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Das Haus schlief noch, aber die Plantage war wach. Weit hinten, die Platanenallee hinunter, hörte er Hufgetrappel, das heisere Klirren der Pferdegeschirre, hier und da einen lustigen Peitschenknall, und über den Bäumen, hinter denen die große Brettersiedlung der Feldsklaven lag, stieg der dünne Rauch ihrer Feuerstellen auf. Bonneterre wandte sich mit zerzausten nassen Haaren zu der kleinen Sklavin um, die hinter ihrem nackten Herrn in der Tür stehen geblieben war, und sagte: »Darry! Geh runter in die Küche und sag Bescheid. Ich will heute hier oben frühstücken!«

Darioleta, die ihren ungewöhnlichen Namen einer in der Familie Bonneterre erblichen Vorliebe für den Ritterroman Amadis von Gallien verdankte, gehorchte stumm. Sie war als Kind einmal auf eine schwärmerische Art in ihren jungen Herrn verliebt gewesen; er war groß, schlank und kräftig, stets sehr elegant gekleidet und frisiert, sein kleiner Schnurrbart glänzend gewichst. Aber seit ihrem elften Geburtstag tat er ihr Dinge an, die dieses Gefühl ins Gegenteil verwandelt hatten. Ob auch die Verstümmelung Gandalods, eines jungen Feldarbeiters, der sie einmal geküsst hatte, Desmond Bonneterres Idee gewesen war oder doch die seiner Mutter, wusste sie nicht. Als Darioleta ihren Auftrag ausgeführt hatte, begab sie sich jedenfalls zum Abtritt der Haussklaven neben der Scheune, steckte einen Finger in den Hals und erbrach sich, bis ihr das Wasser aus Augen und Nase lief.

22.

»Sir?!« Der alte Arban war auf den Balkon getreten, als Bonneterre eben mit seinen langen Fingernägeln die Überreste des Frühstücks aus seinen Zähnen kratzte. »Ihre Mutter bittet Sie, so bald wie möglich in den grünen Salon zu kommen.«

»Dachte ich mir«, antwortete Bonneterre. »Sag ihr, ich bin unterwegs.« Dabei lehnte er sich noch einmal in seinem Korbsessel zurück und atmete tief durch. Sie würde besprechen wollen, wie man heute Abend am besten vorgehen könnte. Er wusste, dass man ihm Vorhaltungen machen würde, dass er nicht nur versagt, sondern auch den anderen jede Chance verbaut hatte. Über dreißig Sklaven waren in den letzten Wochen in Denham Parish – so wurden in Louisiana, und nur dort, die Countys oder Landkreise genannt – verschwunden, und den einzigen Zeugen, der vielleicht über ihren Verbleib Auskunft geben konnte, hatte er mundtot gemacht. Trotz allem musste er lachen, als er das dachte. Warum fielen ihm, in all seinen Schwierigkeiten, nur immer wieder derart lustige Formulierungen ein?

Den Zorn seiner Mutter musste er nicht mehr fürchten; den hatte sie ihn schon tags zuvor durch eine Ohrfeige mit dem Handrücken spüren lassen, und Marie-Therese Helisena Milisande Bonneterre war nicht die Frau, die ihren Unwillen tagelang hätschelte. Ihr würde es nur darum gehen, wie man weiteren Schaden vom Hause Bonneterre abwenden könnte. Uralter hugenottischer Adel, nach der Schlacht von La Rochelle in die Kolonien ausgewandert, auf einem eigenen Schiff wohlgemerkt! Weitläufige, wenn auch nie nachgewiesene Verwandtschaft mit der Familie Tascher de La Pagerie, und das hieß: Madame Bonneterre konnte Josephine Beauharnais zu ihren Vorfahren zählen und die Könige von Neapel, Holland, Bayern und last, not least den dritten Napoleon selbst als ihre Vettern bezeichnen. Das traf aber auf nahezu alle Kreolen von Louisiana zu, weswegen man es nie direkt erwähnte, sondern im Umgang mit den Amerikanern nur gelegentlich durchblicken ließ.

Sie war die einzige Frau und thronte an diesem Abend trotz des jämmerlichen Betragens ihres Sohnes wie eine Königin inmitten der Versammlung von Pflanzern und Großgrundbesitzern. Da sie noch immer eine exquisite Schönheit war, hätten die versammelten Gentlemen, die sich auch gern als die Ritter des Südens bezeichneten, sich niemals so weit vergessen, die edle Dame und ihren missratenen Prinzen offen zu tadeln. Sie beließen es dabei, Desmond Bonneterre, so gut es ging, zu schneiden, ein wenig den Kopf zu schütteln – und der junge Mann mit den glänzenden schwarzen Locken sah, durch den Rauch ungezählter Zigarren hindurch, dass es Ben Huggins und Owen Cheever deutlich schlechter gegangen war.

