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»Ich wollte wissen, was Sie von diesem Krieg halten, Mrs. Marquand«, sagte Irene.

»Vom Krieg?« Wieder sah sie hinauf zum Sternenbanner und dachte daran, wie die Yankee-Soldaten mit dieser Flagge in ihrer Heimat eingefallen waren. »Ich mag den Krieg nicht.«

»Wer tut das schon«, meinte Jacob.

»Ja, wer«, seufzte die rothaarige Frau und sah hinaus auf das Land, das sich vor ihrem geistigen Auge in die Marquand-Plantage verwandelte. Und sie glaubte das Lachen des kleinen George zu hören.

*

Fast schien es, als sollte der Wunsch der drei Auswanderer, auf dem Ohio-Steamer endlich ein wenig Ruhe zu finden, in Erfüllung gehen. So ereignislos wie die ersten Tage auf dem Fluß war es seit ihrer Ankunft in der Neuen Welt noch nicht gewesen.

Tagsüber standen sie auf dem Promenadendeck und sahen sich das abwechslungsreiche Land an, über das der Rauch aus den beiden großen Schornsteinen wehte wie die Flagge eines Eroberers. Wie Eroberer fühlten sich Jacob, Irene und Martin. Aber sie eroberten das unbekannte, täglich neue Land nicht mit Waffengewalt, sondern mit dem Herzen.

Martin war der einzige von ihnen, der die Reise über den Atlantik mit dem festen Entschluß gemacht hatte, sich in Nordamerika eine neue Existenz aufzubauen.

Jacob hatte sich an Bord der ALBANY geschlichen, weil er seine Familie in der Neuen Welt vermutete und weil er in der alten Heimat fälschlicherweise des Mordversuches beschuldigt wurde.

Auch Irene war nach Amerika geflohen, aus Angst, daß der Hamburger Reeder Wilhelm Dilger ihr Ungeborenes - seinen illegitimen Enkelsohn - gegen ihren Willen wegmachen ließ; hier hoffte sie Jamies Vater, Carl Dilger, zu finden und mit ihm neu anzufangen.

So unterschiedlich ihre Motive für die weite Reise über den Atlantischen Ozean auch gewesen waren, in diesen Tagen wurde allen dreien bewußt, daß dies das Land ihrer Zukunft war. Es war nicht nur eine Neue Welt, sondern auch ihre neue Heimat.

Abends saßen sie häufig bei den Matrosen auf dem Kesseloder dem Hauptdeck, lauschten begierig ihren wilden Erzählungen über dieses Land und ihren rauhen Liedern.

Ein dunkelhäutiger Matrose, ein ehemaliger Sklave namens Sam, erzählte viel über das Leben der Schwarzen auf den Plantagen. Niemandem fiel auf, daß sich Vivian Marquands Züge dann stets verhärteten und sie sich rasch zurückzog.

Daß die ereignislose Ruhe nicht die ganze Fahrt über andauern würde, wurde den Menschen an Bord klar, als die ONTARIO den Hafen von Cincinnati wieder verlassen hatte.

Gegen Mittag des vierten Reisetages erreichte der Dampfer die große, betriebsame Stadt und legte im Frachthafen an. Ein Teil der Ladung wurde gelöscht, neue an Bord genommen, ebenso frische Verpflegung und Brennholz. Am Nachmittag war alles erledigt, und der Ohio-Steamer setzte seine Fahrt fort.

Jetzt war es dunkel. Nur die Gestirne am nächtlichen Himmel und die Schiffslaternen spendeten ein heimeliges Licht.

Nachdem sie, wie jeden Abend, ihr Essen mit dem Kapitän in seiner Kajüte eingenommen hatten, saßen die vier Passagiere bei einigen Matrosen auf dem Hauptdeck und lauschten ihren Erzählungen von reißenden Stromschnellen, aus dem Fluß spitz aufragenden Felsen und blutrünstigen Indianern, die von überhängenden Bäumen auf die Steamer sprangen.

Irgendwann ergriff Sam wieder das Wort und erzählte von der unmenschlichen Behandlung der schwarzen Sklaven und den drakonischen Strafen, die sie bei Ungehorsam oder einem Fluchtversuch zu erleiden hatten.

