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»Es sind Säcke«, sagte Slyde, der wieder durch das Fernrohr sah. Aber plötzlich versteinerte sein Gesichtsausdruck, als er sah, wie die Säcke von dem gezogen wurden, was sie verhüllten. »Großer Gott!«

»Was ist?« fragte Jacob. »Was haben Sie?«

Aber Slyde antwortete nicht, sondern wandte sich dem Rudergänger zu und brüllte: »Sofort umdrehen, Mr. Rodney!«

Dann befahl er allen Männern, in Deckung zu gehen. Der Befehl ging im Feuer der vier Revolverkanonen unter, die Quidor auf dem Brückendeck der ONTARIO hatte aufstellen lassen. Die Männer hinter den Geschützen waren den Umgang mit diesen modernen Waffen nicht gewöhnt, und so klatschten die ersten Geschoßgarben weit vor der RAVAGER wirkungslos ins Wasser.

Aber die Schützen lernten rasch dazu. Während der Rudergänger der RAVAGER das Kanonenboot in einem gewagten Manöver mitten in der Fahrt schwenken ließ und dadurch starke Wellenbewegungen auf dem Fluß verursachte, fraß sich das Schnellfeuer auf das Kriegsschiff zu. Die ersten Kugeln ließen das Holz der RAVAGER zersplittern, als sie der ONTARIO ihre Breitseite zuwandte. Obwohl sich die Männer an Bord der RAVAGER zu Boden geworfen hatten oder in Deckung gesprungen waren, wurden einige von Kugeln erwischt.

»Volle Kraft voraus!« schrie Slyde gegen das Knattern der Salven an, als sein Schiff endlich das Wendemanöver vollzogen hatte.

Mr. Rodney rammte den Befehlshebel nach vorn. Das Schaufelrad steigerte hektisch die Anzahl seiner Drehungen und schob das Kanonenboot aus der Gefahrenzone. Hinter ihm ließ das Feuer von Bord der ONTARIO das Wasser aufspritzen.

Als die Distanz zur Oekermill-Bank ungefähr zwei Meilen betrug, ließ Slyde sein Schiff erneut wenden und die Buggeschütze auf den Frachtdampfer ausrichten.

»Denken Sie an Miß Sommer!« ermahnte ihn Jacob, der sich vom Boden des Brückendecks erhob.

»Das tu' ich«, sagte Slyde knapp, als wäre er wegen der Einmischung in seine Angelegenheiten ungehalten. »Aber ich will kein Risiko eingehen, nicht noch einmal.«

Auch Martin erhob sich. Nur Kapitän DeWitt lag noch auf den Planken.

»Was ist, Kapitän?« fragte Martin und streckte die Arme nach dem Mann aus. »Soll ich Ihnen helfen?«

Als DeWitts Antwort nur in einem Röcheln bestand, wurden die beiden Deutschen und Lieutenant Slyde stutzig. Jacob und Martin knieten sich hin und drehten den Kapitän vorsichtig herum. Seine Brust sah schlimm aus, war von mehreren Kugeln zerfetzt.

»Eine Salve hat ihn erwischt«, sagte der Kommandant der RAVAGER fast tonlos.

»Die ONTARIO und ich.«, sagte DeWitt leise und erlitt dann einen Hustenanfall, der blutigen Auswurf zutage förderte. »Unsere. unsere Zeit ist um.«

Mr. Peters erschien keuchend auf dem Brückendeck und nahm vor Lieutenant Slyde Haltung an. »Wir haben drei Verwundete, Sir. Der Arzt kümmert sich um sie. Aber keine schweren Fälle und keine Toten.«

»Doch«, entgegnete Slyde bitter und sah hinunter auf DeWitt, dessen Kopf in diesem Augenblick kraftlos zur Seite rollte. »Einen Toten haben wir.«

*

»Was hat er bloß damit gemeint, seine Zeit und die der ONTARIO sei um?« fragte Martin, als ein paar Matrosen Kapitän DeWitts Leiche unter Deck brachten.

»Die düstere Vision eines Sterbenden«, meinte Lieutenant Slyde. »Er hat sich auf diese Art von seinem Schiff verabschiedet.«

»Nein«, widersprach der Deutsche. »Es klang anders. Als hätte er etwas gesehen. Etwas in der Zukunft, das die ONTARIO betrifft.«

Sie kamen nicht dazu, weiter darüber zu sprechen, denn Mr. Peters, der wieder die Beobachtung der ONTARIO übernommen hatte, meldete: »Sir, drüben läßt man ein Boot zu Wasser.«

Slyde beobachtete die Szene durch das Fernrohr und ergänzte: »Ein Ruderboot, bemannt mit drei Personen. Es kommt anscheinend auf uns zu.«

»Soll ich ein Geschütz auf das Boot richten lassen, Sir?« fragte der Maat.

Der Kommandant nickte. »Ja, sicher ist sicher. Denen ist jede Teufelei zuzutrauen. Und die Scharfschützen sollen sich bereit halten.«

Peters verschwand, um den Befehl weiterzugeben.

