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Die plötzliche Ruhe beruhigte Quidor nicht. Ganz im Gegenteil. Sie war ein Beleg für die Erfolglosigkeit seines Bemühens. Und er haßte es, erfolglos zu sein.

Er dachte an die Verfolger und war sich immer sicherer, daß jemand hinter der ONTARIO her war. Die Militärbehörden in Louisville würden sich ihren Reim auf das Verschwinden des Dampfers machen und ihm ein Kriegsschiff nachschicken. Quidor jedenfalls hätte so gehandelt.

Da kam ihm eine Idee, und er wandte sich an Tom. »Das Schiff ist zu schwer. Werft sofort sämtliche Ladung außer unserer speziellen über Bord. Dann kommen wir vielleicht von dieser verfluchten Sandbank herunter!«

Tom lief hinunter aufs Hauptdeck und gab den Befehl weiter. Ein Teil der Männer begann damit, die Fracht auf dem Hauptdeck in den Ohio zu werfen. Die übrigen Männer stiegen in die Frachträume hinab und wuchteten die schweren Kisten und Fässer nach oben. So vergingen fast zwei Stunden. Dann hatte die ONTARIO außer dem Brennholz und der Bordverpflegung nur noch die Revolverkanonen samt Munition an Bord.

Erneut versuchte das Schiff, mit voller Kraft zurück von der Sandbank zu kommen.

»Es klappt!« jubelte Quidor auf, als sich die ONTARIO plötzlich mit einem Ruck nach hinten bewegte.

Aber dann geschah nichts mehr, und der Dampfer lag trotz seines flachen Rumpfes und seines jetzt geringen Gewichtes wieder fest auf der Sandbank.

Quidor überschüttete das Schiff mit Flüchen und sah dann Massey an, der wieder am Maschinentelegrafen stand. »Was können wir jetzt noch tun?«

»Wir könnten versuchen, uns freizustaken.«

»Wie?«

Massey zeigte durch die vorderen Fenster auf die beiden robusten Holzspiere am Bug, die sich an der rechten und linken Bordwand fast bis zur Höhe des Fahnenmastes erhoben. »Wir müssen die beiden Grashüpfer da vorn in die Sandbank runterlassen. Wenn wir dann die Maschine noch mal zurücklaufen lassen, können sie uns mit etwas Glück in tieferes Wasser staken.«

»Dann gib die nötigen Anweisungen!«

Massey gehorchte, und zehn Minuten später war alles bereit. Die Augen der meisten Besatzungsmitglieder waren gebannt auf die Spiere gerichtet, als sich das Schaufelrad und die Dampfgangspill, die zur Übertragung der Kraft der kleinen, im Bug untergebrachten Maschine auf die Staken diente, gleichzeitig in Bewegung setzten.

Wieder gab es einen gewaltigen Ruck. Aber wieder war das alles, was geschah.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Massey. »Der Ohio führt um, diese Jahreszeit nicht genug Wasser. Wir sitzen so fest, daß wir uns nicht aus eigener Kraft befreien können. Wir müssen warten, bis uns ein anderes Schiff in tieferes Wasser zieht.«

»Wie lange kann das dauern, bis ein anderes Schiff vorbeikommt?« fragte Quidor.

Massey kniff die Augen zusammen und spähte über den Fluß, als könne er so bis zum Quell und zur Mündung des Ohio blicken. »Vielleicht eine Stunde, vielleicht zehn.«

Und wenn wir Pech haben, sind es unsere Verfolger, dachte Quidor. Es war ein ganz und gar unbehagliches Gefühl, hier auf der Sandbank festzusitzen und einem Kriegsschiff der Union schutzlos ausgeliefert zu sein.

Schutzlos?

Er dachte an die Fracht, die nicht über Bord geworfen worden war, und rasch gab er seine Befehle.

*

»Schiff voraus! Etwa zwei Meilen entfernt!«

Der Ruf des Maats, der mit einem Fernrohr vorn auf dem Brückendeck zwischen den beiden hochaufragenden Schornsteinen stand, schreckte das ganze Schiff auf. Auch Jacob und Martin, die sich nach Stunden des vergeblichen Ausspähens irgendwann am Vormittag in einen schattigen Winkel auf dem Promenadendeck zurückgezogen hatten, um den fehlenden Schlaf wenigstens durch etwas Dösen wettzumachen. Richtige Ruhe konnten sie aus Sorge um Irene und Jamie nicht finden.

In Sekundenschnelle waren sie auf den Beinen und prallten am Aufgang zum Brückendeck fast mit Kapitän DeWitt zusammen. Als sie oben anlangten, stand der Kommandant der RAVAGER bereits neben dem Maat und hatte das Fernrohr vor sein rechtes Auge gesetzt.

»Was gibt es?« fragte Jacob.

