten, ohne südländische Theatralik, nur mit einem verschwenderischen Überfluss an Wörtern.

Jenseits des Gartens liegt die Nacht wie ein schwarzes Kissen über dem Tal. Durch Zitronenbäume hindurch kann er die Lichter auf der anderen Seite des Dorfes erkennen.

«Wie hast du’s geschafft, deine Mutter zu überzeugen, dass wir hier essen, nicht bei euch?«, flüstert er in Marias Ohr; mehr um des Flüsterns als um der Frage willen. Sie sitzen im Garten von Arturs Schwester. Valentin ist deren ältester Sohn, Cristina seine Frau, Carla und Luisa heißen die Töchter. Die anderen zehn Personen zählen ebenfalls zur Verwandtschaft — im portugiesischen Sinn, in dem Cousins dritten Grades immer noch zur Familie gehören.

«Nach fünf Kartoffeln hat sie sich selbst überzeugt«, sagt Maria.»Aber morgen! Morgen kommen alle zu uns. Freu dich drauf!«

«Also fahren wir nicht nach Coimbra?«

«Doch. Übermorgen, gleich nach dem Frühstück.«

«Unsere Tochter nehmen wir mit. Richtig?«Am Kindertisch beobachtet Philippa mit Argusaugen jede Geste von Carla und Luisa, zwei und drei Jahre älter als sie, ihre Rollenvorbilder während der großen Ferien.

Maria lächelt, wie sie es manchmal tut, wenn sie ihn damit aufzieht, dass Valentin und er einander ähnlicher sind, als er wahrhaben will. Im letzten Sommer haben sie ein Männerwochenende am Atlantik verbracht; drei Tage lang fischen, grillen, Bier trinken und über Frauen reden, meistens die eigenen. Im Auftrag eines internationalen Mineralölkonzerns durchquert Marias Cousin das Land, um den Bau des einen Typs von Tankstelle zu überwachen, den er vor Jahren entworfen und damit sein Auskommen gesichert hat. Seitdem verwendet er den größten Teil seiner Energie auf die Sorge um die hübsche Frau und die beiden Mädchen mit den Engelsgesichtern, die ihn zu Hause erwarten. Auf abgelegenen Rastplätzen greift er zum Telefon und lässt sich versichern, dass zu Hause alles in Ordnung ist. Manchmal macht sich Hartmut darüber auf ebenso harmlose Weise lustig, wie Maria im Gegenzug über seine Vernarrtheit in Philippa spottet.

«Er meinte, ich sollte öfters Gedichte für dich schreiben«, sagt er und trinkt einen Schluck Wein.

«Bitte?«Maria ist dem Gespräch am Tisch gefolgt und wendet fragend den Kopf.

«Es sei gut, meint er, ab und an die eigenen Gefühle in Worte zu fassen.«

«Meint wer? Wessen Gefühle?«

«Oh. Ich hab… Entschuldigung. Valentin sagt das. Hat es gesagt, letztes Jahr bei unserem legendären Männerwochenende.«

Ironisch zieht sie die Augenbrauen nach oben und deutet auf sein Glas.»Hast du vielleicht ein bisschen zu viel getrunken?«

«Überhaupt nicht. Würde es dir gefallen, wenn ich Gedichte für dich schriebe?«Unter dem Tisch sucht seine Hand nach ihrer.