»Das entscheidende Problem ist«, unterbrach ich ihn, »wo und wie ich den Antrag für das Melderegister stelle.«
»Dieses kleine Problemchen wirft dich jetzt um?«, entgegnete er: »Es ist nicht mehr wie früher. Wenn du Geld hast, kannst du eigentlich so ziemlich alles hinkriegen. Solltest du keinen Melderegistereintrag bekommen, ist das Kind trotzdem ein Mensch, der unseren Erdball bewohnt und damit in den Genuss der Menschenrechte kommt.«
»Schon gut, Li Hand, ich bin zu dir gekommen, um mein Problem aus der Welt zu schaffen, und du dröhnst mich mit diesem überflüssigen Geschwafel voll. Seit ich wieder in Gaomi bin, merke ich immer deutlicher, dass ihr euch alle so eine gedrechselte Sprache zugelegt habt, die Studierten und die nicht Studierten. Von wem habt ihr das?«
Er lachte: »Wir benehmen uns wohl kultivierter als früher? In der modernen Gesellschaft spielt jeder eine Rolle, ob nun als Bühnenschauspieler, als Filmstar, Fernsehschauspieler, Pekingopernheld, Kabarettist oder Comedian, alle spielen Theater. Die Gesellschaft ist doch wie eine Bühne, oder etwa nicht?«
»Hör auf mit dem Geschwätz«, sagte ich, »und hilf mir lieber! Du willst doch nicht, dass ich zu Chen Nase Schwiegervater sagen muss?«
»Was ist daran verkehrt, wenn du Nase Schwiegervater nennst? Davon geht die Welt nicht unter, und stehen bleiben wird sie auch nicht. Ich sag dir was: Glaub nicht, die Leute kümmerten sich um deine Angelegenheiten. Denkst du, alle schauen dir zu? Das siehst du falsch. Die haben alle mit ihren eigenen Angelegenheiten so viel zu tun, dass sie nicht dazu kommen, sich um deinen Kram zu kümmern. Es hat mit den anderen Leuten eigentlich ziemlich wenig zu tun, wenn du mit Nases Tochter einen Sohn hast und mit einer anderen vielleicht noch eine Tochter. Selbst wenn die Klatschmäuler sich eine Weile darüber den Mund fusselig reden, ist das nicht wichtiger als vorbeiziehende Wolken, ein Wind und weg sind sie. Ausschlaggebend ist, dass es dein eigen Fleisch und Blut ist. Sobald es geboren ist, hast du gewonnen.«
»Aber von Nases Tochter! Das ist ja fast wie Blutschande!«
»Was für ein Unsinn! Du und Augenbraue, ihr habt keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Wie sollte es da Inzest sein? Was das Alter angeht, brauchst du dir noch weniger Sorgen zu machen. Achtzigjährige heiraten Achtzehnjährige. Man erzählt darüber nette Anekdoten. Entscheidend ist, dass du Augenbraue nicht einmal berührt hast. Sie ist wie ein Werkzeug, wie gemietet. Jetzt mach dir nicht so viele Gedanken! Schieb die Sorgen fort, trainiere deinen Körper. Du willst deinen Sohn großziehen!«
»Hör auf mit dem Unsinn!« Ich zeigte auf meine mit Herpesbläschen übersäten Lippen. »Du siehst doch, wie viel Stress mir die Sache macht. Ich fleh dich an, tu es bitte für deinen Schulkameraden und Freund und richte Augenbraue etwas von mir aus. Sag ihr, sie solle bitte sofort die Schwangerschaft abbrechen lassen, das Geld bekommt sie trotzdem und ich lege noch zehntausend obendrauf, als Ausgleich für die gesundheitlichen Nachteile einer Abtreibung. Wenn ihr das nicht genügt, dann eben zwanzigtausend.«
»Wozu soll das gut sein? Wenn dir der Abbruch zwanzigtausend wert ist, kannst du das Geld doch auch nach der Geburt des Kindes für den Melderegistereintrag ausgeben, damit der Antrag besser ins Rollen kommt, und dann ein von allen respektierter Papa werden.«
»Ich kann es meiner Einheit nicht beibringen.«
»Du nimmst dich zu wichtig!«, sagte Hand spitz. »Die Einheit hat keine Zeit, um sich mit deinen Angelegenheiten zu befassen. Was glaubst du, wer du bist? Hast ein paar Schauspiele, Tragödien, Dramen fürs Theater geschrieben, die keiner liest. Du gehörst doch nicht zu den Royals? Wenn du einen Sohn bekommst, gibt es einen Nationalfeiertag, oder wie?«
Die Tür öffnete sich, ein Rucksacktourist steckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein und betrat das Lokal, der falsche Sancho Panza kugelte auf ihn zu und hieß ihn mit einem Lächeln willkommen.
