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»Ich muß dich sprechen, Max, sofort!« rief sie mit ihrem französischen Akzent, noch bevor sie seinen Platz erreicht hatte.

Quidor blickte auf die vier Könige in seinen Händen, auf die Chips in der Mitte des Tisches, auf das asketische Pokerface seines Gegenübers und dann in Jeanettes Gesicht, das beim näheren Hinsehen noch die Spuren der Schläge zeigte. »Aber doch nicht jetzt! Siehst du nicht, daß ich mitten in einer wichtigen Partie stecke? Und überhaupt, weshalb arbeitest du nicht um diese Zeit?«

»Weil ich etwas sehr Wichtiges erfahren habe«, sagte die Frau, jetzt, wo sie neben ihm stand, erheblich leiser.

»Was kann so wichtig sein, daß es keinen Aufschub duldet?«

Jeanette flüsterte die Antwort in sein Ohr: »Jede Minute kann im Golden Atlantic eine polizeiliche Durchsuchung stattfinden. Die Polizei besitzt einen Haftbefehl für dich!«

Quidors Gesicht verlor den unbewegten Ausdruck, und er sah seine Geliebte ungläubig an.

»Woher weißt du das?«

»John Hingle, der stellvertretende Polizeichef von Manhattan, war heute abend bei der flotten Liz. Zum Abschied sagte er ihr, daß er für einige Zeit nicht kommen könnte, weil es in Dutchville bald heiß hergehen würde. Als Liz nachhakte, verriet er ihr, daß die Polizei heute nacht das ganze Viertel auf den Kopf stellen wird und daß du per Haftbefehl gesucht wirst. Anscheinend sind deine Waffenschiebereien aufgeflogen. Du mußt schnellstens abhauen, Max. Jede Minute ist kostbar!«

In Quidors Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Vielleicht hätte er sich nicht darauf einlassen sollen, Waffen an die Südstaatler zu schmuggeln. Aber der Verdienst war einfach zu verlockend gewesen. Deutschstämmige Waffenfabrikanten, von ihren einheimischen Konkurrenten durch Intrigen ausgebootet, wurden ihre Erzeugnisse nicht an die UnionsArmee los und saßen trotz des heftig tobenden Bürgerkrieges zwischen Nord- und Südstaaten auf den Waffen. Sie waren bereit, sie zum Selbstkostenpreis abzugeben. Quidor hatte seine Kontakte spielen lassen und eine Schmuggelorganisation aufgebaut, um die Waffen in den Süden zu transportieren, wo er sie an die schlecht ausgerüsteten Konföderierten weit über Wert verkaufen konnte.

In diesen Tagen war ein großer Transport unterwegs: Einhundert Revolverkanonen samt Munition, die den Rebellen bei der Verteidigung von Vicksburg helfen sollten, waren per Eisenbahn und Frachtwagen nach Pittsburgh geschickt worden und sollten von dort auf dem Ohio und dem Mississippi ins Kampfgebiet transportiert werden.

»Was ist los?« fuhr Wiggfields näselnde Yankee-Stimme mitten in Quidors Gedanken. »Gehen Sie mit, Quidor, oder wollen Sie sich lieber der Dame widmen?«

Leichter Spott lag auf dem Gesicht des Sprechers. Die Überheblichkeit ärgerte den Deutschen, und er zwang sich, Jeanettes Drängen zu einer raschen Flucht ignorierend, wieder an das Pokerspiel zu denken. Jetzt ging es ihm weniger ums Geld als darum, den Yankee in seine Schranken zu weisen. Quidor haßte es, jemandem zu unterliegen oder verspottet zu werden.

Jetzt erst bemerkte der Inhaber des Golden Atlantic, daß sein Gegenüber fünf weitere große Chips in die Mitte des Tisches geschoben hatte. Quidor tat es ihm nach und fügte noch einmal fünf Chips hinzu.

»Ihre fünftausend, Wiggfield, und fünftausend zum Sehen.«

»Soll mir recht sein«, preßte der Yankee undeutlich zwischen fast geschlossenen Zähnen, die auf der Henry-Clay herumkauten, hervor. Er starrte auf die Chips im Wert von rund fünfzigtausend Dollar, die auf ihren Gewinner warteten. »Jetzt zeigen Sie mal Ihr Bombenblatt!«

Quidor nahm sich die Zeit, seinen Sieg auszukosten, und deckte langsam eine Karte nach der anderen auf. Als auf die Karo-Sieben der Karo-König folgte und auf ihn der HerzKönig, herrschte im Saal gebannte Stille. Doch mit dem PikKönig setzte ein Raunen ein, das sich mit dem Aufdecken des Kreuz-Königs zu lautem Jubel steigerte. Alle, die auf Quidors Sieg gesetzt hatten, forderten lautstark ihren Gewinn ein.

