Zusammen waren es einige hundert Babybilder, die alle verschieden waren, alle herzallerliebst und lebensecht. Der Text dieser Reklametafel besagte, dass die Fotos von den Babys stammten, die in der Klinik in den zwei Jahren seit ihrem Bestehen zur Welt gekommen waren. Das war wirklich eine großartige Arbeit, eine edle Arbeit, eine süße, allerliebste Arbeit ...
Sugitani san, ich war wirklich zutiefst gerührt, so sehr, dass mir die Tränen kamen. Ich vernahm mit Augen und Ohren den allerheiligsten Lockruf. Ich spürte die Liebe zum Leben sprudeln, die erhabenste, größte Liebe der Menschheit auf dem ganzen Globus. Vergleicht man sie mit anderen Formen der Liebe, sind jene im Vergleich zu dieser armselig.
Ich hatte das Gefühl, als wäre meine Seele getauft worden, dachte, dass ich die Chance bekommen hatte, meine Verbrechen zu sühnen, dass ich, egal welche Ursachen ich gesetzt hatte, egal welche Wirkung folgen würde, meine Arme ausbreiten und diesen kleinen Säugling, den der Himmel mir schenkte, empfangen wollte.
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Sugitani san, ich sagte es schon, die Kliniktafel mit den Babyfotos hatte meine Seele geläutert, als wäre ich getauft worden. Meine Zweifel, die Stiche, die Prügel, die Schmach, auf Leben und Tod gejagt worden zu sein, waren der Weg gewesen, den ich bitter nötig gehabt hatte.
So wie die einundachtzig Prüfungen, die Tripitaka bestehen musste26, als er nach Indien reiste, um die heiligen Sutren zu holen. Wenn man keine Not erlitten hat, wird man die Frucht nicht richtig genießen. Hat man keine Schwierigkeiten überwunden, erlangt man die Erleuchtung über die wesentlichen Dinge des Lebens nicht.
Wieder zu Hause angelangt, säuberte ich meine Wunden mit in Alkohol getränkten Wattebäuschen und nahm mit Schnaps Yunnan White Medicine ein, die bei inneren und äußeren Verletzungen infolge von Schlägereien gut hilft. Obwohl die körperlichen Blessuren, die ich davongetragen hatte, ihre Zeit brauchten, fühlte ich mich vom Kopf her so fit, dass ich Bäume hätte ausreißen können.
Als Kleiner Löwe von der Arbeit zurückkam, nahm ich sie in die Arme, rieb meine Wange an der ihren und dann sagte ich zu ihr: »Liebste Gattin, ich danke dir, dass du für mich das Kind geschaffen hast. Obwohl es nicht in deiner Gebärmutter ausgetragen wird, trägst du es doch mit deinem Herzen aus. Und deswegen ist es unser leiblicher Sohn.«
Sie weinte.
Sugitani san, ich sitze am Schreibtisch und denke, während ich Ihnen, liebster Freund, einen Brief schreibe, darüber nach, wie ich diesen Säugling großziehen werde.
Wir beide gehen auf die Sechzig zu. Wir sind körperlich nicht mehr so fit wie noch vor ein paar Jahren. Wir sollten wohl eine erfahrene Kinderfrau einstellen oder eine Amme, die selbst auch gerade ein Baby bekommen hat und noch stillt, damit unser Kind auch Muttermilch zu trinken bekommt und es menschlicher heranwächst.
Meine Mutter sagte immer, wenn man den Säuglingen Kuhmilch oder Ziegenmilch zu trinken gibt, duften sie nicht nach Mensch. Obwohl man ein Kind mit Kuhmilch auch großkriegt, birgt das viele Gefahren.
Ob die sich am Himmel versündigenden Geschäftemacher nach den Säuglingsmilchskandalen27 »Kongke«, »Melamine« oder »Sanlu« wohl ihre chemischen Versuche sein lassen? Wer weiß, was nach den zurückgebliebenen »Großkopfkindern« und den »Nieren- und Blasenstein-Säuglingen« noch kommt? Jetzt haben die Verantwortlichen den Schwanz eingezogen, wie Hunde, die eine Tracht Prügel bekommen haben, und sehen aus wie ein Häufchen Elend. Aber keine paar Jahre, dann steht der Schwanz wieder oben und es werden noch widerwärtigere, todbringende Rezepturen erfunden.
Ich weiß schon, dass die kostbarste Flüssigkeit auf unserem Globus die Vormilch der Mutter ist, weil sie viele zaubermächtige Substanzen enthält. Sie ist stofflich gewordene Mutterliebe.
