Dass die Insel auch ein hervorragendes Gefängnis war, wusste schon Sophokles und mussten die Ausgesetzten des 17. und 18. sowie die Aussätzigen des gepriesenen 19. Jahrhunderts bitter erfahren. Lemnos und Salas y Gomez, die Teufelsinsel in Französisch-Guayana und schließlich – düsterste von allen – Molokai, das Lepragefängnis im hawaiianischen Archipel, waren die Gegenbilder zum himmelblauen Tahiti und zu der Sonneninsel des Diodor.
Ganz neu war die Idee, Meuterer, Rebellen, Verbrecher und sonst wie gesellschaftlich missliebige Existenzen auf einsame Inseln zu verbannen, also nicht, als die neuseeländische Regierung in Wellington beschloss, die unruhigsten und gefährlichsten ihrer Maorigegner nach Chatham Island, fünfhundert Meilen südwestlich und abgelegen im endlosen Südpazifik, zu schicken. Man hatte das sogar schon einmal gemacht: In einer der seltsamsten Allianzen der Kolonialgeschichte hatten britische Schiffe im Jahr 1835 eine Armee von Maorikriegern auf die Chatham-Inseln gebracht, um sie zu unterwerfen und die Aggressivität des kriegerischen Volkes von den Pakeha abzulenken.
Die Moriori von Chatham hatten keine Chance gegen ihre mit Musketen und Keulen bewaffneten Vettern, denn im Gegensatz zu den Maori waren sie ein friedliches Volk. Auseinandersetzungen wurden, wenn sie nicht geschlichtet werden konnten, durch Zweikämpfe entschieden, und selbst diese Zweikämpfe wurden abgebrochen, sobald Blut floss. Blut floss nun in Strömen. Zwei Drittel der Ureinwohner wurden abgeschlachtet, der Rest mit rigideren Methoden versklavt, als die Weißen sie sich je ausgedacht hatten: Die überlebenden Frauen der Moriori durften nicht länger mit den Männern ihres Volkes schlafen, sondern mussten den neuen Herren zu Willen sein, und dreißig Jahre später gab es nur noch entsprechend wenige reinblütige Moriori.
Dreißig Jahre später brachten die Schiffe der Pakeha also erneut Maorikrieger nach Chatham, aber diesmal trugen sie keine Waffen, sondern Ketten, und ihre Frauen und Kinder teilten ihr Exil. Es waren Deportierte, Gefangene, die die Weißen in den Hauhau-Aufständen von 1865 gemacht hatten, oder einfach Männer, die sie für Hauhau hielten. Selten hatte eine Widerstandsbewegung die Kolonialherren so in Panik versetzt wie die Pai-Marire-Religion und ihre extremsten Anhänger, die Hauhau. Sie hielten sich für die neuen, von Gott auserwählten Kinder Israels, und Aotearoa war in ihren Augen das neue Kanaan. Die wildesten ihrer Propheten predigten den Hauhau, es sei die ihnen von Jehova gestellte Aufgabe, die Weißen zurück ins Meer zu werfen. Zumindest diese Forderung war für die Briten nichts wirklich Neues: Kanada, Afrika, Indien, irgendwer wollte sie ja immer zurück ins Meer werfen – das war nun einmal das Schicksal einer Kolonialmacht.
Was die Hauhau für eine zivilisierte Nation wie die englische so unangenehm machte, war nicht so sehr ihr Fanatismus, sondern die Art und Weise, in der sie ihn anwandten. Die von ihnen überfallenen Siedler, Missionare, Soldaten wurden nicht einfach nur getötet, sie wurden auch enthauptet, die Köpfe in Rauch getrocknet und als Grußbotschaften zwischen den einzelnen Stämmen kreuz und quer über die gesamte Nordinsel verschickt. Zwar geschah das relativ selten, aber die öffentliche Wirkung war enorm demoralisierend. Leute, die Derartiges taten, wollten die Briten weder als Nachbarn noch auch nur als Untertanen haben; den Hauhau ihr Land wegzunehmen war deshalb zu wenig. Diejenigen, die man nicht tötete, sollten dauerhaft aus Neuseeland entfernt werden.
Te Kooti Arikirangi Te Turuki war etwa Mitte dreißig, als er 1866 ohne Prozess oder auch nur eine offizielle Anklage als Rebell auf die Chatham-Inseln deportiert wurde. Bei der Belagerung von Waeranga-a-Hika, einem befestigten Lager der Hauhau in der Poverty Bay, hatte er sogar aufseiten der Weißen gestanden. Leider kämpfte aber sein Bruder Komene, ein Pai-Marire-Anhänger, auf der anderen. Diesen Umstand machten sich die lokalen Milizkommandeure Reginald Biggs und James Wilson zunutze, die schon lange ein Auge auf Te Kootis Land bei Matawhero geworfen hatten, ohne eine legale Möglichkeit zu finden, es zu kaufen oder zu konfiszieren.
