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Wie fast immer im Krieg wurde auch den in Pittsburgh stationierten Soldaten jede nur erdenkliche Zerstreuung geboten. Nichts schien es hier so häufig zu geben wie Kneipen.

Einige priesen ihre billigen Getränke, andere ihr reichhaltiges Angebot an Glücksspielen »zur Aufbesserung des mageren Soldes«, wie auf der Werbetafel über einem Eingang stand. In schmalen Seitengassen standen leichtbekleidete Frauen in den Eingängen und warteten auf den nahen Sonnenuntergang und ihre Kundschaft.

Die drei Freunde wollten sich erst mal eine Unterkunft suchen und kehrten in einem dreistöckigen Haus ein, das einen einigermaßen soliden Eindruck machte und sich »Schulze's Hotel & Restaurant« nannte. Der Eigentümer, Frederick Schulze, stammte aus Mecklenburg und war sehr erfreut, die frisch Eingewanderten beherbergen zu können. Obwohl sein Haus gut belegt war, erhielten die neuen Gäste zwei eigene Zimmer, wenn es auch nur schmale Kammern waren. In der einen wollten Jacob und Martin nächtigen, die andere wurde Irene und dem kleinen Jamie zugeteilt.

Nachdem die beiden Männer ihre wenigen Sachen in eine Ecke der Kammer gestellt hatten, streckte sich Martin mit unter dem Kopf verschränkten Händen auf dem schmalen Bett aus, das er sich mit seinem Freund teilen mußte, und seufzte wohlig.

»Jetzt ein paar Stunden schlafen und dann ins Bett«, meinte der Bauernsohn gähnend. »Das wäre das richtige für mich.«

»Du liegst ja schon auf dem Bett«, spottete Jacob, der an dem kleinen Fenster stand und hinab auf das rege Straßenleben sah. »Außerdem sollten wir uns erst um unsere Weiterreise kümmern, sonst fährt uns noch ein günstiges Schiff vor der Nase weg. Danach haben wir immer noch Zeit, uns tüchtig auszuschlafen.«

Martins rundes, sommersprossiges Gesicht, das eben noch so gelöst gewirkt hatte, nahm plötzlich ernste Züge an. »Bist du sicher, daß du uns nach Oregon begleiten willst, Jacob?«

»Natürlich bin ich sicher. Warum fragst du?«

»Weil du ursprünglich nach Texas wolltest, um endlich zu deiner Familie zu kommen. Wenn du uns auf dem langen Weg über die Rocky Mountains nach Oregon begleitest, bringt dich das deinem Ziel nicht gerade näher.«

Martin sagte die Wahrheit. Nachdem Jacobs Familie drüben in Deutschland durch betrügerische Machenschaften um Haus und Besitz gebracht worden und seine Mutter über den Aufregungen gestorben war, hatte Jacobs Vater mit seinen übrigen Kindern die Überfahrt nach Amerika gewagt, um bei Nathan Berger unterzuschlüpfen, einem Bruder von Jacobs Mutter, der in Texas eine Plantage besaß. Das vermutete Jacob zumindest und hatte sich deshalb an Bord einer Auswandererbark auf den langen Weg über den Atlantik gemacht, um seine Familie in dem fremden Land zu suchen.

Auf dem Schiff hatte er Irene Sommer kennengelernt, die jetzt nach Oregon wollte, zu Carl Dilger, dem Vater ihres Kindes. Jacob und Martin hatten schon auf See eine Beschützerrolle für Mutter und Kind übernommen, die sie als Paten des Kleinen auch weiterhin auszufüllen gedachten. Martin war mit Oregon als Ziel durchaus einverstanden. Er war Bauer, und das Land dort sollte, wie er gehört hatte, für die Landwirtschaft sehr geeignet sein.

Deshalb wollte er Irene auf ihrem Weg begleiten, der über die Flüsse bis ins Grenzgebiet zwischen Kansas und Missouri führen sollte. Dort wollten sie sich einem der Oregon-Trecks anschließen, die über die mächtigen Rocky Mountains zogen. Natürlich wäre es einfacher gewesen, von New York aus eine Schiffspassage nach Oregon zu buchen, aber ihre überstürzte Flucht aus der großen Stadt an der Atlantikküste hatte dem im Wege gestanden.

Für Jacob wäre es, um nach Texas zu gelangen, das Günstigste gewesen, sich ab Cairo, wo der Ohio in den Mississippi mündete, flußabwärts zu halten. Aber obwohl es ihn sehr drängte, endlich seinen Vater und die Geschwister wiederzusehen, wollte er Irene zusammen mit Martin nach Oregon bringen, bevor er sich nach Texas aufmachte. Nicht nur, weil er sich der jungen Frau und ihrem Kind gegenüber verpflichtet fühlte.

