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Hochbeglückt – denn wem oder was konnte sein Suchen gelten? – ging Dorothy ein paar Schritte zurück, obwohl ihre Familie bereits hinter dem nächsten Block verschwunden war. John lächelte, als sie ins Licht trat. Es war das freche Lächeln, das ihr immer so seltsam in alle Glieder fuhr. Ehe sie irgendetwas sagen konnte, hatte er sie in den Schatten der Bäume gezogen, lag sie in seinen Armen, war seine Zunge in ihrem Mund. So schnell er sie gepackt hatte, musste er sie aber auch schon wieder loslassen, denn jemand räusperte sich in ihrer unmittelbaren Nähe.

Dorothy stieß ihn so heftig von sich, als sei etwas zwischen ihren Körpern explodiert, und konnte nur deshalb nicht weglaufen, weil ihre Knie zitterten und sie nicht lange getragen hätten. Nun war alles aus, der Skandal perfekt, und sie wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen. Vor Scham, vor Angst – und weil sie noch immer seine Lippen auf ihren spürte und sich für den Bruchteil einer Sekunde sogar gewünscht hatte, heute Abend einfach mit ihm zu gehen. Dann sah sie, dass es der alte Mr. Lafflin war, der sie gestört hatte.

»Guten Abend, Dorothy«, sagte er und nahm seinen Hut ab, als hätte er nichts bemerkt und sie lediglich beim Betrachten des Sternenhimmels ertappt. Sie kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn mit heftigen, raschen Schritten war plötzlich ihr Vater hinter ihr aufgetaucht.

»Dotty! Wo bleibst du, zum Teufel !«, stieß er wütend hervor und zermalmte damit den letzten Rest ihrer romantischen Courage.

»Hallo, Clay«, sagte wiederum Mr. Lafflin, und der Anwalt, der bereits den ihm unbekannten jungen Mann mit den vielsagenden Blicken eines Vaters dreier Töchter zu durchbohren begonnen hatte, erwiderte verwirrt: »Oh! Hallo, John. Ich hatte dich gar nicht gesehen!«

»Entschuldige, dass ich deine Tochter aufgehalten habe«, sagte der alte Mann und lüftete erneut seinen Hut. »Einen guten Abend, Dorothy. Und Grüße an deine Mutter!«

Die beiden Männer sahen der schwankenden jungen Dame und ihrem verwirrten Erzeuger hinterher, bis sie um die nächste Ecke bogen. Dann sagte John Gowers ruhig: »Vielen Dank, Sir!«

»Keine Ursache«, entgegnete der alte Mann verschmitzt. »Meine Augen sind leider nicht mehr so gut, wie ich es gern hätte. Deshalb würde ich auch gerne mit Ihnen reden.«

»Sir?« John runzelte die Stirn.

»Sie sind John Gowers, der Engländer, nicht wahr? Haben neulich die Eclipse von New Orleans heraufgebracht.«

»Jawohl, Sir.«

»Sie haben mich eine Stange Geld gekostet, junger Mann. Ich hatte nämlich auf die Shotwell und den alten Sellers gesetzt.«

»Tut mir aufrichtig leid, Sir«, sagte John mit seinem unaufrichtigsten Lächeln.

»Sagen Sie, Mr. Gowers …« Der alte Mann deutete mit einer nachlässigen Handbewegung auf den Eingang der Bibliothek, aus dem gerade die Südstaatler hervorstolzierten, als hätten sie eine Schlacht gewonnen. »Wie stehen Sie zu diesen Dingen?«

»Einen Moment, Sir«, erwiderte John, setzte seine Lotsenmütze ab und ging auf den siegreichen Rhetor zu. Sofort schlossen sich die Söhne des Südens zu einer zwanglosen Mauer vor ihrem Cicero zusammen. Der aber erkannte nach kurzem Überlegen nicht Catilina, sondern den jungen Mann, der eben mit einem einzigen Wort den Unwillen der Abolitionisten auf sich gezogen hatte, und winkte seinen Genossen, ihn vorzulassen.

