Выбрать главу

Das nahm Jacob nur aus dem Augenwinkel wahr, denn Jack Rumpole bedrohte ihn mit seinem Messer. Er schien nicht ganz so viel Whiskey geschluckt zu haben wie sein Vetter. Die im Licht einer Laterne aufblitzende Klinge kam Jacobs Hals ein paarmal bedrohlich nahe.

Jacob machte einen schnellen Ausfallschritt nach vorn und versetzte seinem Gegner einen Hieb gegen die Schulter, der den nach billigem Fusel stinkenden Matrosen mit dem Rücken gegen den Treppenaufgang warf.

Ehe sich der hagere Rumpole von seiner Überraschung erholen konnte, war Jacob bei ihm, packte seine Rechte mit beiden Händen und schlug sie auf eine der hölzernen Stufen. Jacks Finger öffneten sich und ließen den Messergriff los. Ein linker Haken Jacobs brachte den anderen endgültig zu Fall.

Das Messer flog im hohen Bogen über Bord und klatschte in den Ohio. Jacob fragte sich, wie viele Messer er dem Mann noch würde abnehmen müssen.

Keuchend wandte er sich der rothaarigen Frau zu, die noch immer auf dem Decksboden saß, den Rücken gegen die Kabinenwand gelehnt. Sie machte keine Anstalten, sich zu erheben oder ihre Blößen zu bedecken. Jacob entledigte sich seiner Jacke und breitete sie über Mrs. Marquand aus.

Die Besatzung mußte Wind von dem Kampf bekommen haben. Rasch füllte sich das Promenadendeck. Auch Irene kam herauf und kümmerte sich um die mißhandelte Frau.

Kapitän DeWitt erschien und warf mißbilligende Blicke auf seine beiden betrunkenen Männer, die auf den Planken lagen.

»Worum ging es diesmal?« fragte er.

»Um sie«, antwortete Jacob und zeigte auf die verängstigte Mrs. Marquand.

DeWitts strenges Gesicht verfinsterte sich. »Bringt zwei große Eimer mit Wasser her!«

Ein paar Matrosen feixten und liefen schnell die Treppe zum Hauptdeck hinunter. Sie kehrten mit den verlangten Wassereimern zurück und wollten sie vor ihrem Kapitän abstellen.

»Die sind nicht für mich«, belehrte sie DeWitt, »sondern für die beiden volltrunkenen Schweine. Macht sie wieder nüchtern, wenn das überhaupt geht.«

Auf den Gesichtern der umstehenden Matrosen lag ein erwartungsvolles, schadenfrohes Grinsen, als zwei ihrer Kollegen die Eimer über den Köpfen der Rumpoles ausschütteten.

Jack kam zuerst wieder zu sich, schüttelte prustend seinen Kopf und setzte sich auf. Mit einem lauten Stöhnen tat es ihm sein Vetter langsam nach und faßte sich an den haarigen Schädel, das Gesicht vor Schmerz verzerrt.

»Mr. Rumpole«, sagte der Kapitän ernst und sah dabei Bart an. »Ich habe Sie mehrmals ermahnt, sich an Bord zu benehmen. Heute abend haben Sie den Bogen überspannt. Sie sind nicht länger Maat auf diesem Schiff! Und sobald wir in Louisville anlegen, verlassen Sie die ONTARIO!« Sein Blick wanderte weiter zu dem zweiten Rumpole. »Das gilt auch für Sie! Ich betrachte die Angelegenheit damit als erledigt. Ob Mrs. Marquand in Louisville Anzeige gegen Sie erstattet, bleibt ihr überlassen. Ich könnte es aber gut verstehen.«

Er wandte sich um und ging zu der fast nackten Frau, um sie zu fragen, ob er etwas für sie tun könnte. Mrs. Marquand schüttelte den Kopf. Von Irene gestützt, stand sie auf. Als alle Versuche, ihr zerrissenes Kleid notdürftig hochzuziehen, scheiterten, ging sie so, wie sie war, nur mit Jacobs Jacke bekleidet, in ihre Kabine.

DeWitt verscheuchte derweil die gaffenden Männer. Die beiden Rumpoles wirkten wie begossene Pudel, als sie zum Hauptdeck hinunterschlichen.

Jacob blickte ihnen skeptisch nach. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß dies nicht der letzte Ärger mit den beiden Galgenvögeln gewesen war.

