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»Haben Sie Feinde, Sir?« Gowers saß im Salon des wohlhabenden Reeders diesmal dem Ehepaar Maguire gegenüber, denn ein zweites Mal hatte sich die gut zwanzig Jahre jüngere Gattin seines Klienten nicht davon abhalten lassen, dem Gespräch beizuwohnen. Den Amerikaner verunsicherte das nicht, aber es lenkte ihn ab, denn auf den ersten Blick sah er, woher Mairie Maguire ihr schönes blondes Haar hatte.

»Feinde«, antwortete Maguire einen Augenblick zu langsam. »Natürlich habe ich Konkurrenten, Mr. Gowers. Aber das sind Ehrenmänner und keiner von ihnen …«

»Sag es ihm, Robert!«, unterbrach ihn seine Frau, und Gowers wusste, dass er auf der richtigen Fährte war.

»Nun, es ist ja schließlich keine Schande«, sagte der Reeder daraufhin, wobei er seinen Worten zum Trotz errötete. »Und auch kein Geheimnis: Ich bin als Deportierter in dieses Land gekommen, Mr. Gowers. Ich war siebzehn Jahre alt und hatte gestohlen. Aber ich bin nicht vor dem Gesetz davongelaufen, nein, Sir! Ich habe meine Strafe abgebüßt und, nachdem ich frei war, als Gehilfe eines Schiffszimmermanns angefangen. Auf dem Holzplatz!« Maguire reckte den Kopf so hoch, als müsse er ihn über Wasser halten, und machte eine stolze, ausladende Handbewegung. »Alles, was ich bin und was Sie hier sehen, habe ich ehrlich und aus eigener Kraft erworben. Mir hat niemand etwas geschenkt, aber mir musste auch niemand was schenken, Mr. Gowers!«

Elizabeth Maguire, erst wenig über die dreißig und auffallend hübsch, legte bei diesen Worten ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. Der Amerikaner, der gewohnt war, immer das Schlechteste von einem Menschen zu denken, und angenommen hatte, dass sich auch hier, damals, vor fünfzehn Jahren, ein hübsches junges Ding einen reichen Kerl geangelt hatte, wusste in diesem Moment, dass die Liebe vor ihm saß, und senkte beschämt den Kopf.

»Gibt es jemanden in Ihrer Vergangenheit, der Ihnen übelwill? Ist vielleicht irgendwann einmal jemand aufgetaucht, der … wie soll ich sagen, Sie daran erinnert hat, woher Sie kommen?«

Der Reeder schnaubte verächtlich. »Als ich noch in Sydney war, habe ich gelegentlich solche Leute angestellt, ehemalige Deportierte. Einer von diesen Kerlen, ein gewisser Blampin, ist tatsächlich vor einem Vierteljahr hier aufgetaucht und wollte mich erpressen.«

»Wie lange sind Sie in Melbourne?«

»Seit mehr als zwanzig Jahren.«

»Und wissen die Leute hier, woher Sie kommen?«

Maguire hatte in den letzten Minuten seine Selbstsicherheit wiedergewonnen. »Ich hab’s nicht an die große Glocke gehängt, aber ich habe auch keinen Hehl daraus gemacht, wenn Sie das meinen.«

»Also haben Sie sich von Blampin auch nicht erpressen lassen?!«

Der Reeder lachte. »Natürlich nicht. Ich habe ihm …« Im letzten Moment fiel ihm ein, dass seine Frau anwesend war. »Ich habe ihn zum Teufel gejagt, Mr. Gowers.«

»Ist dieser Blampin noch in Melbourne?«, fragte der Investigator.

»Ja.« Wieder klang die solide Verachtung des Selfmademans in Maguires Antwort durch. »Er arbeitet für Harewood.« Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet!«

»Sir?« Gowers verstand nicht.

»Jacob Edward Harewood«, sagte der Reeder ironisch. »Oder General Harewood, wie er sich neuerdings gern nennen lässt. Der große Saubermann Victorias, der …«

»Robert!«, unterbrach Mrs. Maguire ihren Mann ruhig, aber bestimmt.

»Entschuldige, Liebes!«, sagte Maguire prompt und erklärte, jetzt wesentlich gelassener: »Jack Harewood ist der Führer der Kampagne ›Sauberes Victoria‹: Keine Sträflinge, Freigelassenen, Taugenichtse – und Einwanderer nur, wenn sie mindestens fünfhundert Dollar als Sicherheit hinterlegen können. Nach zwanzig Jahren im Stadtrat hat er bei der Wahl im nächsten Monat zum ersten Mal einen Gegenkandidaten: mich!«

»Zwanzig Jahre.« Gowers runzelte die Stirn. »Was genau hat man Ihnen bei der Polizei gesagt, Sir?«

»Dass wir warten müssen, bis die Entführer Forderungen stellen. Vorher könne man überhaupt nichts machen«, sagte der Reeder.