»Als ich noch ein Junge war, wurde meine Großmama Lisa abends zu unserer Herrin gerufen, weil sie angeblich freche Bemerkungen über die Herrschaft gemacht hatte. Als Lisa zurückkam, hatte die Herrin ihre Unterlippe an ihrem Kleid festgenäht. So mußte Großmama bis zum nächsten Morgen bleiben. Ein paar Jahre später versuchte Bob, ein kräftiger Sklave, die Flucht, weil das Mädchen, das er liebte, von unserem Herrn verkauft worden war. Aber die Bluthunde stellten ihn. Man brachte Bob zurück und hängte ihn zur Abschreckung an Haken auf, die man zwischen seine Rippen gerammt hatte. So hing er vor unseren Türen, bis er tot war.«

Während die beiden anderen schwarzen Matrosen schweigend zuhörten, meldeten ihre weißen Kollegen Protest an und beschimpften Sam als Aufschneider und Schwindler. Da stand Sam auf, zog erst seine Jacke und dann sein Hemd aus. Er drehte sich so, daß das Licht einer Laterne auf seinen Rücken fiel, der über und über mit dicken roten Narben bedeckt war. Die Spötter verstummten betreten, und Sam zog sich wieder an.

»Woher stammt das?« fragte Skip Horton, der Zweite Bootsmaat.

»Als mein Dad krank war und bei der Feldarbeit zusammenbrach, wollte ich ihn zu unseren Hütten schaffen. Der Aufseher befahl mir, Dad liegenzulassen und weiterzuarbeiten. Weil ich nicht auf ihn hörte, wurde ich abends zur Strafe an den Füßen aufgehängt und mit einer Peitsche geschlagen, bis ich bewußtlos war. Ich wachte erst durch einen rasenden Schmerz wieder auf, als man mich heruntergelassen hatte und eine Pfefferlösung auf meine Wunden schüttete. Da erfuhr ich auch, daß Dad gestorben war.«

Irene, deren Kind in der Kabine lag und schlief, war so entsetzt, daß sie ihr Gesicht von Sams nacktem Oberkörper abgewandt und es an Jacobs Schulter gedrückt hatte. Jacob empfand diese Berührung als durchaus angenehm.

»Sams Erzählungen sind nichts für dich«, sagte er und stellte plötzlich fest, daß sich Vivian Marquand bereits zurückgezogen hatte. »Mrs. Marquand mochte es sich auch nicht anhören.«

Irene nickte. »Ich werde in die Kabine gehen. Es wird Zeit, daß ich nach Jamie sehe.«

Jacob und Martin wollten sie begleiten, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Sie gingen an dem großen Kessel vorbei zum Vorschiff, wo sich der Aufgang zum Promenadendeck und zu den Kabinen befand, als plötzlich erstickte Schreie an ihre Ohren drangen. Die Schreie einer Frau.

»Das ist Mrs. Marquand!« stieß Jacob hervor und sprang auch schon, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Promenadendeck hinauf.

»Warte hier unten«, sagte Martin zu Irene, bevor er seinem Freund folgte.

Als die beiden Deutschen auf dem Promenadendeck standen, konnten sie nichts Verdächtiges entdecken. Aber dann hörten sie ein leises, unterdrücktes Stöhnen.

»Das kommt von da«, sagte Martin und zeigte auf den Aufgang, der vom Promenadendeck auf die Brücke führte. Diesen Weg mußte man nehmen, um ins Ruderhaus zu gelangen, das über allen Aufbauten thronte, damit der Steuermann nach allen Seiten einen freien Blick hatte.

Als sie auf die Treppe zugingen, bewegte sich etwas in dem Spalt zwischen ihr und der vorderen Kabinenwand. Was im Zwielicht erst aussah wie ein großes, unförmiges Bündel, entpuppte sich als drei eng aufeinanderhockende Personen. Die Rumpole-Vettern bedrohten Vivian Marquand, deren Kleid und Unterkleid zerfetzt um ihre Knöchel hingen.

Jack Rumpole preßte die linke Hand auf ihren Mund, um ihre Schreie zu unterdrücken. Die Rechte drückte die Klinge seines Messer gegen ihre Kehle.

Sein Vetter Bart kniete vor der Frau und knetete ihren nackten Körper so hart mit seinen Pranken, daß sie sich vor Schmerzen wand. Neben ihm stand eine fast leere Whiskeyflasche.

»Nun hab dich nicht so, Püppchen«, lallte ein volltrunkener Bart Rumpole, während seine Hände keinen Fleck des nackten Fleisches unberührt ließen. »Wenn du jetzt schon Zicken machst, was willst du dann erst sagen, wenn Onkel Bart richtig zu dir kommt?«

»Dazu wirst du keine Gelegenheit haben, du Schwein!« rief Martin, der mit zwei Sprüngen bei dem Aufgang war.

Er zerrte den menschlichen Büffel unter der Treppe hervor, wobei die Flasche umfiel und den Rest ihres Inhalts auf die Planken ergoß. Schwankend kam der Erste Bootsmaat der ONTARIO auf die Beine, wo er nicht lange blieb. Einer von Martins typischen Dreschflegelschlägen ließ ihn zurücktaumeln, bis er über ein herumliegendes Tau stürzte. Er krachte schwer auf die Planken und blieb dort grunzend liegen.