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Gandalod drohte wahrhaftig damit, sich – und alle Männer, die mit ihm gehen würden – von der Gruppe zu trennen und in den Sümpfen eine Räuberbande zu gründen, eine Armee freier Mörder, als deren General er sich bereits sah. Er war zweifellos halb wahnsinnig und beruhigte sich erst, als Deborah ihm sehr verständnisvoll klarmachte, dass das eine das andere ja nicht ausschließen müsse; zuerst würde man die Frauen und Kinder in Sicherheit bringen, dann könne man immer noch über einen Krieg der Sklaven gegen ihre Herren nachdenken.

Von da an war Gandalod einer der Eifrigsten in dem Bestreben, die Flüchtlinge ungesehen nach Barataria zu bringen. Deborah erfuhr später von den Frauen, dass man den jungen Mann kastriert hatte – auf Befehl seiner Herrin und vor den Augen des Mädchens, in das er verliebt gewesen war. Das erklärte zumindest seinen wahnsinnigen Rachewunsch.

Der Weg durch die Sümpfe, immer bei Nacht, bis zu den Ufern des Lake Salvador, war lebensgefährlich gewesen. Eine der Frauen war von einem Alligator angefallen worden, als sie sich von den anderen entfernt hatte, um Beeren zu suchen, und die anschließende Panik hatte die Gruppe beinahe völlig zerstreut. Es dauerte einen ganzen Tag, um sie wieder zusammenzubringen und zum Weitergehen zu überreden. Gandalod, der den Alligator mit nichts als einem Knüppel angegriffen und vertrieben hatte, schwankte unter der Last der schwer verwundeten Frau, und Deborah hatte fast siebzig Stunden lang nicht geschlafen, als sie Barataria endlich erreichten. Hier, im tiefsten Süden, wo man sie am wenigsten suchen würde, trieben sie Pfähle in den weichen Boden, bauten kleine Plattformen und errichteten primitive Hütten darauf, um zumindest vor Raubtieren geschützt zu sein.

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln war ein Problem. Die Männer schnitzten sich Speere und jagten ohne großen Erfolg die wilden Schweine, die Frauen angelten und sammelten unbekannte Beeren und Kräuter, an denen sich die ganze Gruppe beinahe vergiftete. Alle litten unter Durchfall und aßen schließlich das Moos, die Flechten und sogar die Rinde der Bäume, um überhaupt etwas im Magen zu haben. Die verletzte Frau starb, und Deborah gab auch den anderen nur noch zwei, höchstens drei Wochen. Dreimal machte sie sich auf den langen, gefährlichen Weg nach New Orleans. Einmal, um dem alten Mann zu telegrafieren, zweimal, um Nahrungsmittel zu stehlen; zwei Säcke mit Futtermais, die sie ganz allein und auf den Schultern zwanzig Meilen weit durch die Sümpfe trug. Ein Boot zu stehlen wäre zu gefährlich gewesen.

Die Aufsässigkeit der jungen Männer nahm wieder zu, und eine offene Meuterei konnte nur verhindert werden, indem einige der Frauen und jungen Mädchen mit den Männern schliefen, um sie zu weiterem Ausharren zu bewegen. Das konnte natürlich nicht alle beruhigen, und als Deborah verkündete, dass das Schiff jetzt täglich eintreffen müsse und sie noch einmal nach New Orleans gehen werde, um den Kapitän am vereinbarten Treffpunkt aufzusuchen, bestand Gandalod gegen alle Vernunft darauf, sie zu begleiten.

55.

Gowers hatte zu viel erlebt, zu viele Tote – schuldige und unschuldige – gesehen, als dass die Tragödie, in der mitzuwirken er das Pech gehabt hatte, ihm den tiefen, traumlosen Schlaf geraubt hätte, der Teil seines bitteren Erbes war.

Und es sei Summe allen Menschenwissens

Die Nichtigkeit der sterblichen Natur;

Vererbst du dieses Wissen deinen Kindern,

Dann bleibt denselben manches Leid erspart.

George Gordon Noel, sechster Baron von Byron und der vielleicht hochmütigste Geist seiner Epoche, hatte das gewusst. Robert und Elizabeth Maguire naturgemäß nicht. Und der schuldlose Tod ihrer Kinder, das so furchtbar willkürliche Verstummen ihres klaren blauen Lachens hatte beide die eine gute Gabe gekostet, die der verhängnisvolle Apfel dem schwachen Lehm verliehen hatte: ihre Vernunft – oder jedenfalls das, was Gowers dafür hielt.