*

In derselben Nacht, ein paar Stunden später, schlich Vivian Marquand auf Zehenspitzen aus ihrer Kabine, um Mutter und Kind nicht zu wecken, die fest schliefen. Sie konnte nach dem Vorfall mit den betrunkenen Matrosen keinen Schlaf finden und hatte sich nur unruhig auf ihrer Schlafstätte hin und her gewälzt, die sie sich aus Decken auf dem Fußboden bereitet hatte. Sie hatte darauf bestanden, daß Irene und ihr kleiner Sohn die einzige Koje nahmen. Sie trat an den Rand des Promenadendecks und sah hinaus auf den nächtlichen Fluß. Auch bei Nacht setzte die ONTARIO ihre Fahrt fort, wenn auch nur mit halber Kraft. Kapitän und Mannschaft kannten den Fluß gut genug, um sich auch im Dunkeln zurechtzufinden. Vivian dachte an das schreckliche Erlebnis vor ein paar Stunden und daran, was geschehen wäre, wären ihr die beiden Deutschen nicht zu Hilfe gekommen. Sie konnte die Erzählungen des ehemaligen Sklaven nicht mehr ertragen und wollte schlafen gehen, als ihr auf dem Promenadendeck die beiden Betrunkenen entgegenkamen. Fast so, als hätten sie ihr aufgelauert. Sie hatte daran gedacht, den vierschüssigen Derringer, den sie in ihrer Handtasche bei sich trug, gegen die Matrosen einzusetzen. Es war die Waffe, die Ross Bowman gehört hatte. Aber sie hatte die Konsequenzen befürchtet. Wenn sie die Matrosen niederschoß, mußte sie mit einer polizeilichen Untersuchung in Louisville rechnen, die ihre Mission verzögerte. Und General Pemberton war dringend auf die Revolverkanonen angewiesen. Deshalb hatte sie nicht geschossen. Und deshalb würde sie auch keine Anzeige gegen die Matrosen erstatten. Was hätte Alec wohl gedacht, wenn es mit den beiden Kerlen zum Äußersten gekommen wäre? Hätte sie es ihrem Mann überhaupt sagen können? Sosehr sie sich auch fragte, welche Opfer sie noch für die Sache des Südens würde bringen müssen, Mond und Sterne wußten keine Antwort darauf. Plötzlich bemerkte sie zwei Gestalten auf dem Hauptdeck, die aus der achtern gelegenen Matrosenunterkunft kamen und miteinander tuschelten. Sie konnte beide gut sehen, weil der Größere eine Blendlaterne vor sich hertrug. Vivians Herz schlug schneller, als sie die beiden Männer erkannte, die sie vor ein paar Stunden fast vergewaltigt hätten. Rasch trat sie einen Schritt zurück, um nicht von ihnen gesehen zu werden. Das war auch gut so, denn die beiden sahen sich nach allen Seiten um und vergewisserten sich, daß sie allein an Deck waren. Als sie sich dessen sicher waren, öffneten sie die Luke zum Einstieg, der hinunter in den Laderaum führte. Und zwar in den Laderaum, in dem die als Fleischkonserven deklarierten Revolverkanonen verstaut waren. Als die Matrosen unter Deck verschwanden, schüttelte Vivian die Lähmung, die sie befallen hatte, ab und eilte die Treppe zum Hauptdeck hinunter. Sie mußte herausfinden, was da unten vor sich ging.

*

»Meinst du, daß es richtig ist, was wir hier tun, Bart?« fragte Jack Rumpole ängstlich, während er seinem Vetter hinunter in den dunklen Bauch des Ohio-Steamers folgte. »Wenn der Alte uns erwischt, macht er uns fertig. Er ist schon ziemlich sauer wegen der Sache mit dieser rothaarigen Hure vorhin.«

»Mach dir bloß nicht ins Hemd, Jack! Wenn ich schon meinen Posten verliere und das Schiff verlassen muß, will ich wenigstens etwas mitnehmen, das ich zu Geld machen kann.«

Sie gingen zu den aufgestapelten Kisten, und Bart Rumpole stellte die aufgeblendete Laterne auf ihnen ab. Hier unten war es ziemlich laut, weil der Maschinenraum gleich nebenan lag. Sie mußten fast schreien, um sich zu verständigen.

»Aber weshalb willst du dir ausgerechnet diese Konserven ansehen, Bart?«

»Weil ich nicht glaube, daß es Konserven sind. Daß ein Frachtagent persönlich mitfährt, um auf seine Ware aufzupassen, ist schon mehr als ungewöhnlich. Und daß diese Hure dann noch zwei Aufpasser mitnimmt, sollte selbst dein Spatzenhirn stutzig werden lassen!«

»Man wird ja noch fragen dürfen«, murmelte Jack kleinlaut, während sein Vetter ihm die mitgebrachte Brechstange aus der Hand riß.

»Wollen mal sehen, was in den Konserven so drin ist«, brummte Bart und setzte die eiserne Stange an einer Kiste in Brusthöhe an. Er war ein kräftiger Mahn und mußte sich trotzdem anstrengen, den Deckel zu öffnen, so tief waren die langen Nägel ins Holz getrieben worden.

»Da hat man sich aber ganz schön Mühe gemacht für ein paar lumpige Konserven«, meinte er, als er den Deckel abnahm und beiseite legte. »Ich bin gespannt, wie das Fleisch schmeckt.«