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»In der Tat«, antwortete der Colonel mit einer durch ihren schnarrenden Tonfall typisch militärisch klingenden Stimme. »Sieht ganz so aus, als hätten wir mit dieser Mrs. Marquand einen dicken Fisch an der Angel. Sie und ihr Mann werden seit längerem verdächtigt, für die Konföderierten zu spionieren und Waren über die Flüsse durch unsere Linien zu schmuggeln. Pinkerton hat einen seiner Leute bei ihnen eingeschleust, und dieser Mann wird seit der Zeit vermißt, als die ONTARIO Pittsburgh verlassen hat.«

»Das ist wirklich ein seltsamer Zufall - falls es denn einer ist«, meinte Ledbetter.

»Es kommt noch seltsamer«, fuhr McNab fort. »Seit diesem Tag ist Mr. Marquand mit einer Schußverletzung ans Bett gefesselt. Angeblich hat er sich beim Waffenreinigen verletzt.«

»Sie meinen, es hat eine Auseinandersetzung zwischen Marquand und dem Pinkerton-Mann gegeben, Colonel.«

»Ja, das denke ich. Vermutlich eine Auseinandersetzung, die der Mann von Pinkerton nicht überlebt hat.«

»Das ist ja alles schön und gut«, meinte Jacob mit kaum verhohlener Ungeduld. »Aber die wichtigste Frage ist doch, was wir jetzt tun können, um die ONTARIO aufzuhalten.«

McNab warf ihm einen zweifelnden Blick zu und fragte dann den Sheriff: »Wer ist denn das?«

Ledbetter erklärte es ihm.

»Nun, junger Mann«, sagte der Colonel zu Jacob, »ich lasse gerade ein Kanonenboot auslaufbereit machen, das die Verfolgung der ONTARIO aufnehmen soll. Außerdem habe ich an alle Militärposten flußabwärts telegrafiert, daß der Dampfer unbedingt aufzuhalten ist und die an Bord befindlichen Personen in Gewahrsam zu nehmen sind.«

Jacob nickte befriedigt und sagte dann: »Nehmen Sie meinen Freund und mich auf dem Verfolgerboot mit, Colonel!«

McNab schüttelte den Kopf. »Das ist eine militärische Operation, Mr. Adler. Zivilisten würden dabei nur stören.«

»Vielleicht können wir Ihnen doch von Nutzen sein. Schließlich kennen wir Mrs. Marquand. Außerdem ist eine Freundin von uns mit ihrem kleinen Sohn an Bord.«

»Ich möchte auch mitfahren«, schloß sich Kapitän DeWitt an. »Als Kapitän der ONTARIO könnte ich Ihnen sicher nützen.«

Der Garnisonskommandant von Louisville strich überlegend über seinen Spitzbart und sagte dann mit einem schweren Seufzer: »Also gut, Sie haben mich vielleicht nicht ganz überzeugt, aber immerhin überredet.«

Jacob fühlte sich danach ein wenig besser. Das Herumsitzen und Nichtstun hatte ihn immer nervöser gemacht. Er hatte jetzt das beruhigende Gefühl, etwas tun zu können, um Irene und Jamie zu helfen.

*

Während die ONTARIO den nächtlichen Ohio hinabdampfte, saß Vivian Marquand an Irene Sommers Koje und dachte an ihren Mann. Durch die neue Entwicklung der Dinge würde sie wieder nicht erfahren, wie es ihm ging - ob er überhaupt noch lebte.

Die kranke Frau vor ihr hatte sich immer wieder im Fieberwahn hin und her gewälzt. Vivian hatte ihre heiße Stirn mit einem nassen Tuch gekühlt und den kleinen Jamie zu sich auf den Schoß genommen, wenn er durch den unruhigen Schlaf seiner Mutter aufgewacht war.

Jetzt, wo es auf den Morgen zuging, schien es Irene besserzugehen. Sie schlief jetzt viel ruhiger und atmete auch nicht mehr so schwer. Jedesmal, wenn Vivian die Hand auf ihre Stirn legte, hatte sie das Gefühl, das Fieber wäre etwas gesunken. Jamie lag wieder neben seiner Mutter und schlief ebenso friedlich wie sie.

So, wie der kleine George früher neben Vivian gelegen hatte. Damals, auf der Plantage, in einer vergangenen Zeit und einer im Krieg verbrannten Welt.

Manchmal fragte sich Vivian, ob sie und Alec das Richtige taten. Sie konnten George nicht wieder lebendig machen, die Plantage aus ihrer Asche nicht wieder erstehen lassen.

Immer, wenn sie über dieses Thema nachdachte, endete es an einem entscheidenden Punkt: Was sollten sie sonst tun? Sie waren Südstaatler und traten für ihre Art zu leben ein, für die Freiheit des Südens und ihr Recht, sich nicht von den Nordstaaten bevormunden zu lassen.