Ich hörte damals, dass Paare der Tragemutter noch viel Geld für das Kolostrum bezahlten, nachdem sie ihr Kind abgeholt hatten. Manche ließen sie auch noch einen Monat lang stillen und holten erst dann ihr Kind ab. Natürlich kostete es in einem solchen Fall mehr. Kleiner Löwe sagte mir, die Firma sei aber entschieden dagegen. Denn wenn die Leihmutter damit beginne, das Kind zu stillen, entstehe eine tiefe Liebesbeziehung zum Kind, und das würde zu nicht endenden Komplikationen führen. Kleiner Löwe fügte dann aber mit feuchten Augen hinzu: »Ich bin doch seine Mama und ich werde Muttermilch für mein Kind haben.«
Früher hörte ich meine Mutter oft solche Geschichten erzählen. Aber sie schmückte sie immer sehr aus, so dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Ich denke, dass bei jungen Müttern, die schon eine Schwangerschaft hatten, der Milchfluss erneut angeregt werden kann, wenn ein Säugling angelegt wird oder wenn große Mutterliebe besteht. Aber ich glaube kaum, dass bei jemandem wie Kleiner Löwe, die doch bald sechzig wird und niemals eine Schwangerschaft hatte, so ein Wunder geschehen kann. Wenn es tatsächlich wahr werden sollte, ist es kein Wunder, sondern Gotteswerk.
Liebster Freund, wenn ich Ihnen solche Dinge schreibe, ist mir das gar nicht peinlich. Mit welcher großen Liebe Sie Ihren Sohn großgezogen haben, den das Krankenhaus für nicht überlebensfähig hielt. Wie viele ähnliche, von den Göttern gesandte Wunderwerke haben Sie erlebt! Deswegen, Sugitani san, denke ich, dass Sie jemand sind, der mich verstehen kann. Sie können auch die wie teuflisches Zauberwerk anmutenden Ideen meiner Frau verstehen.
In letzter Zeit möchte sie fast täglich, dass ich mit ihr schlafe. Sie hat sich aus einer süßen Mohrrübe in einen saftigen Pfirsich verwandelt. Das ist schon wie ein Wunder und überrascht mich sehr. Jedes Mal sagt sie mir: »Kaulquappe, sei nicht so draufgängerisch, du muss es etwas vorsichtiger machen, du darfst doch unseren Sohn nicht verletzten!«
Und danach legt sie jedes Mal meine Hand auf ihren Bauch: »Fühl doch mal, er tritt mich.« Jeden Morgen braust sie sich mit lauwarmem Wasser die Brüste ab und zupft zart die eingesunkenen Brustwarzen heraus.
Wir erzählten unserem Vater, dass Kleiner Löwe ein Baby erwarte und bereits im sechsten Monat sei. Vater ist bald neunzig Jahre alt. Er war so dankbar, dass ihm die Tränen in Strömen flossen. Mit zitterndem Bart sagte er: »Der Himmel hat ein Auge auf uns! Unsere Ahnen haben sich offenbart, und der Himmel hat es uns vergolten. Die guten Menschen ernten Wohltaten. Namu Amithaba Buddha!«
Lieber Freund, ich habe schon alles, was wir für das Kind brauchen werden, fertig vorbereitet und an Ort und Stelle. Wir haben von allem nur das Beste gekauft: einen japanischen Import-Kinderwagen, ein koreanisches Import-Kinderbett, Pampers einer Shanghaier Marke, eine eichene Badewanne, die in Russland getischlert wurde ... Kleiner Löwe besteht darauf, keine Babyflasche zu kaufen. Ich habe ihr gut zugeredet. »Was, wenn deine Milch nicht ausreicht?« Wir kauften eine, nur für den Notfall. Eine französische Babyflasche und einen Schnuller, und beim Milchpulver wählten wir ein in Neuseeland hergestelltes. Aber auch in dieses Milchpulver hatten wir kein volles Vertrauen. Deswegen riet ich: »Am besten wir kaufen eine Milchziege, die wir zu Vater auf den Hof stellen. Wir können dann zu Vater ziehen und dort wohnen und melken die Milch für unser süßes Kind jeden Tag frisch.«
Kleiner Löwe hob mit beiden Händen ihre voluminösen Brüste an: »Ich bin mir sicher, dass meine Milch wie ein Springbrunnen sprudeln wird!«
Meine Tochter rief aus Spanien an und fragte, was wir so trieben: »Yanyan, es ist mir richtig peinlich, aber wir haben unzweifelhaft eine freudige Nachricht. Deine Mama ist schwanger und du wirst ganz bald ein Brüderchen bekommen.« Ich hörte eine kurze Weile nichts, dann die aufgeregt freudige Nachfrage: »Papa, ist das wahr?«
»Natürlich ist es wahr«, sagte ich.
»Wie alt ist Mama jetzt eigentlich?«
»Schau mal im Internet. Da kannst du lesen, dass in Dänemark kürzlich eine Zweiundsechzigjährige Mutter von gesunden Zwillingen geworden ist.«