34.
»Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren«, sagte Doktor Willard nach einer Pause von so großer Kunstfertigkeit, dass niemand sie zu unterbrechen wagte. »Ich bemerke, dass die Vorstellung, was aus den Negern werden soll, Sie erschreckt, und das ist auch gut so. Der Gedanke an eine Flutkatastrophe ist gemeinhin das Einzige, was uns daran hindert, Dämme niederzureißen. Und es ist eine Flut, eine Flut von dreieinhalb Millionen Negern, die über dieses Land hereinbrechen wird, und wie bei einer Flut wird das Wasser nicht fragen, wohin es fließen darf. Separation rufen Sie?!«
Der Redner wirkte plötzlich gelangweilt, fast beleidigt. Das Wasser, das nicht fragt, wohin es fließen darf, wäre bereits ein gutes Schlusswort gewesen und hätte für diese Ansammlung stumpfsinniger Farmer und Krämer mehr als ausgereicht. Stattdessen musste er ein weiteres rhetorisches Versatzstück aus seinem nicht unbeträchtlichen Fundus anflechten. Er warf wahrhaftig Perlen vor die Säue und wünschte nur, er hätte für diese Dreckarbeit mehr Geld verlangt.
»Aber wie stellen Sie sich die Separation vor?! Wollen Sie Reservationen für die Neger einrichten und sie sich selbst überlassen? Sich selbst überlassene Neger tun gar nichts. Ich sage das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung. Ich sage es auch, weil in hundert Jahren Afrikaforschung auf diesem gesamten Kontinent, der fünf Mal so groß ist wie die Vereinigten Staaten von Amerika, noch kein einziges von Negern organisiertes Staatswesen gefunden werden konnte. Keine auch nur halbwegs zivilisierte Gesellschaft, sondern immer wieder nur einzelne Stämme, barbarisch, wild und grausam. Sie leben von der Jagd und von dem, was sie im Urwald finden. Höher entwickelte Stämme bauen vielleicht hier und da Feldfrüchte an, und wissen Sie, wer diese Felder bestellt? Sklaven! Männer, Frauen und Kinder, die sie von ihren Nachbarstämmen geraubt haben.«
Die Unruhe in den Reihen der Abolitionisten war in den letzten Minuten zunehmend aggressiver geworden, und hier und da wurde jetzt das Wort »Lüge!« hervorgestoßen, herausgepresst wie eine Verwünschung.
»Kann sein«, sagte Willard nachgiebig, scheinbar ermüdet. »Schließlich war ich noch nie in Afrika. Vielleicht ist es eine Lüge. Aber dann lügt …« Plötzlich hob er das Buch hoch, das er bisher in der Handgehalten und von dem die Anwesenden mehrheitlich geglaubt hatten, es sei eine Bibel. »… Mr. David Livingstone!«
Der Name des großen Missionars und Afrikaforschers verdammte die Sklavereigegner erneut zum Schweigen, und Willard fuhr mit einer fast wegwerfenden Handbewegung und deutlichem Hohn fort. »Also lassen wir das mit der Reservation! Vergessen wir den Negerkral neben dem Indianerwigwam! Lassen wir die Neger mitten unter uns leben, dann behalten sie wenigstens ihre Hosen an! Separieren wir sie, in extra für sie eingerichteten Vierteln, planen wir in jeder Stadt ein Negergetto mit ein! Was würde geschehen?
Lernfähige und begabte Individuen – und die gibt es gelegentlich – würden alles versuchen, um aus diesen Gettos herauszukommen. Aber die stumpfe Masse, also der Großteil der dreieinhalb Millionen Neger, würde, da können Sie sicher sein, dasitzen und auf Almosen warten und immer neue Generationen von Almosenempfängern hervorbringen. Sie wären ein günstigenfalls nutzloser Auswuchs am Leib unserer Nation, schlimmstenfalls aber ein ständig wachsendes Heer unzufriedener, unbeschäftigter Kreaturen, die über die Mauern ihrer Gettos mit neidischen, lüsternen Blicken auf unseren Wohlstand schielen und deshalb ständiger Überwachung bedürfen. Nein, meine Damen und Herren, die Sklaverei mag ein Übel sein, aber sie ist das kleinere Übel – für Sie, für mich und nicht zuletzt für die Neger selbst!«
Willard nahm wieder Platz und schaute seelenruhig Richtung Podium, während hinter ihm vorwiegend religiös motivierte Tumulte ausbrachen, gegen die Mrs. Sheperds schüchterne Rufe zur Ordnung völlig wirkungslos blieben. Noch immer waren die Gerechten zu gerecht, um vor Wut zu brüllen, aber es erhob sich ein Stimmengewirr, aus dem nun gelegentlich lautere Äußerungen hervorklangen.