»Sonst nichts?«

»Nur, dass wir nichts tun sollen, was das Leben unserer Kinder gefährdet«, antwortete besorgt Mrs. Maguire.

»Hm.« Gowers ging probeweise davon aus, dass doch bereits eine Forderung gestellt worden war, behielt diese Überlegung aber für sich, um keine vorschnellen Reaktionen auszulösen.

21.

Desmond Bonneterre erwachte in der Dämmerung, weil er Durst hatte, und äußerte das knurrend. Seine Zunge fühlte sich zäh und wund an. Er hatte am Abend zuvor zu viel getrunken und zu viel geraucht und brauchte eine Weile, ehe er auch nur schlucken konnte. Seine Träume waren wirr gewesen und durchdrungen von der Schmach der Niederlage, die er erlitten hatte. Nathan. Das Kopfschütteln des alten Generals Willoughby. Die Zurechtweisung seiner Mutter. Noch einmal fiel er in einen klebrigen Halbschlaf und erwachte schließlich, weil er in einer Pfütze seines eigenen Schweißes lag. Dass es schon am frühen Morgen so warm sein konnte! Hatte er jetzt getrunken? Seine Zunge stieß vertrocknet gegen Zähne und Gaumen, er hatte noch nicht getrunken!

Die tiefen Atemzüge neben seinem Bett weckten ihn vollends und stachelten sofort auch die Wut an, die sein ganzes Leben bestimmte. Er wollte etwas trinken. Sofort! Rollte zur Seite, deckte sich auf dabei und schlug heftig mit der flachen Hand nach unten, wobei er etwas Warmes traf, das sich neben seinem Bett auf dem Boden ringelte, sofort hochschreckte und verängstigt zur Seite rutschte.

»Zu trinken!«, befahl Bonneterre der etwa sechzehnjährigen Negerin, die in seinem Schlafzimmer auf genau solche Befehle zu warten hatte. Sie sprang auf, um ihrem Herrn ein Glas von dem Wasser zu holen, das im Krug neben der Waschschüssel am anderen Ende des geräumigen Zimmers stand. Sie hoffte inbrünstig, dass er danach noch einmal einschlafen würde. Aber Bonneterre hatte die leichte seidene Decke jetzt vollständig zur Seite geschleudert, lag nackt auf dem durchgeschwitzten Laken und befahl ihr, ihn zu waschen, nachdem das Wasser seine Kehle und seine Stimmbänder freigespült hatte. Gehorsam feuchtete sie eines der Handtücher an und rieb seinen Körper damit ab, den dabei eine angenehme Kühle und eine kitzelnde Gänsehaut überzogen. Nach einigen Minuten drückte er ihren Kopf auf seinen Unterleib.

Obwohl er seit zwei Jahren verheiratet war, schlief Desmond Bonneterre allein, wenn man von der Sklavin Darioleta absah, deren Anwesenheit aber nicht mehr zählte als in späteren Zeiten das Vorhandensein eines Lichtschalters oder eines Wasserhahns. Auch im Zimmer seiner jungen Gemahlin Eleanor schlief eine Sklavin, die ihr das Nachtgeschirr unterhielt, das Licht anzündete, die Waschschüssel füllte, Handtücher und Kleider bereitlegte. Einzig seine Junggesellengewohnheit, auch andere morgendliche Bedürfnisse von den stummen Dienerinnen befriedigen zu lassen, hatte Eleanor abgestoßen und sie in ein separates Schlafzimmer auswandern lassen.

Bonneterre war das gleich, er hatte seine Pflicht getan. Er hatte das Mädchen geheiratet, das seine Mutter für ihn ausgesucht hatte, den Familienbesitz dadurch noch einmal beträchtlich vermehrt und sie nun schon zum zweiten Mal geschwängert. Wenn es wieder ein Junge wurde, die Erbfolge damit endgültig gesichert wäre, würde man sich ohnehin nur noch bei Tisch sehen und bei gesellschaftlichen Anlässen zusammen zeigen. Eleanor war so langweilig! Nachdem er befriedigt war, stand er auf, ließ sich das restliche Wasser über den Kopf schütten, bis der wieder halbwegs auf seine Schultern passte, und trat auf den Balkon hinaus.