»Entschuldigen Sie, Mr. Willard«, begann der potenzielle neue Mitstreiter ohne Zögern und Schüchternheit. »Haben Sie alles ernst gemeint, was Sie da drin gesagt haben?«

»Ich pflege immer ernst zu meinen, was ich sage, junger Freund«, entgegnete Willard und versuchte blitzschnell, sein Gegenüber einzuschätzen. »Auch wenn ich mich dadurch unbeliebt mache.« Hatte der junge Mensch nicht ein bemerkenswertes Gespür für ironische Äußerungen gezeigt? »Die Leute lieben einen nun mal nicht, wenn man ihnen ein Geschwür vom Hintern schneidet. Erst später sind sie einem irgendwann dankbar!«

Bonneterre, Cheever und Huggins lachten über den rauen Scherz, und John lachte leise mit. »Sie sagen Geschwür, und Sie meinen Idealismus, nicht wahr?«

»Ich sehe, wir verstehen uns«, meinte Willard leutselig und gab aus dem Stegreif eine weitere Probe seiner austrainierten Beredsamkeit. »Idealismus ist eine schöne Sache, vor allem, wenn man von seinen Folgen nicht betroffen ist. Dann schmeckt er süß und zergeht auf der Zunge. Aber ich sage Ihnen, dass diese vorübergehende Süßigkeit langfristig nicht nur mich, nicht nur den Süden, sondern unser gesamtes Land vergiften wird. Der Bruder wird gegen den Bruder, der Sohn gegen den Vater aufstehen, ein Riss wird durch das große Haus unserer Nation gehen. Und wofür?

Ich habe nichts gegen die Neger, solange sie gut arbeiten. Ich peitsche sie nicht, ich quäle sie nicht, im Gegenteil. Meine Neger leben in sauberen, trockenen Hütten, ohne je Steuern zu zahlen, ohne die geringste Verantwortung zu tragen. Ich kleide sie anständig, ich gebe ihnen reichlich zu essen, und wenn sie krank sind, behandle ich sie persönlich, nicht besser und nicht schlechter als meine weißen Patienten – aber natürlich kostenlos! Ist es da wirklich zu viel verlangt, wenn sie für mich arbeiten?«

Scheinbar inbrünstig hob er die Hände und streckte sie dem jungen Mann entgegen. »Mit diesen Händen habe ich in unserem Bezirk mehr schwarzen Kindern auf die Welt geholfen, als wir heute Abend Menschen gesehen haben, Mr. …«

»Gowers«, sagte John trocken. »Und Sie täuschen sich, Sir. Sie verstehen mich nicht. Aber ich verstehe Sie!« Er drehte dem in seiner großartigen Pose erstarrten Redner den Rücken zu und schlenderte aufreizend langsam zurück in den Schatten des kleinen Parks.

Die jungen Ritter des Südens, die zwar nicht ganz verstanden hatten, was hier vorgegangen war, aber immerhin begriffen, dass man ihren Vorfechter brüskiert hatte, packten ihre eleganten Spazierstöcke fester und gingen ihm einige Schritte hinterher. Eher irritiert als ängstlich blieben sie jedoch stehen, als sie sahen, dass der junge Mann, der ihnen noch immer den Rücken zudrehte, plötzlich ein offenes Messer in der Hand hielt und anscheinend nur auf einen Angriff wartete, um es zu gebrauchen.

»Wie war noch Ihre Frage, Sir?«, sagte John, als er wieder bei dem alten Herrn angekommen war, der die Szene mit wachsender Verwunderung beobachtet hatte und nun völlig sicher war, die richtige Wahl getroffen zu haben.

»Können Sie ein Dampfschiff von New Orleans so heraufbringen, dass es möglichst wenig gesehen wird?«, fragte John Lafflin.

36.

Nell hatte den schweren ledernen Vorhang kaum wieder vor dem Eingang der Höhle heruntergelassen, als diejenigen ihrer Bande erwachten, die nicht zu betrunken dazu waren.

»Wie war’s?«, fragte Jamie, ihr neunzehnjähriger Bruder. »Wie viel hat er heute ausgespuckt?«

Ohne ihn zu beachten, ging sie in den hintersten Winkel der Höhle, die einmal ein Keller gewesen war, und trat gegen ein schmutziges Bündel, das dort auf der Erde lag. Aus dem Bündel tauchten zwei durch unruhigen Schlaf und anhaltendes Weinen verquollene Gesichter auf.

»Du«, sagte Nell zu Mairie Maguire, »sing was für mich!«

Als das Mädchen nicht gleich gehorchte oder auch nur verstand, riss sie den Kindern die Decke weg und schleuderte sie quer durch den Raum,wo sie einen weiteren Schläfer weckte. Sie trat nach Mairie und registrierte dabei belustigt, wie der kleine Junge einen Hemdzipfel über seine Blöße zog, die er dann mit beiden Händen bedeckte.