»Der Mensch soll keinen Menschen besitzen!«
»Sklaverei ist Gotteslästerung!«
»In der Bibel steht …«
»In der Bibel steht«, donnerte Willard plötzlich mit einer Lautstärke, die in so erschreckendem Gegensatz zu seinem bisher ruhigen Tonfall stand, dass seine Gegner schon vor Verblüffung verstummten. Es war, als wollte ein väterlicher, umgänglicher Sergeant seinen Rekruten einmal kurz zeigen, dass er auch anders kann. »In der Bibel steht, dass die Knechtschaft der Kinder Israels eine von Gott verhängte Strafe war.«
»Aber Gott hat die Israeliten aus Ägypten geführt«, ertönte eifrig der berechtigte Einwand, den Willard mit dieser Äußerung provozieren wollte.
»Ja, Gott«, lautete seine prompte Antwort. »Aber nicht Sie, Sir! Sollte also in Baton Rouge eine Feuersäule erscheinen, sollte der Mississippi sich teilen, bin ich der Erste, der seine Sklaven ziehen lässt.«
Die Ungeheuerlichkeit dieser Lästerung war für die einfachen Quäker und Puritaner so groß, dass einige Zuhörer sich bekreuzigten und eilig den Saal verließen, um nicht von dem längst überfälligen Blitz mitsamt dem zungenfertigen Sünder von der Erde vertilgt zu werden. Tatsächlich war Lemuel Willard gerade in Kansas und Nebraska mit diesem letzten Satz schon einige Male hereingefallen. Es hatte Beulen und Schrammen gesetzt, die der begnadete Redner seinen Auftraggebern extra in Rechnung stellte. Diese Bauern, diese Beter mit ihren läuseschlichten Matratzen im Gesicht liefen stattdessen davon wie die Hasen, und er würdigte sie keines Blickes mehr.
Gabriel Beale hatte im Tumult des fluchtartigen Aufbruchs den alten Mann aus den Augen verloren, wusste aber aus Erfahrung, dass eine sofortige Beschattung ohnehin schwierig gewesen wäre. Bevor man sich dem Gegner näherte, war es wichtig, Informationen über ihn zu sammeln. Während sich nun auch die Gruppe der Südstaatler erhob und geschlossen zum Ausgang strebte, bewegte er sich deshalb lieber in Richtung Podium und Vorstand der Literarischen Gesellschaft von St. Louis.
Die reichlich aufgelöste zweite Vorsitzende umklammerte noch immer ihre Glocke, an der sie sich in der letzten Stunde fest gehalten hatte, als hinge sie über einem Abgrund. Die Prendergasts kondolierten Mrs. Sheperd zum kulturell so gründlich misslungenen Abend und wandten sich dann dem in Vergessenheit geratenen Magister Chambers zu, der schüchtern im Hintergrund stand und über allerhand Retardierendes nachdachte. Miss Pringle begann mit fahrigen Händen und der freiwilligen Unterstützung einiger ihrer Schülerinnen, die hier und da umgeworfenen Stühle zusammenzutragen.
Mrs. Sheperd wirkte ein wenig allein gelassen, der Kapitän auf dem geborstenen Schiff, als der bullige kleine Mann, den Hut in der Hand, sich ihr höflich näherte. Es richtete sie ein wenig wieder auf und schmeichelte ihrer Menschenkenntnis, dass er sich als Zeitungsreporter vorstellte, der alles Wissenswerte über die ihr bekannten Zuhörer in Erfahrung zu bringen wünschte.
35.
Dorothy Simpson versuchte, im Tumult einen Blick von John Gowers zu erhaschen, aber ihre Eltern trieben sie und ihre Schwestern vor sich her zum Ausgang. In der Hoffnung, dass er bald kommen würde, gab sie vor, einen Knoten in ihren Schnürsenkel geschlagen zu haben, und blieb mit der Begründung, diesen jammervollen Zustand zu korrigieren, so weit wie möglich hinter ihrer heimwärts ziehenden Herde zurück. Schließlich sah sie, dass der junge Mann die Bibliothek verließ und sich tatsächlich suchend umblickte.