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All das sagte er nicht wie ein Hexenmeister, sondern mit ruhiger, vernünftiger Stimme, die das Bedürfnis auslöste, dem Gesagten rasch zuzustimmen. Nur als er zu den Zeichen kam, wurde es unheimlich; wie er Ngarara gesehen hatte, die Eidechse, und die Flamme, die sich nicht verzehrt. Dabei hob er langsam beide Hände in die Höhe, und ein einziger lauter Ruf des Erschreckens entfuhr der Menge, als er sie plötzlich aneinanderrieb und dann über ihren Köpfen ausstreckte wie Fackeln – denn Te Kootis Hände standen in Flammen, deutlich sah man das Flackern um seine Finger, ohne dass sie verbrannten. Ebenso plötzlich ballte er die Hände und löschte dadurch das Feuer, als hätte er es mit den Fäusten eingefangen.

Ringatu – die erhobene Hand – war der Höhepunkt des Rituals und zugleich sein Ende. Te Kooti verwandelte sich wieder in einen freundlichen, wenn auch etwas erschöpften Menschen, der zwischen den anderen umherging und leise mit ihnen redete. Aber selbst der alte Mann war in diesem Moment vollständig davon überzeugt, einen Boten Gottes vor sich und Gottes Befehle gehört zu haben. Zu seinem Schrecken blieb der Prophet in diesem Moment direkt vor ihm stehen und sah ihm für einige Sekunden in die Augen. Dann nickte er freundlich, bedeutete aber den deutlich weniger freundlichen Whakarau neben ihm, offenbar seinen Leibwächtern, den alten Mann in seine Hütte zu bringen. Dort musterte er ihn eindringlich mehrere Minuten lang und berührte sogar die Tätowierungen in seinem Gesicht.

»Sterne und Strömungen, die Wolken und den Wind kenne ich«, murmelte der Prophet. Dann bot er dem Navigator zu trinken an, und sie tranken und redeten von der Ungerechtigkeit der Pakeha, dem Kampf der Maori, dem Zorn Gottes und der neuen Religion des Friedens, die all das beseitigen würde und deren Prophet er war. Zuletzt erinnerte Te Kooti den alten Mann daran, dass sie Brüder seien, lange getrennt durch das Meer, aber beide die Kinder Kupes, des großen Seefahrers.

Ob er ein Boot über die See steuern könne, zu einem bestimmten Punkt im Norden Aotearoas, eine Flotte von Booten vielleicht, wie in den Tagen der Landnahme? Angst müsse er nicht haben, die Whakarau würden ihre Wächter überwältigen, Gott sei auf ihrer Seite. Wenn er sie treu und recht führe, könne er unter ihnen leben, als ihr hochverehrter Bruder und Vater, würde wieder eine Frau bekommen und Kinder zeugen. Nur bei Verrat drohe ihm ein schrecklicher Tod in dieser und allen folgenden Welten.

Der alte Mann nickte zu diesen Fragen und Forderungen und versuchte, ein gleichmütiges, ehrliches Gesicht zu machen. Aber Angst und tiefes Misstrauen hämmerten zwischen seinen Schläfen, denn er hatte den Phosphor an den Händen des Propheten gerochen und wusste, dass alles ein Schwindel und der freundliche Mann vor ihm ein äußerst gefährlicher Mensch war, der tief in sein Herz gesehen hatte.

47.

Der Reeder hatte sich nicht die Zeit genommen, sich richtig anzuziehen. Ohne Kragen und Krawatte, Hemdbrust oder sonst ein Zeichen seiner bürgerlichen Existenz war er dem Boten gefolgt, der ihn zu einer Polizeistation im Norden beordert hatte, um eine Identifizierung vorzunehmen. Zwischen atemberaubenden Hoffnungen und den schlimmsten Befürchtungen fast verzweifelnd, hatte er dem Droschkenkutscher das Trinkgeld seines Lebens gegeben, und nun flogen sie so dahin, wie man auf Melbournes überwiegend noch ungepflasterten Straßen nur dahinfliegen konnte.

Nach weniger als einer halben Stunde stürmte er in das Polizeirevier und sah zu seiner Enttäuschung oder zu seinem Entzücken – er war sich nicht sicher –, dass es nur der Detektiv war, den er identifizieren sollte. John Gowers trug einen blutigen Verband um die Stirn, Resultat eines Fluchtversuchs, der mithilfe eines Gewehrkolbens vereitelt worden war, und hatte die Nacht in der Zelle gleich neben der von Nell Fagan und ihrer Bande verbringen müssen. Es war infolgedessen keine sehr ruhige Nacht gewesen.