»Sieht so aus, als wollten die Burschen mit uns verhandeln«, meinte Slyde, der wieder durch das Fernrohr spähte. »Sie haben eine weiße Fahne im Boot. Allmählich scheint sich der Nebel zu lichten.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Jacob.

»Wir erfahren Stück für Stück mehr über die Sache. Zum Beispiel können wir fast mit Sicherheit annehmen, daß mit der ONTARIO Revolverkanonen zu den Rebellen geschmuggelt werden sollen. Sonst hätten sie diese verteufelten Dinger kaum an Bord.«

»Ich habe so etwas noch nie erlebt«, sagte Jacob.

»Ist auch eine ziemlich neue Erfindung, durch die die Feuergeschwindigkeit revolutioniert werden soll. Ein gewisser Gatling hat solch ein Ding unserer Regierung angeboten. Aber es sollen noch ein paar ähnliche Erfindungen im Umlauf sein. Wahrscheinlich hat einer von Gatlings Konkurrenten seine Entwicklung an den Süden verschachert.«

Als das Ruderboot näher kam, bat Jacob den Kommandanten um das Fernrohr. Zwei Männer, die ihm völlig unbekannt waren, saßen an den Rudern. Aber als er sich auf den Mann in der Mitte konzentrierte, der in einer Hand den Stock mit der weißen Fahne hielt, konnte er es kaum glauben. Doch die kreuzförmige Narbe auf der Stirn beseitigte jeden Zweifel.

»Es ist Tom!«

»Was?« fragte Martin ungläubig.

»Der Mann mit der weißen Fahne ist Tom, Max Quidors Leibwächter.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Martin und sah selbst durch das Fernrohr. Er mußte zugeben, daß sein Freund sich nicht getäuscht hatte.

»Wer ist dieser Tom?« erkundigte sich Slyde.

Jacob berichtete ihm in groben Zügen, was sie mit Max Quidor in New York erlebt hatten.

»Soso, in New York«, murmelte der Marineoffizier. »Es sieht ganz so aus, als sei Ihr Mr. Quidor einer der ganz großen Waffenschieber.«

»Ob er selbst an Bord ist?« überlegte Martin laut.

»Kaum anzunehmen«, sagte Slyde. »Solche Leute sitzen für gewöhnlich bei einem Glas Wein am Kamin und überlassen den riskanten Teil ihrer Geschäfte ihren Handlangern. Leuten wie diesem Tom da.«

Das Ruderboot war nur noch achtzig Yards von der RAVAGER entfernt. Slyde und die deutschen Auswanderer stiegen hinunter aufs Hauptdeck, um mit dem Parlamentär zu sprechen.

Sie standen auf dem Vorschiff und sahen dem Boot entgegen. Hinter ihnen hatte der Entertrupp mit gezogenen Revolvern Aufstellung genommen, und über ihnen auf dem Promenadendeck standen schußbereit die Scharfschützen.

Auf den letzten Yards zogen die Männer im Boot die Ruder ein, und ihr Fahrzeug trieb gegen die Bordwand der RAVAGER. Tom warf Jacob und Martin einen finsteren Blick zu.

»Wie geht es Max Quidor?« fragte Jacob.

»Er schickt mich, um mit dem Kapitän zu verhandeln!«

Also ist er doch an Bord, schoß es durch Jacobs Kopf, wenn er sich diese kaum vorstellbare Fügung des Schicksals auch vergebens zu erklären versuchte.

»Ich verhandle nicht mit Piraten«, sagte Slyde hart.

»Piraten?« echote Tom.

»Ja, ihr seid nichts anderes als gemeine Flußpiraten. Mit solchen Leuten verhandelt man nicht. Man nimmt sie fest oder erschießt sie!«

»Das würde ich mir an Ihrer Stelle noch einmal überlegen, Kapitän«, erwiderte Tom. »Wir haben schließlich dieses Dutchgirl und das Kind an Bord. Wenn Sie auf die ONTARIO schießen, sind die beiden zuerst dran. Schauen Sie nur mal durch Ihr Fernrohr!«

Slyde folgte der Aufforderung und erbleichte.

»Leute wie Sie müßte man tatsächlich erschießen wie tollwütige Hunde!« zischte er, als er das Fernrohr wieder absetzte.

»Was ist denn?« fragte Jacob.

Wortlos reichte ihm Slyde das Rohr. Jacob sah, wie Irene in diesen Sekunden mit einem Seil um ihre Brust ans Geländer des Promenadendecks gebunden wurde. In ihren Armen hielt sie den kleinen Jamie. Ihr Gesicht sah gefaßt aus, aber selbst auf die große Entfernung glaubte Jacob die Sorge um das Leben ihres Kindes zu erkennen. Die Absicht Quidors, der neben Irene stand, war klar. Die Männer auf der RAVAGER mußten mit jedem Schuß, den sie auf die ONTARIO abfeuerten, damit rechnen, Mutter und Kind zu töten.