Einen entscheidenden Punkt schnitten Vivian Marquands Überlegungen allerdings nie an, daß die Menschen aller Hautfarben ein Recht auf Freiheit besitzen.

*

Jacob und Martin standen neben Kapitän DeWitt vorn auf dem Promenadendeck der USS RA VAGER und starrten gebannt auf den dunklen Strom, durch den sich der Heckraddampfer mit dem martialischen Namen wühlte. Dabei sah das Kriegsschiff gar nicht so martialisch aus. Es war ein ganz normaler Flußdampfer, der am Bug mit drei Geschützen bestückt war, die hinter einer Verkleidung aus Eisenplatten steckten. Diese Bugverkleidung war auch schon der einzige Schutz des Schiffes gegen feindlichen Beschuß. Vollgepanzerte Schiffe hatten in Louisville nicht zur Verfügung gestanden, da alle Ironclads und Monitore der Region beim Kampf um die Mississippi-Stadt Vicksburg benötigt wurden.

Unter den Männern auf dem Promenadendeck waren die Heizer - kräftige Männer, die trotz der Nachtkühle nur spärlich bekleidet waren - unermüdlich damit beschäftigt, dicke, armlange Holzscheite in die Feuerbüchsen der Kesselbatterie zu werfen. Die bugwärts gerichteten Öffnungen der Feuerbüchsen fingen den Fahrtwind auf, der die glühende Hitze anfachte. Der Dampf aus den beiden großen Schornsteinen wurde von der Undurchdringlichkeit des nächtlichen Himmels aufgesogen. Auch die ONTARIO schien in der Finsternis verschwunden zu sein.

Jacob und Martin machten sich klar, daß sie vernünftigerweise nicht zu diesem Zeitpunkt damit rechnen durften, den gekaperten Dampfer einzuholen. Ungefähr eine Stunde nach der Besprechung in Sheriff Ledbetters Büro war die RAVAGER ausgelaufen, womit sich der Vorsprung der ONTARIO auf drei bis vier Stunden belief. Das Kanonenboot hatte vor einer knappen Stunde den Louisville & Portland Canal durchfahren, befand sich also noch nicht lange auf dem Fluß.

Jacob fragte DeWitt nach dessen Einschätzung ihrer Chancen.

Der Kapitän ohne Schiff wandte Jacob sein Gesicht zu, und seine Züge sahen skeptisch aus. »Ich mache mir keine allzugroßen Hoffnungen, daß wir die ONTARIO erwischen. Es sei denn, sie wird irgendwo flußabwärts von einem Patrouillenboot gestellt.«

»Ist die ONTARIO so schnell?«

»Ich will nicht sagen, daß sie besonders schnell ist. Aber dieser Kahn hier scheint mir nicht wesentlich schneller zu sein. Beide Schiffe sind etwa gleich groß, haben ungefähr dieselbe Maschinenkraft und ein Heckschaufelrad. Die Karten sind ziemlich gleich verteilt, nur daß die Leute auf der ONTARIO ihr Blatt ein paar Stunden früher erhalten haben.«

»Vielleicht haben wir ja Glück«, sagte Jacob, hauptsächlich, um sich selber Mut zu machen.

Er dachte an den schneidigen Lieutenant Slyde, der die RAVAGER befehligte und seine Männer zu Höchstleistungen anspornte. Vor ihrer Abfahrt hatte er Colonel McNab versprochen, nicht ohne die ONTARIO wiederzukommen. Jacob hoffte inständig, daß dies kein leeres Versprechen gewesen war.

Seine Gedanken eilten dem Kanonenboot voraus, die Windungen des dunklen Flusses entlang. Er dachte an Irene und Jamie. Die Sorge um sie und die Untätigkeit, zu der er verdammt war, machten ihn halb wahnsinnig.

*

Vivian Marquand fuhr auf ihrem Stuhl zusammen, als die Kabinentür geöffnet wurde. Irgendwann mußte sie im Sitzen eingeschlafen sein. Sie hatte von Tennessee geträumt, von ihrer Plantage, von Alec und von George. Nun brauchte sie einige Sekunden, um sich wieder zurechtzufinden. Um sich klarzumachen, daß der schlanke, gutgekleidete Mann in der Tür nicht Alec war, der von einer geschäftlichen Zusammenkunft auf einer Nachbarplantage heimkehrte. Daß sie sich gar nicht mehr auf ihrer Plantage befand, sondern auf einem Ohio-Steamer, der den nächtlichen Fluß durchpflügte.

Nächtlich? Bald nicht mehr. Durch die Türöffnung bemerkte sie einen ersten blaßrosa Schimmer am Himmel. Die Sonne bereitete sich darauf vor, die Armeen der Finsternis zu vertreiben. Sie schaffte es jeden Morgen. Aber würde es dem Süden nur einmal gelingen, die Armeen der Nordstaaten von seinem Land zu drängen?