Jemand, der bekennt, ein Verbrechen begangen zu haben, muss aber auch versuchen, mit sich selbst nachsichtig zu sein. Ein Beispiel ist die auch Ihnen, lieber Freund, bekannte Kurzgeschichte »Das Neujahrsopfer« von Lu Xun. Einem wachen Menschen wie Xiang Linsao, die in Lu Xuns Geschichte für den Erdgotttempel eine teure Türschwelle tischlern lässt und ein Türschwellenopfer bringt, sollte man nicht den Glauben nehmen, man sollte ihm auf keinen Fall Aberglauben unterstellen, sondern ihm Hoffnung schenken. Die Hoffnung, dass er sich von seiner Schuld befreien kann, dass er nachts keine Alpträume mehr haben muss, dass er wie ein Mensch ohne Schuld weiterleben kann.
Ich spielte also mit, ich war sogar fleißig bemüht zu glauben, woran Gugu und Kleiner Löwe glaubten.
Das ist doch sicher die richtige Herangehensweise? Obwohl ich natürlich weiß, dass die Leute mit ihren naturwissenschaftlich geschulten Gehirnkästen mich belächeln. Dass die Moralapostel und Tugendverfechter mich kritisieren. Selbst wenn Leute, die ganz andere Erkenntnisse gewonnen haben, sich über mich beschweren, werde ich nichts ändern. Dem Baby zuliebe. Für Gugu und für meinen Kleinen Löwen, die beiden Frauen, die eine befremdliche Arbeit verrichtet haben, für sie werde ich weiterhin wie farbenblind durch die Welt laufen.
Am selben Tag holte Gugu ihr Stethoskop aus dem Arzttornister und erklärte in vollem Ernst, sie müsse jetzt die Herztöne abhören. Kleiner Löwe machte den Bauch frei und legte sich auf den Rücken. Sie war voller Glück. Gugu hörte sie konzentriert und sorgfältig ab. Mit einem sehr ernsthaften Gesichtsausdruck. Als sie damit fertig war, befühlte sie den Bauch meiner Frau mit ihren von meiner Mutter immer so sehr gerühmten Händen. Gugu fragte: »Fünf Monate ist das Kleine wohl? Alles in Ordnung. Der Fötus macht deutliche Geräusche, er sitzt auch an der richtigen Stelle.«
»Schon mehr als sechs Monate«, sagte Kleiner Löwe schüchtern mit rotem Gesichtchen.
»Dann komm mal hoch.« Gugu klopfte zärtlich den Bauch meiner Frau. »Obwohl du ja schon älter bist, empfehle ich dir trotzdem eine natürliche Geburt. Mir widerstreben Kaiserschnitte. Eine Mutter, deren Kind nicht durch den Geburtskanal auf die Welt kommt, verpasst das Gefühl, Mutter zu werden.
»Ich habe Bedenken ...«, wandte Kleiner Löwe ein.
»Was kann dir mit mir an deiner Seite passieren, Kleiner Löwe?« Gugu streckte beide Hände in die Höhe: »Diesen beiden Händen, die zehntausend Babys auf die Welt geholt haben, solltest du vertrauen.«
Kleiner Löwe nahm Gugus Hand und legte sie sich auf die Wange. Mit einer Kleinmädchenstimme sagte sie: »Gugu, ich vertraue dir.«
12
Sugitani san! Eine große Freude habe ich zu verkünden!
Gestern vor Sonnenaufgang wurde mein Sohn geboren.
Weil meine Frau als Spät- und Erstgebärende zu den absoluten Risikofällen gehörte, hatte selbst die Chinesisch-Amerikanische Mutter-und-Kind-Klinik mit ihren angeblich in Amerika und England ausgebildeten Ärzten eine Aufnahme abgelehnt. Da dachten wir dann natürlich an Gugu. Alter Ingwer ist ja auch der schärfste. Meine Gattin vertraut ohnehin nur Gugu. Sie hat ihr bei unzähligen Geburten assistiert und weiß natürlich, wie souverän sie mit Komplikationen fertig wird.
Als Kleiner Löwe bei Backe und meinem kleinen Cousin in der Froschzuchtfirma Nachtschicht machte, setzten die Wehen ein. Man sollte, wenn es so weit ist, eigentlich zu Hause bleiben und sich schonen, aber starrsinnig, wie sie ist, hatte sie nicht hören wollen. Sie stolzierte hochschwanger über den Markt und präsentierte ihren Babybauch. Damit löste sie viele Diskussionen aus, und manch einer beneidete sie. Ihre Bekannten und Freunde riefen ihr schon von weitem zu: »Kleiner Löwe, tu dir das doch nicht an! Lauf schnell nach Hause und schon dich! Kaulquappe springt viel zu hart mit dir um.«
Aber sie sagte nur: »Da ist doch nichts dabei! Mit dem Kinderkriegen ist es wie mit den Melonen, wenn sie reif sind, plumpsen sie vom Gestänge. Wie viele Bauersfrauen haben ihre Kinder schon im Baumwollfeld oder im Gebüsch am Fluss ohne jede Komplikation zur Welt gebracht. Je mehr man sich in Watte packt, umso wahrscheinlicher gibt es Probleme.«
Ihre Ansichten decken sich in vielerlei Hinsicht mit den Erkenntnissen einiger unserer angesehenen Ärzte der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Die Leute hörten, was sie sagte, alle pflichteten ihr bei, keiner fing Streit mit ihr an.
