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Wieder einmal schien sich zu bestätigen, was sein Schwiegervater, der schottische Handelsagent James Stanley Bell, seiner Tochter Emilia prophezeit hatte, als sie zum ersten Mal davon sprach, die Werbung dieses unruhigen deutschen Abenteurers, der zudem fünf Jahre jünger war als sie, möglicherweise anzunehmen.

»Du wirst weder Dach noch Tisch, weder Bett noch Brot besitzen!« Beim zweiten Anlauf des unpassenden Freiers modifizierte Bell seine Einwände zu einem säuerlichen: »Mit dem wirst du keine ruhige Minute haben«, aber darauf hatte Emilia inzwischen eine passende Antwort parat: »Das will ich doch sehr hoffen, Pa!«

Drei Kinder, zwölf Jahre und siebzehntausend Kilometer lagen zwischen Emilia und dieser hochherzigen Entgegnung, als die Prognose ihres würdigen Erzeugers die kleine Familie wieder einmal einzuholen schien. Von Tempskys finanzielle Lage war zuletzt so verzweifelt, dass er über den Schatten seiner eigenen künstlerischen Einsicht sprang und für Geld malte, jedenfalls, nachdem niemand anderes als Emilia eine glänzende Idee gehabt hatte, wie sich seine mäßigen bis mittelmäßigen Gemälde auch tatsächlich an den Mann bringen ließen.

Neuseeland war kulturell unterentwickelt. Es gab weder einen Kunstmarkt noch Künstler, die ihn belieferten, oder Käufer, die ihn vermissten; sehr schlechte Voraussetzungen also, um von der Kunst zu leben. Die Siedler in den wenigen Städten, die Pioniere auf dem Land hatten noch mehr damit zu tun, stabile Häuser zu errichten, als zu überlegen, was man an ihre Wände hängen könnte. Ihre Kaufkraft war zudem genauso wenig ausgeprägt wie ihr Kunstverstand – aber eine Verlosung der Gemälde musste doch eigentlich die Spielernatur dieses robusten, einfachen Menschenschlags ansprechen, der seinem Glück letztlich um die ganze Welt nachgejagt war.

Wenn nur tausend Kolonisten bereit waren, je einen Dollar darauf zu setzen, eines der rund vier Dutzend Gemälde zu gewinnen, die von Tempsky zu diesem Zweck in rascher Folge anfertigte, war seine Familie wieder für ein Jahr in der kleinen Hütte auf der Coromandel Range geborgen. Die notwendige Berühmtheit hoffte er durch seine Kriegstaten erlangt zu haben, Ausstellungen in Auckland und Wellington würden auch die Bilder bekannt machen, und kein Geringerer als Gouverneur Grey war bereit, die Schirmherrschaft über eine solche Verlosung zu übernehmen. Das wiederum lag am Sujet seiner Gemälde.

Er hatte keine mythologischen Helden aufs Papier geworfen, nicht die großen historischen Gestalten Englands und ihre Taten, keine Heiligenlegenden, fleischigen Damen, mittelenglischen Parklandschaften, keine Rennpferde in gestrecktem Galopp, sondern Szenen aus den eben vergangenen Waikato-Kriegen. Daran war vieles idealisiert, vor allem der Heroismus, mit dem die weißen Soldaten die wild tätowierten, augenrollenden Maorikrieger abschlachteten, aber mit derlei »Vereinfachungen« konnte von Tempsky leben. Er wusste, was er seinem Publikum schuldig war.

Was ihn wirklich belastete, war die Tatsache, dass er in den Gemäldegalerien des alten Europa die Werke der wahren Meister gesehen hatte – und das zwangsläufig daraus resultierende Wissen, dass er dagegen immer nur ein Pinselquäler sein würde. Das änderten auch die freundlichen Kritiken nicht, die seine Bilder in der neuseeländischen Presse fanden. Der New Zealand Herald, die Weekly News, der Wellington Independent – er hatte die Ausschnitte noch bei sich und las sie gelegentlich, aber eher, um sich von ihnen belustigen als überzeugen zu lassen. Sorgfalt im Detail und kraftvolle, kühne Farbgebung wurden ihm attestiert, eine gelungene Anordnung der Figuren, ihr lebendiger Ausdruck, die vielen verschiedenen Haltungen, umrahmt vom wundervoll erfassten Blattwerk der neuseeländischen Fauna, lobend hervorgehoben.

All das konnte gerade ein intelligenter und darum zynischer Dilettant, der sich seiner technischen Unzulänglichkeiten wohl bewusst war, auch ironisch auffassen. Dazu kam die uneingestandene, aus den finsteren Tiefen eines preußischen Selbstverständnisses aufsteigende Überzeugung, dass Kunst und Literatur – selbst wenn ein Rembrandt oder Goethe sie betrieben – wie allen Tätigkeiten, die nicht wenigstens mittelbar der Nahrungsbeschaffung, der Aufzucht der Nachkommenschaft oder dem Dienst am Staatswesen galten, etwas Unseriöses anhaftete.