Ein Denunziant, der sich unter den zerstrittenen Maori für wenig Geld auftreiben ließ, bezeichnete Te Kooti also kurzerhand als einen Spion der Hauhau, und ohne zu dieser Beschuldigung gehört zu werden, fand der große Maorikrieger sich eines Morgens von Konstablern umstellt, in Ketten gelegt und auf eines der berüchtigten Deportationsschiffe verfrachtet. Paratene Pototoi, ein ihm feindlich gesinnter Häuptling, drängte den gefesselten, noch immer völlig überraschten Te Kooti mit höhnischen Worten zum Strand: »Geh auf das Boot, mein Sohn, das Boot wartet auf dich!«
Er haderte nicht mit seinem Schicksal, auch nicht, als seine Heimat am Horizont in einem Dunst aus Nebel und tiefen Wolken versank und er viele Frauen und Kinder, sogar wilde, tätowierte Krieger bei diesem Anblick ihre Häupter verhüllen und weinen sah. Obwohl kein Häuptling, sondern einfaches Mitglied des Rongowhakaata-Stammes, wusste Te Kooti seit frühester Jugend, dass Gott ihn zu Großem bestimmt hatte und seine Schritte leiten würde. Er las die Bibel, wieder und wieder, vor allem das Alte Testament. Keiner der Propheten war ein Königs-oder Häuptlingssohn gewesen, sondern alle nur einfache Männer, die Gott nicht einmal immer gesucht hatten, sondern denen er sich ohne ihr Zutun irgendwann offenbart hatte, in Visionen, in Träumen, in Trance.
In seiner Jugend war Te Kooti ein wilder Bursche gewesen, der als Anführer einer kleinen Gruppe junger Männer den Besitz weißer Siedler geplündert hatte, die irgendwelcher Übergriffe auf Maori schuldig waren. Inzwischen war sein Blut kühler geworden. Seine Kämpfe waren jetzt Kämpfe des Geistes, Auseinandersetzungen mit den Propheten Moses, Ezechiel, Zerubbabel und Te Ua Huamene, den Erzengeln Michael und Gabriel, die Krieg und Frieden bedeuteten, dem tiefen Nachdenken über die Kinder Israels in der ägyptischen und babylonischen Gefangenschaft.
Sein Babylon, sein Ägypten wurde nun die Insel Wharekauri, größte der Chatham-Inseln, sein Pharao der Inselkommandant Captain William Edward Thomas und sein Aufseher der Hauptsergeant Michael Hartnett. Die Whakarau, wie die Gefangenen der verschiedenen Maoristämme sich selbst nannten, um in der Fremde ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, standen buchstäblich vor dem Nichts, als die Schiffe sie bei Waitangi an der Petre Bay an Land setzten. Es war eine sehr schlecht vorbereitete Deportation. Selbst die primitiven Hütten, in denen sie leben sollten, mussten die Gefangenen selbst errichten und zunächst einige Nächte am Strand schlafen.
Dort, unter dem fremden Himmel, hatte Te Kooti seine erste Vision, und sie machte ihn krank. Mehrere Wochen hindurch glaubte man, dass er sterben würde. Als er wider Erwarten gesund wurde, konnte jeder sehen, dass eine große Veränderung mit ihm vorgegangen war. Der zornige junge Mann war endgültig fort. Te Kooti war ein Prophet geworden. Er sah seine Rückkehr nach Aotearoa voraus, und die Whakarau glaubten ihm, wie Gefangene immer an ihre Befreiung glauben werden.
Das Gerücht, er sei ein Urenkel Te Toiroas, des Hundertjährigen, machte die Runde, und Te Kooti tat nichts, um diesem Gerücht entgegenzutreten. Te Toiroa, der große Seher, den alle noch kannten, der erst vor wenigen Jahren gestorben war, hatte einst in seiner Kindheit die Ankunft der Pakeha und ihres großen Seefahrerhäuptlings Tu-Te vorausgesagt – und nur drei Jahre später hatte die Endeavour unter dem Kommando von James Cook tatsächlich in der Poverty Bay Anker geworfen.
Te Kooti selbst war allerdings klar, dass es diese Verwandtschaft nicht gab, und sosehr er an seine eigenen Prophezeiungen glaubte, wusste er doch, dass das fünfhundert Meilen breite Meer sich nicht teilen würde, um ihn und die Whakarau zurück ins Gelobte Land zu bringen. Er brauchte Schiffe, zumindest Boote; und einen Navigator, der Aotearoa, das neue Kanaan, und den Strand von Whareongaonga in der furchtbaren Weite der See finden würde.