Als ich die Nachricht bekam, fuhr ich sofort zur Froschzuchtfirma.
Yuan Backe hatte meinen Cousin schon veranlasst, Gugu abzuholen. Sie trug einen weißen Arztkittel und einen großen Mundschutz. Ihr widerspenstiges Haar hatte sie unter eine weiße Haube gesteckt.
Ihr Gesicht war enthusiastisch, sie war aufgeregt. Sie kam mir vor wie ein edles Ross bei Turnierbeginn. Gugu wurde von einer weiß gekleideten jungen Dame in einen geheimen Kreißsaal geführt. Ich saß in Backes Büro und trank mit ihm schwarzen Tee.
In seinem Büro befand sich mitten im Raum ein Schreibtisch aus Bahia-Rosenholz, dahinter stand ein schwarzer echtlederner Chefsessel mit hoher Lehne. Auf dem Schreibtisch lagen etliche dicke Bücher. Darunter, kaum zu glauben, ein Buch, in dem als Lesezeichen eine kleine chinesische Nationalflagge steckte. Er wusste sofort, was mir durch den Kopf ging, und sagte ernsthaft: »Kumpel, auch als Verbrecher habe ich das Recht, ein Patriot zu sein.«
Sehr geübt bereitete er mir mit dem traditionellen Teebesteck in einem kleinen Kännchen einen besonderen Tee: »Das ist Dahongpao vom Berg Wuyishan. Es ist zwar nicht das allerfeinste Blatt, aber schon sehr, sehr gut. Wenn der Kreisvorsteher kommt, koche ich ihm immer diesen Tee. Aber dass ich ihn dir anbiete, beweist, dass ich noch Charakter habe.«
Er bemerkte, dass ich nicht bei der Sache war: »Keine Sorge! Ich mache die Arbeit. Und du verlässt dich auf mich. Friedlich und sicher läuft hier alles. Es kommt nie zu Fehlern oder Komplikationen! Wir wagen es nicht umsonst, deiner Tante kostbare Zeit zu stehlen, sie ist die Schutzgottheit von Nordost-Gaomiland. Wenn sie dabei ist, kann es nur nach diesen acht Schriftzeichen ausgehen:
母子平安,皆大歡喜
Mutter und Kind sind wohlauf, alle freuen sich riesig.«
Später schlief ich auf seinem großen Luxusledersofa ein. Ich träumte, dass meine Mutter und Renmei kämen. Mutter trug ein strahlendes, atlasseidenes Gewand und einen Krückstock mit einem Drachenkopfknauf, dem Erkennungszeichen der Unsterblichen. Renmei hatte eine wunderschöne rote Steppjacke an, dazu eine grüne Hose, sehr bäuerisch und bieder sah sie aus, aber auch ganz allerliebst. Auf dem linken Arm trug sie ein rotes Bündel. Aus dem Bündel konnte ich etwas gelbes Gestricktes hervorlugen sehen. Sie gingen beide auf dem Flur auf und ab, der Krückstock meiner Mutter pochte dabei gleichmäßig, aber nie hastig auf den Boden, trotzdem machte es mich nervös.
Ich fragte: »Mama, kannst du dich ein Weilchen hinsetzen und ausruhen? Wenn ihr beide hier immer auf und ab geht, werden alle anderen nervös.«
Mutter setzte sich ein Weilchen auf das Sofa, rutschte dann aber hinunter auf den Boden, wo sie sich im Schneidersitz niederließ. Sie erklärte, wenn sie auf dem Sofa sitze, könne sie nicht atmen. Renmei war äußerst schüchtern, sie versteckte sich wie ein kleines Mädchen hinter dem Rücken meiner Mutter. Wenn ich zu ihr hinschaute, dreht sie jedes Mal schnell den Kopf weg. Ich sah, wie sie das gelbe Gestrickte aus dem Bündel hervorholte und ausbreitete. Es war ein handtellergroßes, handgestricktes Jäckchen.
»Renmei, hast du das für eine Babypuppe gestrickt?«
Sie wurde rot: »Ich habe es für das Kleine in meinem Bauch angefertigt.«
Jetzt erst bemerkte ich, dass ihr Bauch schon eine beachtliche Wölbung zeigte. Auch die Pigmentflecken in ihrem Gesicht deuteten auf eine Schwangerschaft hin.
Ich sagte noch: »Das Kind in deinem Bauch ist bestimmt nicht so klein.«