An diesem tiefsten Punkt seiner Depression angelangt, pflegte von Tempsky sich zu schütteln. Herrgott, es tat doch gut, wieder Soldat zu sein, Kämpfer, Krieger, und sich damit und dabei über alle bürgerlichen Tugenden zu erheben. Mit unverhohlenem Stolz notierte er in sein Tagebuch: »In neuen Ländern, noch unter dem Joch der Barbarei, gibt es keinen mächtigeren Zivilisator als den Krieg. Alle Hindernisse der Zivilisation verschwinden vor ihm.« Die Doppeldeutigkeit des letzten Satzes entging ihm, denn dass auch alle Errungenschaften der Zivilisation, all das bürgerliche Werkeltagsbemühen um Wirtschaft, Kultur und Religion vor dem Krieg verblassten, dachte er nicht einmal.

Er freute sich, dass es nun endlich wieder hinausging, und eine lächerliche Flaute, der fehlende Wind in seinen Segeln, würde ihn nicht lange aufhalten können.

29.

William Blampin hatte sein Glück kaum fassen können, als man ihn aus einer Gemeinschaftszelle des Schuldgefängnisses von Sydney herausholte. Er hatte auch keine Vorstellung davon, wer für ihn die exorbitante Summe von vier Pfund gezahlt hatte, denn er kannte keine einflussreichen Leute, und seine Freunde waren wie er: entlassene Sträflinge, Trinker, Spieler, Tagelöhner und vor allem – arm. Zwei schwarz gekleidete junge Männer hatten ihn zuallererst in ein Badehaus geführt, ihm dann etwas zu trinken spendiert und ein üppiges Mittagessen bezahlt, das ihm nur deshalb nicht recht schmeckte, weil sie dabei zusahen und die ganze Zeit über kaum ein Wort sprachen. Anschließend hatte man ihn in eine Postkutsche verfrachtet und fünfhundert Meilen weit und eine Woche lang nach Melbourne gefahren, was seine äußere Erscheinung erneut ziemlich ruinierte.

Wieder hatte man ihn abgeholt, wieder hatte er baden müssen – nun schon zum dritten Mal in diesem Jahr –, aber dann war er endlich dem großen Mann begegnet, Jacob Edward Harewood, der nach all den Jahren der Entbehrungen und Erniedrigungen offenbar seinen, William Blampins, Wert erkannt hatte und für sich einzusetzen hoffte. Blampin wünschte von ganzem Herzen, seinen Wohltäter nicht zu enttäuschen, und als er hörte, dass es um den alten Bobby Maguire ging, mit dem er zusammen auf dem Holzplatz gearbeitet hatte, glaubte er, dass alles ganz einfach gehen würde. Aber Maguire hatte ihn aus dem Haus geworfen; sein Auftraggeber, der General, wirkte enttäuscht und fragte sich anscheinend, ob seine vier Pfund und all das übrige Groß und Klein nicht eine Fehlinvestition waren.

In diesen dunklen Stunden hatte William Blampin den Plan ausgeheckt, wie man den alten Bobby doch noch drankriegen konnte. Er war kein Verbrecher, aber was blieb ihm angesichts der Hartnäckigkeit, mit der der Reeder an seiner Kandidatur festhielt, denn anderes übrig? Den General, diesen honorigen Mann, setzte er nur vage von seinen Plänen in Kenntnis, bat ihn lediglich um eine weitere Vorfinanzierung, »um die Sache zu einem erfolgreichen Ende zu bringen« – an dieser Formulierung hatte er lange gefeilt, und er war stolz auf sie. Er klang allmählich wie ein erfahrener alter Geschäftsmann, und der General hatte ihm das Geld tatsächlich gegeben, ohne zu wissen, was er dafür bekommen würde.

Ein Problem war die Durchführung. Blampin kannte sich in Melbourne nicht so gut aus wie in Sydney, kannte die richtigen Leute nicht und wandte sich prompt an die falschen; Polizeispitzel, die ihm jedoch, für eine gewisse Summe, die geeigneten Handlanger vermittelten.

Nell Fagan war die Anführerin einer erstaunlich großen Gruppe von Dieben und Schlägern, zu der neben ihrem jüngeren Bruder James noch ein gutes Dutzend anderer irgendwie Verwandter, Cousins, Cousinen und ein entfernter Onkel gehörten. Sie alle waren sehr jung, jünger als Nell, selbst der Onkel war noch nicht dreißig, und sie sicherte sich die Führung, indem sie die einen schlug, mit den anderen schlief und vor allem immer wieder erfolgreiche Beutezüge in die City organisierte. Die lukrativsten dieser Unternehmungen verdankte sie wiederum den Informationen der Victorian Police – und auf diese Weise lernte sie auch William Blampin und sein Anliegen kennen.