»Aber wir können doch nicht den ganzen Mississippi überwachen«, grollte Hunter. »Wir brauchen mindestens einen Anhaltspunkt, eine Stelle, an der wir anfangen. Wir können nicht jeden einzelnen Nigger auf jedem verdammten Schiff überprüfen.«
»Müssen wir auch nicht«, beschwichtigte der General. »Vielleicht nicht. Ich habe schon letzte Woche nach New York telegrafiert und einen Mann hergebeten, der uns helfen kann.«
»Einen Yankee?!«, schnaubte Enderby entrüstet.
»Die Yankees, Tom«, entgegnete Willoughby, »haben bei all ihrer Charakterlosigkeit einen Vorzug, und das ist ihre Geldgier. Man kann sie für alles mieten.«
»Wofür um alles in der Welt willst du denn einen Yankee mieten, Pa?«, warf der junge Dick Willoughby vorwitzig ein. »Ist er ein Zauberer?« Das leise Gelächter, das daraufhin entstand, galt weniger dieser Äußerung als vielmehr der Tatsache, dass der junge Mann überhaupt etwas zu sagen gewagt hatte.
»Der Mann ist Detektiv«, sagte der General mit einem erbosten Seitenblick auf seinen Sohn. Jetzt eine Viertelstunde Beine, einen Gürtel, einen Holzschuppen haben! »Und zwar ein sehr guter, wie ich erfahren habe. Er wird unsere Nigger finden und die Leute hochnehmen, die ihnen helfen. Und Moses, Ladies and Gentlemen, wird endlich ein Gesicht bekommen!«
23.
Mete Kingi Paetahi, Häuptling der Te Ati Haunui a paparangi von Wanganui, kam in der prachtvollen Uniform eines britischen Seekapitäns: blinkende goldene Knöpfe und Schultertressen, die dem schmächtigen Mann bis weit auf die Oberarme hingen. Immerhin hielt er als Symbol seiner Führerschaft die Mere punamu, eine traditionelle neuseeländische Kriegskeule, in der Hand, die wie das Blatt eines Paddels geformt und verschwenderisch mit Schnitzereien verziert war.
Titokowaru mochte den klugen kleinen Mann nicht, dessen Väter und Onkel vor mehr als einem Vierteljahrhundert den verräterischen Vertrag von Waitangi unterzeichnet hatten und der auch selbst längst mehr Politiker als Krieger war. Dennoch begrüßte er ihn mit dem Hongi, wie es einem Häuptling zukam, legte also seine Stirn an die Stirn Mete Kingis, fühlte dessen mächtigen, walrossartigen Schnauzbart an seiner Oberlippe und sog mit geblähten Nasenflügeln den Geist und die Gedanken seines Gastes ein. Der fremde Häuptling roch nach Tabak und würde gegen den Krieg stimmen.
Die Oberhäupter der Ngati Mutunga, Te Atiawa und Taranaki würden dagegen wohl auf seiner Seite stehen, denn sie hatten als Küstenstämme an der nördlichen Taranaki-Bucht unmittelbar unter dem illegalen Vordringen der Pakeha zu leiden. Alles käme also auf die Stimme Tawhiaos an, den die Stämme des nördlichen Binnenlandes am Waikato, die Ngati Haua, Te Arawa und Te Maniapoto, ihren König nannten.
Seine Erscheinung hatte allerdings etwas Königliches: Im Gegensatz zu den übrigen Häuptlingen und auch Titokowaru selbst trug er keine europäische Kleidung, sondern das traditionelle Kaitaku, ein aus Tihore, der feinsten der drei verschiedenen Arten des neuseeländischen Agavenflachses gewobenes Staatskleid, das mit geometrischen Mustern in Rot und Schwarz verziert war. Von seinen Schultern hing der berühmte Umhang der alten Waikato-Häuptlinge, eine Art Mantel aus Vogelfedern, in dem angeblich sogar noch Federn des drei Jahrhunderte zuvor ausgestorbenen Riesenvogels Moa verarbeitet waren. In der rechten Hand hielt er die Taiaha, den mannshohen Kriegsspeer, seine Mere war beinahe sichelförmig gebogen, und die dunklen Flecken getrockneten Bluts auf dem Rand der Hartholzkeule zeigten, dass sie keineswegs immer ein symbolischer Gegenstand gewesen war.