Sie wurden, ebenso wie Quidor, unsicher, als Wiggfield keine Anstalten traf, seinem Gegner zu gratulieren, sondern seinerseits eine Karte nach der anderen aufdeckte. Schließlich lagen neben der Pik-Dame vier Asse auf dem grünen Filz. Der Jubel der einen Partei verstummte, und nach einigen Sekunden völligen Schweigens jubelten die Männer, die auf den Yankee gesetzt hatten.

»Mehr Glück beim nächsten Mal, Quidor«, meinte Wiggfield mit einem süffisanten Lächeln und strich seinen Gewinn zusammen. Sein dunkelhäutiger Leibwächter trat an seine Seite, nahm den Hut ab und sammelte die Chips darin ein.

Quidor zwang sich, äußerlich ruhig zu bleiben und seine innere Enttäuschung zu verbergen. Es war wie verhext; seit einigen Tagen lief alles, was er anfaßte, schief. Als läge ein Fluch auf ihm.

Angefangen hatte alles an dem Abend, als dieser deutsche Zimmermann, Jacob Adler, für ihn gegen den Iren Joe O'Malley boxte und sich weigerte, den Kampf zu verlieren, obwohl Quidor der besseren Quote wegen auf den Iren gesetzt hatte. Der Fight hatte in einem Tumult geendet. Adler und sein Freund Martin Bauer, den Quidor als Geisel genommen hatte, entkamen ebenso wie ihre Freundin Irene Sommer. Sogar Irenes kleines Kind, das Quidor dem kinderlosen Großmagnaten James Frederick Duncan »geschenkt« hatte, um ihn von sich abhängig zu machen, hatten sie zurückgeholt. Ein erboster Duncan trat daraufhin im Stadtrat gegen die deutschen Geschäftsleute und besonders gegen Quidor ein. Seitdem verwandelte sich in Quidors Händen alles zu Pech.

Er unterdrückte den bohrenden Haß auf Jacob Adler, dem er Rache geschworen hatte, und stand ruckartig vom Spieltisch auf. »Gratuliere, Wiggfield. Ich persönlich werde Ihnen Ihren Gewinn aushändigen. Ehre, wem Ehre gebührt.«

Dann flüsterte er schnell ein paar Anweisungen an seine beiden Leibwächter.

»Was tust du, Max?« fragte Jeanette entsetzt. »Dir läuft noch die Zeit davon!«

»Geh mit Henry«, antwortete Quidor nur und führte dann in Toms Begleitung den Gewinner des Spiels und seinen schwarzen Schatten ins rückwärtig gelegene Büro, wo ein weißhaariger Angestellter die Einnahmen des bisherigen Abends zählte und im Geldschrank deponierte.

Quidor schickte ihn nach draußen und wandte sich an die beiden Männer, die erwartungsvoll auf die vielen Bündel Geldscheine blickten. »Es ist soweit, Wiggfield. Jetzt bekommen Sie, was Ihnen zusteht.«

Bei diesen Worten sah er nicht den Yankee an, sondern Tom, der sich unauffällig an die Seite des Schwarzen begeben hatte, der seinen Hut mit den Elfenbeinchips in beiden Händen hielt.

Wie aus dem Nichts lag ein dünnes Messer in Toms Rechter, und die Klinge fuhr dem dunkelhäutigen Leibwächter durch die Kehle. Mit einem gurgelnden Laut sank der Schwarze zu Boden und verstreute dort den Gewinn seines Herrn.

Dieser wollte etwas sagen, konnte vor Entsetzen aber nur den Mund zu einem stummen Protestschrei öffnen. Dann ereilte ihn das Schicksal seines Leibwächters.

»Mein Geld kann ich jetzt besser gebrauchen, Sie dummer Kerl«, sagte Quidor zu dem sterbenden Yankee, der auf die herabgefallenen Chips gestürzt war.

Tom wischte die Klinge seines Messers an einem Ärmel von Wiggfields teurem Rock sauber und half dann seinem Boß, alles Geld in einer großen Tasche aus schwarzem Leder zu verstauen. Quidor schätzte die Gesamtsumme auf etwa einhunderttausend Dollar. Nicht schlecht als Handgeld für seine Flucht. Aber er wollte sich noch mehr Geld holen, den Gewinn aus dem Verkauf der Revolverkanonen. Vierhunderttausend Dollar wollten die Südstaatler für die Lieferung bezahlen. Alles zusammen war genug Geld, um sich eine neue Existenz aufzubauen.