Ich flüsterte: »Nur dieses eine Mal bitte ich dich, tu mir diesen Gefallen!«
Er verschränkte die Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf und machte ein Da kann ich beim besten Willen nicht helfen-Gesicht.
»Du mieser Scheißkerl! Du schaust seelenruhig zu, wie ich mir mein Grab schaufeln muss.«
»Du verlangst von mir Beihilfe zum Mord!« Er flüsterte: »Ein sechs Monate alter Fötus! Kann durch die Bauchhaut schon Papa sagen!«
»Hilfst du mir oder nicht?«
»Du glaubst, ich könnte einfach mal so bei Augenbraue vorbeigehen?«
»Aber zu Nase kannst du doch hingehen. Bestell ihm meine Worte. Damit er zu ihr geht und es ihr beibringt.«
»Renner, Nase findest du ganz einfach. Er steht jeden Tag am Niangniang-Tempel und bettelt. Abends kauft er sich von dem erbettelten Geld Schnaps und nimmt im Vorbeigehen noch ein Brot von mir mit. Du kannst hier sitzen bleiben und auf ihn warten. Oder du gehst da rüber und wartest auf ihn. Aber ich hoffe sehr, dass du es ihm nicht sagst. Es wäre ohnehin vergeblich. Wenn du barmherzig bist, dann quälst du ihn nicht mit solchen Dingen.
Die ganzen Jahre über habe ich die Erfahrung gemacht: Hast du heikle Probleme zu lösen, ist die gangbarste Methode immer:
Ohne Erwartungshaltung zusehen, was sich tut,
und mit dem Strom schwimmen.«
»Gut! Dann lenke ich mein Boot stromabwärts.«
»Die Monatsfeier für deinen Sohn richten wir hier aus, Renner. Das wird schön.«
10
Als ich wieder auf der Straße war, fühlte ich mich doch erleichtert.
Es stimmte, es würde nur ein Kind geboren werden, nichts weiter würde geschehen. Die Sonne würde weiter scheinen, die Vögel weiter jubilieren, die Blumen weiter blühen, das Gras weiter sprießen und der Wind wie immer mit sanfter Brise wehen.
Auf dem Tempelvorplatz war die Ehrengarde der Kinder schenkenden Niangniang gerade dabei, sich wie die Flügel bei einer Wildgans in zwei Reihen aufzustellen, während die Musiker und Opernsänger spielten und sangen, dass die Erde bebte.
Viele Frauen, die sehnsüchtig auf ein Kind warteten, drängten nach vorn, weil sie hofften, diesmal das ersehnte Kind aus der Hand der Niangniang empfangen zu können.
Diese Menschen besangen in höchsten Tönen die Fruchtbarkeit und das Gebären, sehnten sich nach nichts mehr, als nach einem Kind, feierten es überschwänglich; und ich war in Nöten, grämte mich, hatte vor Sorgen keine ruhige Minute mehr, weil jemand von mir schwanger war.
Dafür gab es nur eine Erklärung: Ich hatte es hier nicht mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun, das Problem lag bei mir selbst.
Sugitani san, ich entdeckte Nase und seinen Hund hinter der großen Säule rechts am Eingang zur Tempelhaupthalle. Diesmal war es ein großer Schäferhund mit schwarz geflecktem Fell, ein deutlich edlerer Hund als sein erster, der auf der Straße sein Leben für ihn gelassen hatte.
Warum hatte ein wunderschöner Schäferhund von so edler Abstammung einen Pennbruder zum Gefährten gewählt? Das bleibt wohl ein Geheimnis. Aber wenn man’s sich recht überlegt, ist es nicht verwunderlich.
Nordost-Gaomi ist wie alle jüngst erschlossenen Gebiete: Die eigenen Methoden sind mit den fremdländischen bis zur Unkenntlichkeit vermengt. Denn trägt der Fluss die gute Tonerde und den schlechten Sand nicht zusammen zum Meer? Schön und hässlich sind schwer zu unterscheiden, ob ja oder nein, richtig oder falsch, lässt sich nicht mehr trennen.
Es gibt hier viele Neureiche, die der Mode hinterherjagen. Gerade reich geworden, wollen sie am liebsten ein Tigerbaby anschaffen und als Haustier halten; wenn sie pleite sind, möchten sie die eigene Frau verkaufen, um damit ihre Schulden zu tilgen. Auf der Straße sieht man viele streunende Hunde, Hunde die auf der Flucht sind, viele reinrassige, aus einer berühmten Zucht stammende, ungemein teure Tiere, die noch vor kurzem einer wohlhabenden Familie gehörten.