Dunkelblaue Tätowierungen, genealogische Linien, Kreise, Punkte bedeckten mit Ausnahme der Wangenknochen sein gesamtes Gesicht, reichten bis in den kurz geschnittenen, dichten grauen Haarschopf hinein und vereinigten sich auf seiner Nasenwurzel, was dem Blick seiner schwarzen Augen etwas beinahe Hypnotisches verlieh. Zweimal hatte Titokowaru als Tawhiaos Verbündeter in den Waikato-Kriegen gekämpft, und das bloße Auftauchen des Königs bei dieser Beratung in Te Ngutu o te Manu machte den versammelten Häuptlingen den Ernst des Anliegens der Ngaruahine deutlich. Das Hongi der beiden Männer fiel deutlich respektvoller, aber auch herzlicher aus als die bisherigen Begrüßungen. Titokowaru spürte dabei jedoch auch die Vorbehalte des Königs gegen den von ihm geplanten Krieg.
Ein grundlegendes Problem war, dass der Prophet Te Ua Huamene im Jahr zuvor gestorben war und damit ein geistiger Führer fehlte, der den gemeinsamen Widerstand der Stämme weckte. Die von Te Ua begründete Religion des Pai Marire hatte sich inzwischen auf der gesamten Nordinsel ausgebreitet und war die große Triebfeder für die Kriege und Aufstände der letzten acht Jahre gewesen. Wie immer wollte die neue Religion nur das Beste: Pai, das Gute, und Marire, den Frieden. Aber Te Ua Huamene hatte eben auch einen religiös motivierten Anspruch der Maori auf ihr eigenes Land gepredigt, was seinen Prophezeiungen eine unverzichtbare politische und militärische Dimension verlieh. Leider hatte der alte Mann in einer seiner letzten Visionen dieses, das Jahr 1867/68, zum te tau tamahine, tenai terau o tera muti, dem Jahr der Töchter und des Lammes erklärt, was alle kriegerischen Aktivitäten ausschloss. Zwar waren seit seinem Tod einige kleinere Propheten aufgestanden, die die Botschaften des Pai Marire fortschrieben und veränderten, aber keiner von ihnen hatte die Autorität, dieses letzte Gebot des alten Te Ua umzustoßen.
Die Macht eines Maorihäuptlings gründete sich nicht auf seine politische Intelligenz oder militärische Stärke, nicht auf Erbfolge, Lehnswesen oder gar demokratische Wahlen, sondern einzig und allein auf sein persönliches Tapu, die geistige, seelische, transzendentale Kraft, die er ausstrahlte. Spürten die Krieger die unsichtbaren Schwingungen dieser Kraft, folgten sie dem Häuptling bis in den Tod; hatte er sein Tapu verloren, konnte keine Macht der Welt einen freien Maori zwingen, ihn weiterhin als Führer anzuerkennen. Titokowaru musste also Rücksichten auf Traditionen, Rituale, unausgesprochene Glaubenssätze und gesellschaftliche Übereinkünfte hinsichtlich der Beurteilung von Gut und Böse nehmen, die den Pakeha, ihren Königen und Gouverneuren, Generälen und einfachen Soldaten immer fremd blieben.
Umso schwerer war es für ihn, dem Landraub, den die Weißen mithilfe des 1865 gegründeten Native Land Court betrieben, tatenlos zuzusehen. Das Vorgehen der Pakeha war denkbar simpeclass="underline" Angeblich um die Eigentumsverhältnisse des den Maori im Vertrag von Waitangi zugesicherten Landes zu vereinfachen, wurde ohne Rücksicht auf die Rechte der Stämme je zehn Individuen ein Stück Land übereignet, das diese dann einzeln und ohne Zustimmung der Häuptlinge an die Weißen verkaufen konnten oder mussten. Angebliche Schulden, Manipulationen und Korruption durch Geld und Alkohol, aber auch die willkürliche Konfiszierung durch weiße Gerichtsvollzieher führten dazu, dass das Land der Ureinwohner immer weiter zusammenschmolz. Schon bald würden die Ngati Ruanui praktisch heimatlos sein. Dabei den Glauben an das Jahr der Töchter und des Lammes zu behalten fiel schwer.
Bis auf Mete Kingi, der sich am Wanganui River von jeher mit den Weißen arrangiert hatte und als ihr Kupapa, Verbündeter, galt, pflichteten alle Häuptlinge Titokowaru darin bei, dass dem Treiben der Pakeha Einhalt zu gebieten sei. Einige versprachen sogar, ihm Beistand zu leisten, und besiegelten dieses Bündnis auf traditionelle Art, indem sie eine ungekochte Eidechse verzehrten; was angesichts ihrer europäischen Kleidung, Tweedhosen, Karo-Westen und Bowler-Hüte, einen allerdings reichlich absurden Eindruck machte. Tawhiao spürte als Einziger, dass der Häuptling der Ngaruahine etwas vor ihnen verbarg, aber da Titokowaru sein Keuschheitsgelübde nicht öffentlich gemacht hatte, um sein Tapu nicht zu gefährden, konnte der König auch nicht wissen, wie seinem alten Kampfgefährten zu helfen war.