KAULQUAPPE: Dieses Haus ist wohl in erster Linie Gugus Haus und erst in zweiter Linie, und auch nur möglicherweise, deines.
Gugu kommt aus der Höhle hervorgekrochen.
GUGU: (ziemlich träge)
Wer spricht da von mir?
KAULQUAPPE: Gugu, ich bin es.
GUGU: Ich weiß schon, dass du es bist. Was führt dich her?
KAULQUAPPE: (öffnet eilig bemüht die Aktentasche, greift einen Stapel Manuskriptpapier heraus, um dann rasch herunterzubeten)
Gugu, ich bin es, die Kaulquappe der beiden Kreise Nordost-Gaomi und Pingdu.
(Qin Strom und Hao Große Hand tauschen einen beklommenen Blick aus)
Yu Peisheng ist mein Vater und Sun Fuxia ist meine Mutter. Ich bin eines von den Süßkartoffelkindern, und ich bin das erste Kind, das du auf die Welt geholt hast. Meine Frau Tan Yuzi gehört auch zu den Kindern, die du auf die Welt geholt hast. Ihr Vater ist Tan Jinhai und ihre Mutter ist Huang Yueling.
GUGU: Hör auf damit! Jetzt hast du als Stückeschreiber sogar die Nachnamen geändert. Die Geburtstage auch? Die Eltern stimmen nicht mehr? Der Geburtsort soll auch ein anderer sein? Und die Ehefrau ist ebenfalls eine andere?
(Gugu läuft grübelnd, mit gesenktem Kopf zwischen den von der Decke baumelnden zwölf, dreizehn Kindern hin und her. Dann stampft sie auf und schlägt sich mit der Faust gegen die Brust. Kurz darauf drischt sie einem der Kinder brutal auf den Po. Es beginnt zu weinen. Gugu schlägt den Säuglingen reihum auf den Po, alle beginnen zu weinen. Gugu fällt mit einem nicht enden wollenden Redefluss in das Stimmengewirr der Säuglinge ein, deren Weinen mit der Zeit schwächer wird.)
Ihr Süßkartoffelkinder, seid brav und hört auf mich, ich habe euch alle mit meinen eigenen Händen ans Licht der Welt gezogen! Ihr kleinen Racker habt mich Kraft gekostet! Jeder einzelne von euch! Über fünfzig Jahre lang habe ich in diesem Beruf gearbeitet, und auch jetzt lege ich die Hände noch nicht in den Schoß. In den vergangenen fünfzig Jahren habe ich nur wenige Mahlzeiten warm verzehrt, nur selten durchgeschlafen, hatte blutige Hände, schweißnasses Haar, war kotbeschmiert, vollgepinkelt. Denkt ihr vielleicht, ich habe als Dorffrauenärztin eine einfache Arbeit? Bei jeder der mehr als fünftausend Familien unserer achtzehn Dörfer in Nordost-Gaomiland bin ich zu Hause gewesen. Ich habe die fahle Haut am Bauch eurer Frauen und Mütter gesehen. Eure miesen Väter habe ich sterilisiert! Und egal, ob ihr jetzt hohe Beamte seid oder schwer zu Geld gekommen, egal, ob ihr beim Kreisvorsteher bockig seid oder euch beim Bürgermeister wild aufführt, vor mir müsst ihr schön brav, ehrlich und anständig sein, ihr habt gerade zu stehen und zu warten.
Wenn ich es mir recht überlege, hätte ich euch Bande wilder Rüden doch alle kastrieren sollen. Eure Frauen hätten dann weniger zu leiden gehabt. Grinst nicht so dumm! Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit! Die Geburtenplanung ist eine Angelegenheit von erstrangiger Bedeutung, sie wirkt sich aus auf die Finanzen unseres Staates und auf die Lebensqualität unseres Volkes. Da nutzt auch euer breites Grinsen nichts, die Abtreibungen, die sein müssen, werden gemacht, und wer kastriert werden muss, wird kastriert. Die Männer sind einer wie der andere schlimme Finger.
Von wem stammt dieser Satz?
Ihr wisst es nicht?
Ihr nicht, und ich auch nicht.
Ich weiß dafür aber, dass er stimmt. Die Männer sind alle schlimme Finger. Und trotzdem können wir ohne euch nicht sein!