Nein, es gab einen viel tiefgreifenderen Grund, den er sich selbst gegenüber aber nicht eingestand. Jacob hatte sich in Irene verliebt. Aber da zwischen ihnen Carl Dilger und der kleine Jamie standen, wehrte sich Jacob vehement dagegen, in Irene mehr zu sehen als eine gute Freundin.

»Ich habe gesagt, daß ich mit nach Oregon komme, also komme ich auch mit«, stellte Jacob klar.

»Das freut mich sehr«, meinte Martin und erhob sich ächzend von dem schlecht gefederten Bett. »In unruhigen Zeiten wie diesen ist ein guter Freund viel wert.«

»Sprichst du vom Krieg?«

»Vom Krieg und von all den anderen Gefahren, die dieses Land für uns bereithält. Nach der üblen Erfahrung, die wir in New York mit diesem Quidor gemacht haben, bin ich vorsichtig geworden.«

»Ich hoffe, daß wir etwas Ähnliches nicht mehr durchmachen müssen.«

»Hoffen und Harren macht manchen zum Narren, pflegte mein Vater zu sagen.« Martin schlug auf seinen Bauch. »Aber ich hoffe selbst, nämlich daß der alte Schulze einen guten Koch beschäftigt. Ich kriege nämlich allmählich Hunger.«

»Nicht nur du. Vielleicht können wir bei der Gelegenheit in Erfahrung bringen, wann das nächste Passagierschiff flußabwärts fährt.«

Irene war so erschöpft von der langen Bahnfahrt, daß sie auf ihrem Zimmer bleiben wollte. Ihre Freunde versprachen, Schulze zu bitten, ihr Essen aufs Zimmer zu bringen.

Sie gingen hinunter ins Restaurant und waren überrascht, wie voll es dort war. Bürger der Stadt, Seeleute und Soldaten drängten sich um die Tische, um »Schulze's deutsche Küche«, die ein großes Schild an der Wand anpries, zu genießen.

»Da wird gerade etwas frei«, sagte Jacob und steuerte, gefolgt von Martin, einen kleinen Ecktisch an, von dem sich vier Soldaten erhoben.

Sie hatten sich gerade an den Tisch gesetzt, als eine laute Stimme wie ein Gewitter über sie hereinbrach. »He, ihr Landratten, verzieht euch! Wir haben den Tisch zuerst entdeckt.«

Der Sprecher gehörte zu einer Gruppe von vier Männern, die sich breitbeinig rund um den Ecktisch aufgebaut hatte. Daß es Matrosen waren, sah man an ihrer Kleidung und an den maritimen Tätowierungen, die zwei von ihnen auf den Handrücken trugen.

Auch der Sprecher, ein massiger Büffel, der diesem Tier durch lange, zottelige Haare und einen ebensolchen Bart noch ähnlicher wurde, hatte auf dem Rücken jeder Hand eine Tätowierung. Auf der Rechten stand ein Matrose im Mastkorb und hielt durch ein Fernrohr Ausschau, während sich auf der Linken eine Seejungfrau mit langem Fischschwanz und nacktem, üppigem Oberkörper räkelte.

Die Augen in dem Bartgestrüpp glühten, als wollten sie die beiden Deutschen an dem Tisch versengen. Der menschliche Büffel stand da, als sei er bereit, jeden Augenblick loszustürmen, um Jacob und Martin in Grund und Boden zu rammen.

Martin drehte sich halb um und sah jetzt direkt zu dem Büffel hinauf. »Wo liegt Ihr Problem, Sir?«

»Mein Problem?« brüllte der Matrose. »Ihr zwei Figuren seid mein Problem, aber nicht mehr lange. Ihr werdet nämlich sofort verschwinden und den Tisch Bart Rumpole und seinen Freunden überlassen.«

»Bart Rumpole sind wohl Sie?« fragte Martin.

Der Büffel stemmte die mächtigen Fäuste in die Hüften. »Allerdings, Mister.«

»Dann darf ich Ihnen mitteilen, daß Sie sich in einem Irrtum befinden, Mr. Rumpole. Mein Freund und ich haben uns gerade erst an den Tisch gesetzt. Und wir stehen erst wieder auf, wenn wir etwas gegessen haben.«

Rumpole stand kurz vor dem Explodieren.

Um einen Streit zu vermeiden, sagte Jacob schnelclass="underline" »Es finden sich bestimmt noch zwei freie Stühle im Restaurant. Wenn wir zusammenrücken, passen wir alle sechs an den Tisch.«