»Ein Dampfer ist ungefähr zwei Meilen vor uns auf eine Sandbank gelaufen«, antwortete der blauuniformierte Maat.

»Ist es die ONTARIO?« wollte ein erregter Francis DeWitt wissen.

»Zumindest ist es ein Heckraddampfer, der vor uns auf der Ockermill-Bank festsitzt«, sagte Lieutenant Slyde und gab das Fernrohr an DeWitt weiter. »Vielleicht können Sie uns sagen, ob es Ihr Schiff ist.«

»Die Ockermill-Bank?« fragte Martin, während der Kapitän der ONTARIO durch das Rohr sah.

»Eine berüchtigte Sandbank mitten im Fluß«, erklärte Slyde. »Sie hat ihren Namen nach einem Kapitän Ockermill, der vor einigen Jahrzehnten, als der Ohio noch nicht so stark befahren war, als erster mit seinem Schiff auf die Bank aufgelaufen ist.

Er mußte angeblich zwölf Tage warten, bis ein anderes Schiff vorbeikam und ihn in tieferes Wasser zog, weil sein Schiff es nicht aus eigener Kraft schaffte. Wie der Pott da vorn.«

DeWitt setzt das Fernrohr ab. »Es ist die ONTARIO!«

»Sind Sie sicher?« vergewisserte sich Slyde.

DeWitt machte ein säuerliches Gesicht. »Ich erkenne doch wohl mein eigenes Schiff, Sir!«

Slyde wandte sich dem Maat zu. »Mr. Peters, geben Sie Alarm. Alle Mann auf Gefechtsstation. Die Geschütze sollen feuerbereit gemacht werden. Und einen Entertrupp zusammenstellen!«

»Ay, Sir.« Der Maat salutierte knapp und lief dann auch schon die Treppe zum Promenadendeck hinunter.

Jacob sah den Kommandanten der RAVAGER entsetzt an. »Sie wollen die ONTARIO doch nicht etwa beschießen, Lieutenant? Miß Sommer und ihr Kind sind höchstwahrscheinlich an Bord!«

»Die Geschütze lasse ich nur für den Notfall klarmachen. Ich nehme an, daß sich die Leute auf der ONTARIO kampflos ergeben werden, da ihr Schiff manövrierunfähig zu sein scheint. Ich habe vor, mit der RAVAGER möglichst nah an die Sandbank heranzufahren und dann den Entertrupp überzusetzen. Damit dürfte die Sache erledigt sein.«

Slyde spähte wieder durch das Fernrohr. »Die Männer stehen an Bord verteilt und scheinen uns zu erwarten. Was sollen sie sonst auch tun.«

»Sehen Sie auch Frauen?« fragte Jacob.

»Nein.«

»Dann ist Irene wohl in ihrer Kabine. Wahrscheinlich ist sie noch nicht in der Verfassung aufzustehen.«

»Ja«, stimmte ihm Martin zu. »Und Mrs. Marquand, diese falsche Schlange, ist vielleicht bei ihr.«

Die RAVAGER dampfte mit unverminderter Geschwindigkeit auf die ONTARIO zu, während an Bord in wohlgeordneter Betriebsamkeit die Kampfbereitschaft hergestellt wurde. Jacob tastete nach dem Revolver in seiner Jackentasche und hoffte, ihn nicht einsetzen zu müssen.

Als sich die Entfernung auf weniger als eine Meile verringert hatte, waren die Buggeschütze der RAVAGER feuerbereit und auf das festsitzende Schiff gerichtet. Auf dem Hauptdeck hatte sich ein fünfzehn Mann starker Entertrupp versammelt, ausgerüstet mit Revolvern und Entersäbeln. Acht Matrosen standen mit Karabinern auf dem Promenadendeck, um ihren Kameraden im Notfall Feuerschutz zu geben.

Lieutenant Slyde gab dem Steuermann im Ruderhaus ein Zeichen, die Fahrt auf halbe Kraft zu reduzieren. Nur Sekunden vergingen, und die Geschwindigkeit, mit der die hölzernen Schaufelarme das Wasser teilten, verringerte sich.

Allmählich wurden die Menschen an Bord der ONTARIO mit bloßem Auge erkennbar. Vergeblich bemühten sich Jacob und Martin, Irene auszumachen.

Aber dem jungen Zimmermann fielen die seltsamen sackartigen Gebilde auf dem Brückendeck der ONTARIO auf, um die sich die Männer versammelt hatten. Jeweils zwei dieser großen Säcke standen vor und hinter dem Ruderhaus.

Er machte Slyde darauf aufmerksam, als die Entfernung zwischen beiden Schiffen noch etwa sechshundert Yards betrug. »Was sind das für Dinger auf dem Brückendeck, Lieutenant? Sieht aus wie Kartoffelsäcke.«