Er selbst konnte sich nichts mehr vorstellen, was ihn so vernichten würde, dass er das Leben freiwillig aufgäbe. Wie weit ihn das zum Vieh oder zum Menschen machte, wusste er nicht und dachte auch nicht mehr darüber nach, seit er die winzige Mississippi-Insel verlassen hatte, auf der seine Frau gestorben war.

Vater! Eva! Adah! Kommt hierher. Der Tod ist in der Welt!, sagt Abels Witwe Zillah in Byrons Stück.

»Nein«, antwortete John Gowers, als er an einem der ersten trüben Abende nach dem Ende seiner Ermittlung in dem unscheinbaren Oktavband auf diese ungeheure Klage stieß. »Der Tod ist die Welt.«

Als er erfuhr, dass die schöne Elizabeth Maguire sich die Pulsadern geöffnet hatte, empfand er Trauer, Mitgefühl und ehrlichen Schmerz – aber keine Schuld. Als Robert Maguire bei einer von ihm eingeforderten Gegenüberstellung mit der Haupttäterin plötzlich aufsprang und das böse, triumphierende Lachen aus Nell Fagans jungen Augen schnitt, konnte Gowers den Mann verstehen und entschuldigen. Schuld – das Wort tauchte merkwürdig oft in seinen Gedanken auf, sprang ihm entgegen aus Byrons Buch, und dann wusste er es.

Es gibt keine Schuld ohne Wissen.

Das war das eigentliche Mysterium um Cain und hinter dem ganzen Brimborium vom Baum der Erkenntnis. Wissentlich das Falsche zu tun heißt: sich schuldig machen. Alles andere geschieht nur, weil man ein Teil der Welt ist.

Er hatte das Falsche getan, hinterher war das leicht erkennbar. Aber er hatte – und das war der Punkt, der ihm am meisten zu schaffen machte – in der ehrlichen Überzeugung gehandelt, das Richtige zu tun. Von da an ärgerte er sich nur noch über seine offensichtliche Unfähigkeit, seine vielen Fehler rechtzeitig erkannt zu haben. Er hatte seinen Beruf verfehlt!

Und er war in einen Verdacht geraten, den die Initiatoren der Kampagne »Sauberes Victoria« geschickt zu nähren verstanden: in die undurchsichtige Geschichte von Entführung, Erpressung und Mord zumindest als Mitwisser verwickelt zu sein. Hatte er nicht genau gewusst, wo die Räuberhöhle im Chaos der Geisterstadt zu finden war? Hatte er nicht laut eigener Aussage die Kinder in die zweifelhafte Obhut einer polizeibekannten Hure gegeben?

Die Anschuldigung, General Harewood habe die Entführung der Maguire-Kinder nur inszeniert, um seinen politischen Gegner loszuwerden, konnte dagegen in ihrer Ungeheuerlichkeit ja wohl nur einem kranken Geist entspringen. Den hatte der Reeder durch seine blutige Attacke auf eine der Hauptverdächtigen ja auch prompt unter Beweis gestellt.

Der arme Mann! Erst die Kinder, dann die Frau. Harewoods Reden trieften von Mitgefühl, ließen aber immer wieder auch durchblicken, dass dubiose Verwicklungen dieser Art nun mal das unglückliche Erbe eines ehemaligen Sträflings seien.

Der einzige Mensch, der Gowers’ Version der Ereignisse bestätigen konnte, hieß William Blampin – und war spurlos verschwunden. Die wenigen Zeitungen, die ihn überhaupt erwähnten, bezweifelten, dass ein Mann dieses Namens jemals in Victoria gewesen war. Gowers hätte ihn finden, seine Spur aufnehmen können, aber erneut musste er eine Entscheidung treffen. Und er entschied sich – nicht mehr im Namen seines geistig umnachteten Auftraggebers, sondern ganz für sich selbst – für die Jagd auf James Fagan.

Als er wusste, wie er den Mörder finden konnte, räumte er seine Wohnung auf, so gut es ging, denn er würde eine Weile wegbleiben. Er ließ all seine Bücher – bis auf Byrons Cain – in den Regalen zurück, sogar die Canterbury Tales, die ihn sein Leben lang begleitet hatten, weil er annahm, dass er bald zurückkommen würde. Kleider zum Wechseln brauchte er nicht, lediglich seine Waffen und die Offiziersmütze, die er in all seinen Kämpfen trug. Entsprechend klein war sein Bündel, als er die Tür hinter sich abschloss. Er deponierte den Schlüssel in einem Schließfach seiner Bank, ging dann zum Hafen hinunter und war einen Tag später als einfacher Soldat der 5th Armed Constabulary auf dem Weg nach Neuseeland.