Cheever setzte sich so vorsichtig, als sei sein Gesäß ein höchst zerbrechliches, mit Quecksilber gefülltes Messinstrument, und verzog dennoch den Mund, als er sein eigenes Gewicht in den Knochen spürte. Huggins’ Gesicht zierte ein Veilchen, das ihm sein würdiger, aber als jähzornig bekannter Erzeuger am Abend zuvor verpasst hatte. Nur die beiden Willoughbys waren leer ausgegangen, zweifellos weil ihr alter Vater in einem gepolsterten Rollstuhl saß, in den ihn der Amerikanisch-Mexikanische Krieg befördert hatte.

Das Gespräch wogte lange hin und her, ehe General Willoughby seine versammelten Nachbarn zum Verstummen brachte, indem er mehrmals mit einer völlig überflüssigen Reitpeitsche über die eisernen Speichen seines Jammergefährts strich.

»Schluss jetzt«, sagte er leise. »Es hat sich nichts Neues ergeben, und wir werden auch nichts erfahren, solange wir alle nur raten.« Er wandte sich an einen hochgewachsenen, weißhaarigen Gentleman, der sich eben aus einer Karaffe mit Branntwein bediente. »Lem! Besteht die Chance, dass der alte Nathan überlebt?«

»Nein«, sagte der Angesprochene achselzuckend. »Ich bin Arzt, kein Zauberer! Und selbst wenn: Reden wird er nie wieder, und schreiben kann er nicht.«

»Gut«, erwiderte der General. »Dann sehe ich keinen Grund, sein Leiden unnötig zu verlängern.« Er gab seinem Sohn Michael einen Wink, und der ging wortlos hinaus, um die offenbar vorher abgesprochenen Instruktionen an einen der Sklavenaufseher weiterzugeben. »Also«, sagte wieder der alte Willoughby, als das erledigt war. »Wie kriegen wir diesen Moses?«

Die kleine, aber feine Gesellschaft zuckte kollektiv zusammen, als sie den verhassten Namen hörte. »Dieser Moses«, eine Art Prophet für die Schwarzen, hatte in den vergangenen Jahren überall im Süden immer wieder Sklaven entführt beziehungsweise zum Weglaufen überredet, ohne dass man bisher mehr von ihm wusste als seinen Namen.

»Achtunddreißig Nigger können doch nicht spurlos verschwinden!« , sagte erbost Thomas Enderby. »Sie müssen essen und irgendwie wegkommen, also sich bewegen.«

»Meine Jungs reiten sich seit einer Woche den Hintern wund«, erwiderte Henry Hunter, Chef der Louisiana-Miliz, Regiment Denham Parish, mit einer tief im Rachen nahezu gurgelnden Stimme. Der nun schon zum dritten oder vierten Mal zwischen den Zeilen geäußerte Vorwurf mangelnder Wachsamkeit ließ ihn kurzfristig sogar die Anwesenheit einer Dame wie Marie-Therese Bonneterre vergessen, deshalb fuhr er erst nach einem verlegenen Räuspern fort. »Entschuldigung, Madame, aber so ist das nun mal. Ich habe sechzig Mann auf allen Straßen, Tag und Nacht. Die beschweren sich schon, weil sie ihre eigenen Farmen nicht so lange liegen lassen können.«

»Vielleicht war der Kreis, den wir gezogen haben, von Anfang an zu klein«, sagte Madame Bonneterre und fügte bewusst derb hinzu: »Also erlösen wir die Ärsche unserer Jungs und schicken wir sie auf ihre Farmen zurück!« Dröhnendes Gelächter antwortete ihr, und erst als es verebbt war, fuhr sie mit mildem Lächeln fort: »Warten wir, Gentlemen. Vergessen wir diese achtunddreißig Nigger und bauen wir eine Falle für Moses, wenn er das nächste Mal zuschlägt.«

»Entschuldige, Mary«, schaltete sich wieder General Willoughby ein. »Aber achtunddreißig Nigger, das sind fünfzigtausend Dollar. Keiner von uns« – und hier lächelte er ironisch – »die Bonneterres einmal ausgenommen, kann es sich leisten, auf so viel Geld einfach zu verzichten.« Zustimmendes Gemurmel erhob sich. »Außerdem«, fügte Willoughby hinzu, »habe ich das Gefühl, dass sie noch nicht im Norden sind, sondern immer noch hier unten. An einem Ort, den wir nicht kennen. Die gottverfluchten Railroader4 werden es nicht wagen, einen solchen Haufen Nigger auf einen Schlag wegzubringen. Die werden sie tröpfchenweise raufschaffen – und das ist unsere Chance!«