Seit Pangu Himmel und Erde schuf, besteht diese Ordnung: es gibt den Tiger und das Wildkaninchen, den Sperber und den Spatz, die Fliegen und die Mücken ... Nicht eine einzige Art darf fehlen zu einer vollständigen Welt. Im afrikanischen Urwald soll es einen Stamm geben, der auf den Bäumen lebt. In den Ästen haben sie mehrstöckige Nester gebaut, und die Frauen sitzen in den Nestern und legen Eier. Wenn sie ihr Ei gelegt haben, hocken sich die Frauen auf einen Ast und essen von den Früchten des Baumes. Die Männer tragen Kleidung aus Blättern, sitzen im Nest und brüten die Eier aus. Sie brüten siebenmal sieben Tage lang, also insgesamt neunundvierzig. Dann stoßen die Kindchen die Eischale von innen auf und springen heraus. Sie können sofort auf den Bäumen klettern. Ob ihr’s glaubt oder nicht, ich glaube es. Ich habe mal ein Ei auf die Welt gezogen, groß wie ein Fußball ist es gewesen. Das haben wir auf den Kang gelegt und es einen halben Monat lang ausgebrütet. Dann ist die Schale gesprungen, und es blubbte ein Kindchen heraus, ein Dickerchen mit schöner weißer Haut, das wir Dansheng, Eigeburt, nannten. Leider ist das hübsche Kind an einer Hirnhautentzündung gestorben. Wäre es am Leben geblieben, wäre es heute vierzig Jahre alt. Wenn Eigeburt noch lebte, wäre er sicher ein berühmter Schriftsteller geworden, denn er wählte an seinem ersten Geburtstag den Pinsel. Die Eltern hatten nach altem Brauch für verschiedene Berufe typische Gegenstände vor ihn hingelegt, von denen er einen auswählen durfte.
Wenn im Wald der Tiger fehlt, wird der Affe König. Eigeburt starb, so erst kam es, dass es an dir war, dich mit Tusche und Pinsel zu versuchen.
KAULQUAPPE: (in grenzenloser Bewunderung)
Gugu, du sprichst mal wieder druckreif. Du bist nicht nur eine hervorragende Frauenärztin, sondern auch eine exzellente Stückeschreiberin! Deine beiläufig ausgespuckten Reden sind stets ausgezeichnete Bühnendialoge!
GUGU: Was heißt hier beiläufig ausgespuckte Reden? Darüber habe ich lange Zeit gewissenhaft nachgedacht.
(zeigt auf den Stapel Manuskriptpapier in Kaulquappes Hand)
Ist dies das von dir verfasste Theaterstück?
KAULQUAPPE: (höflich und bescheiden)
Ja.
GUGU: Wie ist der Titel des Stücks?
KAULQUAPPE: Frösche 蛙
GUGU: Ist es das 娃 »Wa« von Baby wie im Wort Niwawa oder das 蛙 »Wa« von Frosch wie im Wort Qingwa?
KAULQUAPPE: Vorläufig ist es noch das Wa der Frösche, aber natürlich können wir es auch in das Wa von Baby wie im Wort Niwawa oder in das Wa von Nüwa, der Urahnin der Menschheit, ändern. Nüwa erschuf die Menschen, und die Frösche sind bei uns das Symbol für Kinderreichtum, sie sind unsere Totemtiere hier in Nordost-Gaomi; in unserer Lehmkunst, in unseren Neujahrsbildern, überall finden sich viele Beispiele, wie wir die Frösche vergöttern.
GUGU: Aber dir war doch bewusst, dass ich entsetzliche Angst vor Fröschen habe?
KAULQUAPPE: Mein Stück analysiert deine Froschphobie. Wenn du mein Stück zu Ende gelesen hast, sollte der Knoten geplatzt sein, und dann hast du vielleicht nie wieder Angst vor Fröschen.
GUGU: (streckt die Hand aus)
Dann gib mir mal dein Manuskript.
(Kaulquappe reicht ihr respektvoll das Theaterstück)
GUGU: (zu Qin Strom und Hao Große Hand gewandt)
Hört zu, ihr beiden: Wer von euch wirft dieses dumme Geschreibsel ins Feuer?
KAULQUAPPE: Gugu, zehn Jahre meines Lebens und mein Herzblut stecken darin!
GUGU: (hebt die Hand mit dem Stapel Papier und wirft ihn schwungvoll zu Boden, wobei die Blätter völlig durcheinander geraten)
Ich muss das nicht erst lesen. Ich brauche nur daran zu riechen und bin im Bilde, von was für Blähungen du dich da befreit hast. Und deine kleine Buchgelehrsamkeit soll dich in die Lage versetzt haben, den Grund für meine Angst vor Fröschen zu analysieren?
Kaulquappe, Qin Strom und Hao Große Hand kriechen auf dem Bühnenboden herum, um die Manuskriptseiten aufzuklauben.
GUGU: (besessen davon, sich ganz genau zu erinnern) An dem Vormittag, als du geboren wurdest, habe ich mir die Hände im Fluss gewaschen, und da habe ich ganze Trauben von Kaulquappen gesehen, das Wasser war über und über voll davon. In jenem Jahr hat eine große Trockenheit geherrscht; deshalb hat es ausgesehen, als wären es mehr Kaulquappen als Wasser. Bei diesem Anblick dachte ich: Wahrscheinlich wird nicht mal ein Zehntausendstel davon zu Fröschen, die meisten werden im Schlamm vertrocknen. Sie waren den männlichen Samenfäden sehr ähnlich. Samenfäden gibt es massenweise, aber mit der Eizelle verschmelzen und zu einem Baby werden kann wohl höchstens einer von zehn Millionen. Damals spürte ich, dass zwischen der Fruchtbarkeit der Frösche und der Menschen ein geheimnisvolles Band besteht.