Es dauerte eine Weile, bis Robert Maguire ihn ausgelöst hatte, denn zur nachhaltigen Verwirrung des Reeders hielt man Gowers offenbar für einen Mittäter oder -wisser bei der Entführung seiner Kinder, und seine Entlassung erfolgte nur unter dem Vorbehalt, sich jederzeit zur Verfügung von Polizei und Justiz zu halten. Einmal draußen, versuchte der Investigator auch gleich, seinen Auftraggeber wieder nach Hause zu schicken, aber der ließ sich natürlich nicht abweisen, als Gowers seine entscheidende Frage: »Wissen Sie, wo die Kinder sind?«, mit einem zögernden Kopfnicken bejaht hatte.

Wieder eine Droschke, wieder ein exorbitantes Trinkgeld, aber in die Wildnis, in die sie nun mussten, konnten Wagen aller Art nur sehr begrenzt eindringen. Die letzten Kilometer gingen sie deshalb zu Fuß, obwohl Gowers den Reeder noch einmal inständig bat, bei der Droschke zu warten. Aber Robert Maguire war nicht der Mann, der sich von der riesigen, jetzt in trügerischem Sonnenschein liegenden Trümmerlandschaft abschrecken ließ. Er wunderte sich nur, dass der Detektiv, der in der vergangenen Nacht einiges abbekommen haben musste, dennoch so schnell auf den Beinen war und ein erstaunliches Tempo vorlegte. Nur sagen, wohin sie eigentlich unterwegs waren, wollte er bis zuletzt nicht.

Vor der großen, rauchgeschwärzten Ruine des Speichers angekommen, bestand Gowers kategorisch darauf, allein weiterzugehen, und verpflichtete sich lediglich, dem Reeder in weniger als fünf Minuten Bescheid zu geben. Im Innern des Gemäuers schien zunächst alles unverändert, und er glaubte schon, dass seine Befürchtungen ihn getrogen hatten und alles gut gehen würde. Dann sah er jedoch, dass die Balken vor dem Eingang zu Polls Keller beiseitegestoßen worden waren, und dann – Poll selbst, die zusammengesunken an der Wand lehnte.

»Poll«, rief er leise. Keine Antwort. Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken und fühlte an der Restwärme ihres Körpers, dass sie sehr langsam gestorben sein musste und noch nicht lange tot war. Er ging um die Mauer herum, und dort, zwischen Schutt und der Asche eines riesigen alten Lagerfeuers, fand er die weiß geblutete Leiche des kleinen Jonathan.

Gowers zitterte, als er sich auf den Weg in den Keller machte. Fast um sich zu beruhigen, untersuchte er vorher noch einmal Polls Leiche und sah, dass das Messer, das sie getötet hatte, noch in ihrer Leber steckte. Die Art, in der ihre verkrampften Finger die Klinge umklammerten, sagte ihm, dass sie es nicht hatte herausziehen, sondern im Gegenteil hatte festhalten wollen; und das war Poll Hunleys letzte Botschaft an ihn, den Yankee. Wahrscheinlich hatte sie etwas gehört, nachdem der Junge aus dem Keller gekrochen war, war ihm gefolgt und ihrem Mörder direkt in die Arme gelaufen.

Was war mit dem Mädchen? Gowers ballte die Hände zu Fäusten, als er sich jetzt die enge Treppe hinunterzwang, und schauderte, als ein wildes Pfeifen und das Trippeln vieler kleiner Füße ihm verrieten, dass er ein Festmahl störte. Mairie Maguire lag auf dem Bauch, den schmutzigen Rock hochgeschlagen, und das Blut zwischen ihren Beinen deutete darauf hin, dass man sie erst vergewaltigt und dann getötet hatte. Die Ratten waren danach gekommen. Unter ihren Fingernägeln fand er Blut und Fetzen von Haut, die nicht ihre war; sie musste sich bis zuletzt gewehrt haben.

Er schlug eben ihren Rock zurück und sah an den tiefen schwarzen Würgemalen an ihrem Hals, dass sie erdrosselt worden war, als draußen ein entsetzlicher, jämmerlicher Schrei erklang: »Jonathan! O mein Gott! Mein Gott!«

Gowers zerrte hastig den völlig intakten Drahtkäfig über die Leiche des Mädchens und stürzte nach oben. Maguire hielt seinen toten Jungen in den Armen, als er den Detektiv scheinbar aus einem Loch im Boden heraufsteigen sah. Sofort rannte er auf die Öffnung zu.

»Mairie?«, rief er, als er von Gowers’ Gesicht das Ergebnis seiner Ermittlungen ablas. »Mairie!« Immer lauter. »Mairie!« Bis er nicht mehr Herr seiner Stimme war.